© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/11-01/12 / 23./30. Dezember 2011

Vorbote der Freilichtmalerei
Landschaftsbilder: Ausstellung mit Werken von Carl Morgenstern in Frankfurt am Main
Claus-M. Wolfschlag

In die Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts kann man sich zur Zeit im Frankfurter Museum Giersch vertiefen. Die große Schau über Carl Morgenstern ermöglicht es dem Besucher zudem, sehr genaue Einblicke in die Arbeitswelt von Künstlern der nachhöfischen Epoche zu erhalten.

Morgenstern gehört zu den bekanntesten Frankfurter Malern des 19. Jahrhunderts. 1811 wurde er in der Messestadt als Sproß einer ursprünglich aus Thüringen stammenden Künstlerfamilie geboren. Mit 16 schuf er sein erstes Aquarell, im Alter von 21 Jahren ging er zur künstlerischen Ausbildung nach München, wurde Schüler des Landschaftsmalers Carl Rottmann. Doch schon bald wurde Morgenstern das Akademie-Dasein zu eng, Wanderungen in den Alpen hatten ihn für die Bedeutung von Lichtstimmungen in der Natur sensibilisiert.

So brach er 1834 zu einer dreijährigen Reise nach Italien auf, bereiste unter anderem Rom, die Albaner Berge, Neapel, Capri und Sizilien. Für Gegenwartsmenschen, die schon in aller Herren Länder gereist sind, mag es seltsam klingen, daß Morgenstern in Italien anfänglich gar nicht heimisch wurde. Die südliche Landschaft, das helle Licht und vor allem die strahlenden Farben bereiteten dem akribisch Buch führenden Maler große Anpassungsschwierigkeiten, da das Vorgefundene im Gegensatz zu den Prinzipien seiner bisherigen Ausbildung stand. Schließlich hatte die dunkeltonige niederländische Malweise bis dahin noch den deutschen Kunstbetrieb dominiert.

Immer wieder holte sich Morgenstern in Briefwechseln mit seinem künstlerisch erfahrenen Vater Johann Friedrich Rat bei der Komposition seiner Gemälde. So war es auch nicht unüblich in jenen Jahren, sich anhand des Vorbilds anderer Künstler zu schulen oder Gemälde zur Nachbearbeitung fremden Händen zu überlassen. Morgenstern etwa überließ das nachträgliche Einfügen kleiner Tiere und Menschen durchaus auch anderen, die darin perfekter waren. Man verstand Kunst in jener Epoche weniger als reine Selbstverwirklichungsspielwiese eines autonomen Individuums, sondern vielmehr als kreative und anspruchsvolle Form des Broterwerbs. Heraus kamen bei Morgenstern einzigartig kleinteilige und zugleich stimmungsvolle Landschaftsansichten, die den Betrachter um so stärker einnehmen, je mehr er sich in die Details verliert.

Die Frankfurter Schau zeigt zwar auch Arbeiten von Morgensterns späteren Reisen an den Rhein und nach Südfrankreich. Vor allem aber die pittoresken Italien-Motive begeisterten das Publikum jener Jahre. Wohlhabende Käufer aus Adel und Bürgertum erwarben die Werke für ihre Salons. Morgenstern schuf daraufhin Wiederholungen und Varianten seiner beliebtesten Werke. Ölskizzen wurden durch Hinzunahme von Kompositionselementen verändert.

Diese Form der Auftragsmalerei als Handwerk, fast als Konfektionsware, führte dann allerdings mit fortgeschrittenem Alter zu kreativen Ermattungserscheinungen. Im Januar 1893 verstarb dieser Vertreter seiner Zeit. Stand Morgensterns idealisierende Landschaftsauffassung und Detail-Akribie zwar noch ganz in der Tradition vor dem Einbruch der impressionistischen Moderne, so wies seine Sensibilität für Licht und Farbe, für Atmosphäre und Naturnähe aber schon deutlich in Richtung der kommenden Freilichtmalerei.

Die Ausstellung „Carl Morgenstern (1811–1893) und die Landschaftsmalerei seiner Zeit“ ist noch bis zum 29. Januar im Frankfurter Museum Giersch, Schaumainkai 83, täglich außer montags von 12 bis 19 Uhr, Freitag–Sonntag von 10 bis 18 Uhr, zu besichtigen. Der Eintritt kostet 5 Euro (ermäßigt 3 Euro). Telefon: 0 69 / 6 33 04-128.

Der Katalog (Michael Imhof Verlag, Petersberg) mit 296 Seiten und 252 Abbildungen kostet 24 Euro.

www.museum-giersch.de

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