© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/11-01/12 / 23./30. Dezember 2011

Lichtstreifen am Horizont
Liebe, Eifersucht, Exotik: Dreimal große Oper an kleinen Häusern
Sebastian Hennig

Es gibt Orte, an denen die Intendanten bis auf gelegentliche Premierentriumphe ganz ihrem autochthonen Publikum ausgeliefert sind, sofern dieses sich überhaupt noch in die Oper bequemt. Dabei üben gutgeführte Häuser doch einige Strahlkraft über die nähere Umgebung aus. Fahrdienste sammeln Publikum in den Dörfern und Kleinstädten auf. Die Städte Meiningen und Würzburg besitzen eine lange Theatertradition. In Südthüringen steht noch ein beeindruckender Historismusbau, der nach eingehender Überholung kürzlich wiedereröffnet wurde. In Würzburg fiel das Städtische Theater im März 1945 alliierten Bomben zum Opfer. Das neue Mainfränkische Theater, 1966 eingeweiht, hat inzwischen den abgewetzten Charme eines realsozialistischen Kulturhauses. Hier steht die Renovierung bald an. Der Spielbetrieb wird unterdessen in eine ehemalige Viehauktionshalle am Mainufer umziehen.

In Saarbrücken dagegen stammt der elegante Bau aus den dreißiger Jahren. Als „Geschenk des Führers“ zum Ausgang der Saarabstimmung inszeniert, hatte doch die Stadt einen großen Teil der Baukosten des „Grenzlandtheaters“ zu tragen. Die neue Spielzeit bescherte an allen drei Häusern Opern-Inszenierungen von vorbildhafter Homogenität und genretypischer Wirksamkeit. Liebe, Eifersucht und Exotik schießen theatralisch ins Kraut.

Dreimal zeigt das Bühnenbild, was es jeweils zeigen soll: den fernen Osten, das Kap der Guten Hoffnung und einen Fürstenhof des Ancien Régime. Zu Puccinis „Madama Butterfly“ im Staatstheater Saarbrücken wird mit roten Faltrollos Raum in den Raum gestellt. Die Geisha Cio-Cio-San wird überzeugend und stimmgewaltig von der Koreanerin Hye Won Nam gegeben. Der mögliche Rest an Würde, den die haarsträubende Handlung erlaubt, bleibt gewahrt, indem sie sich hinter der spanischen Wand mit dem Dolch entleibt. Auch Film-Projektionen einer sich entfaltenden Kirschblüte und der Stars and Stripes sind nicht mutwillige Technikspielerei, sondern dürfen wirkungsvoll die Handlung unterstreichen. Das affektierte Melodram läßt sich am ehesten als ein Konzert für Sopransolo und Orchester genießen. Das ist aber Puccini anzulasten, nicht der vorbildlichen Inszenierung durch die Intendantin Dagmar Schlingmann.

Ähnlich exotisch mutwillig ist Meyerbeers Opus posthumu „L’Africaine“. Der Komponist starb bei den Proben, während der er seinen Partituren erst den letzten Schliff verlieh. Auch in diesem Fall waren tiefgreifende Korrekturen des Werkes vorgesehen. Die mußte der Freund Francois Joseph Fetis zu Ende führen. Im Frühjahr 1865 kam „Die Afrikanerin“ auf die Bühne der Pariser Oper.

Auch hier kommt es zum Konkubinat zwischen einer Eingeborenen und einem Offizier, verkörpert durch Paul McNamara als Vasco da Gama und Karen Leiber als Prinzessin Sélika. Ein schwül-lüsternes Gleißen wie aus Tannhäusers Erzählung vom Venusberg bei Richard Wagner erstreckt sich auf die ganze Oper. Ein noch bombastischerer Effekt reißt den Zuschauer gelegentlich aus seiner Abstumpfung. Am Ende des dritten Aktes mündet die Seefahrt in der Katastrophe, und die Europäer fallen den Eingeborenen zum Opfer, die wie eine blutrünstige Kinderschar die Bühne überfluten. Der Held, verstrickt in Weibergeschichten, hat nur seine Unsterblichkeit im Sinn: „Nehmt mir mein Leben, aber laßt mir meinen Ruhm“ fleht er vor der Versammlung der ausländerfeindlichen Wilden, in der sich der Rat des Königs von Portugal aus dem ersten Akt spiegelt. Der grandios-bizarren Hochzeitszeremonie mit der Anrufung von Brahma, Schiva und Vischnu kann man sich nicht entziehen. Hier stirbt die vom Krieger verlassene Eingeborene an giftigen Ausdünstungen des Manzanillobaumes, die zuvor die gesamte europäische Besatzung hinrafften. Ein exemplarisches Werk der Grand Opéra. Ein musikwissenschaftliches Symposium begleitete die Aufführung.

Als das frischste und überzeugendste Werk dieser Opernrecherche erwies sich das Älteste; Mozarts „Le nozze di Figaro“. Daß Mozart ein musikalischer Shakespeare war, macht die Meininger Aufführung deutlich. Und weil hier das Drama ganz in Klang aufgegangen ist, befinden sich billigerweise auch die Musiker der Meininger Hofkapelle auf der Bühne. Hervorragend Carolina Krogius als bezaubernder Cherubino und als souveräne Gräfin Almaviva die Südamerikanerin Camila Ribero-Souza. Gesungen wurde in deutscher Sprache in einer neueren Übertragung. Das war angemessen, denn Mozarts Stück ist so dramatisch wie musikalisch, und man muß gleich wissen, was hier gefühlt und gelitten wird, aus dem Mund der Darsteller, nicht durch schriftliche Übertitelung, die den Schmachtfetzen von Puccini und Meyerbeer keinen Abbruch tut. Meiningen bot wie immer, auch auf seiner kleinen Bühne, großes Theater.

Das offensichtliche Fazit dieser erhebenden Reise: Nur in der Provinz darf die Kunst noch Kunst sein, bedeutend und unterhaltsam zugleich.

Die nächsten Vorstellungen von „Madama Butterfly“ im Staatstheater Saarbrücken finden statt am 25. Dezember 2011 sowie am 5., 7., 13. und 29. Januar 2012.

„Le nozze di Figaro“ im Südthüringischen Staatstheater in Meiningen wird am 31. Dezember 2011 und 21. Januar 2012 gespielt.

www.theater-saarbruecken.de ; www.das-meininger-theater.de

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen