© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/12 06. Januar 2012

Präsident ohne Würde
Christian Wulff ist am Ende und hat das Ansehen von Amt und Staat beschädigt
Thorsten Hinz

Christian Wulff hat zwei Möglichkeiten: Er kann zurücktreten oder seine Präsidentschaft in einer Agonie versanden lassen. Zu retten ist sie nicht mehr.

Ein Bundespräsident, der aus dem Palast eines ausländischen Staatsoberhaupts bei einer heimischen Boulevardzeitung keifend interveniert, um Meldungen über Kreditmauscheleien zu verhindern, macht den Staat, den er repräsentieren soll, lächerlich. Sich selber hat er damit den politischen Todesstoß versetzt, sein Amt hat er diskreditiert – wahrscheinlich dauerhaft.

Die Anrufe sind gespeichert, und es liegt im Belieben der Bild-Zeitung, sie in Schrift und Ton zu veröffentlichen und Wulff weiter bloßzustellen. Überdies setzt seine Androhung des „endgültigen Bruchs“ mit der Springer-Zeitung eine alte, intime Beziehung zwischen beiden voraus. Schauderhaft!

Weshalb die schmierige Liaison aufgekündigt wurde, ist offen. Denn die Kreditaffäre, die eine mediale und politische Eigendynamik entwickelt hat, ist läppisch. War es der Konkurrenzdruck zwischen den Medien? Wird Wulff höheren Orts übelgenommen, daß er – in einem einmaligen Vorstoß – die Europäische Zentralbank wegen des Ankaufs wertloser Staatsanleihen kritisierte?

Oder wollen Journalisten, die sich in Sachen Euro lange Zeit als folgsame Jubel-Idioten betätigten, Leservertrauen zurückgewinnen und ihre Eigenständigkeit demonstrieren, indem sie einen hohen Politiker waidwund jagen? Mitleid verdient Wulff deswegen nicht, denn er hat sich aus eigenem Entschluß in ein Amt bringen lassen, dem er vorhersehbar keinen Inhalt geben konnte.

In Erinnerungen bleiben Platitüden wie die „bunte Republik“, mit denen er nach dem Beifall der linksliberal dominierten Meinungsindustrie hechelte.

Aus der Tatsache, daß Millionen Moslems es attraktiv finden, in diesem Land zu leben, zog er den erstaunlichen Schluß, daß der Islam zu Deutschland gehöre, natürlich ohne die Aussage intellektuell oder geschichtlich unterfüttern zu können.

Wulff hat es nicht geschafft, im Schloß Bellevue das Niveau des typischen Partei-Apparatschiks mit CDU-Logo hinter sich zulassen, sich eine geistige, kulturelle, habituelle oder zivilisatorische Dimension anzueignen und zu vertreten, die über den politischen Alltag hinausreicht. Er verkörpert perfekt die Defizite einer Parteiendemokratie, in der die Rekrutierung des politischen Personals von den Parteien monopolisisiert worden ist.

Was an der sogenannten Kreditaffäre und den Begleit-Affärchen am meisten empört, ist ihr ästhetischer Degout, ihre Stillosigkeit. Die Bestandteile sind: ein überteuertes Hamsterhäuschen; Wulffs Schnäppchen-Mentalität; die Bussi-Bussi-Fotos aus Hannover, die auf den sogenannten Glamour-Faktor abzielen; die öffentliche Zelebrierung des Privaten in der Massenpresse; die Freundschaft mit einem Finanzdienstleister, der auch als „Drückerkönig“ tituliert wird; die naive Begeisterung für die Prachtvillen reicher Freunde; die kleinen, eines Versicherungsvertreters würdigen Flunkereien. Das summiert sich einerseits zum realistischen Abbild der kleinbürgerlichen Republik, die wir nun mal sind. Aber die ganze Vulgarität, Kleinlichkeit und Häßlichkeit von höchster Stelle vorgelebt zu bekommen, ist zuviel. In der Kampagne, die gegen Wulff inzwischen geführt wird, explodiert auch ein verbreiteter Selbsthaß.

Man kann die Frage stellen, ob ein besserer Präsident und eine angemessene Amtsführung überhaupt noch möglich sind. Ein Präsident, der sich keinen Parteien, sondern dem Volkswohl verpflichtet fühlt, müßte idealerweise die Einführung des Euro und die millionenfache Zuwanderung aus fremden Kulturen, die von der politischen Klasse ohne Plebiszit und gegen die erkennbare Mehrheitsmeinung durchgesetzt wurden, als einen Anschlag auf die Lebensfähigkeit Deutschlands geißeln.

Die fortgesetzte Vergangenheitsbewältigung müßte er als Form der psychologischen Kriegsführung attackieren, und den Begriff der „offenen Gesellschaft“, den Wulff in seiner Weihnachtsansprache gebrauchte, hätte er um das notwendige Element einer relativen Homogenität zu ergänzen. Und er hätte klarzustellen, daß die Demokratie nicht durch ein paar neonazistische halbirre Mörder, sondern durch eine „demokratische Mitte“ zerstört wird, die sie „marktkompatibel“ transformieren will und den Rest an Entscheidungskompetenz nach Brüssel delegiert. Doch soviel politische Selbständigkeit und Entschlußkraft eines Bundespräsidenten ist neben persönlichen auch aus strukturellen Gründen unvorstellbar.

Das Präsidentenamt ist, wie der verstorbene Publizist Johannes Gross formulierte, eine Spitze, auf die nichts zuläuft. Nach der Erfahrung des Dritten Reiches sollten staatliche Repräsentation und politische Machtausübung konsequent voneinander getrennt werden. Andererseits gehorchte die Präsidentenkür stets der Parteien- und Koalitionsräson. Das gilt insbesondere für die Wahl Christian Wulffs als Nachfolger des 2010 aus bis heute nicht ganz geklärten Gründen überraschend zurückgetretenen Horst Köhler. Der anschließende Auftrag an ihn, ohne exekutive Macht strikte Unabhängigkeit und Überparteilichkeit zu zelebrieren, setzte den Parteisoldaten unter den Erwartungszwang eines konstitutionellen Monarchen, über dessen wichtigste Voraussetzung: qua Generationenabfolge die Kontinuität der Nation zu repräsentieren, er allerdings gar nicht verfügte.

Wulff wollte die Widersprüche zusammenführen, indem er sich als Modernisierer darstellte und statt der Kontinuität des Landes dessen Buntheit betonte. Herausgekommen ist die Verluderung des Amtes. In ihr spiegelt sich neben der Person und dem Werdegang Christian Wulffs auch der Zustand von Staat und Gesellschaft.

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