© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/12 06. Januar 2012

„Europa nach dem Euro“
Zehn Jahre nach ihrer Einführung kämpft die europäische Gemeinschaftswährung um ihr Überleben. Vergeblich, sagt der Essayist Roland Hureaux, der Euro und die EU sind, wie einst der Kommunismus, zum Untergang verdammt.
Moritz Schwarz

Herr Hureaux, während Berlin und Paris um die Rettung des Euro ringen, beschäftigen Sie sich schon mit der Zeit danach.

Hureaux: Ja, denn ich bin Realist.

Ihr bislang nur auf französisch erschienenes Buch trägt den vielsagenden Titel: „Europa nach Brüssel. Ein freies Frankreich in einer Gemeinschaft souveräner Staaten“.

Hureaux: Ich möchte betonen, daß es mir nicht darum geht, den Euro abzuschaffen. Der Euro wird sich vielmehr selbst abschaffen. Es geht also nicht um die Frage ob, sondern: Was wird das Resultat seines Endes sein?

Kanzlerin Merkel kennt das Resultat: Sie sagt Krieg in Europa voraus.

Hureaux: Das ist sicherlich Unsinn, aber zweifellos wird der Zusammenbruch des Euro einen enormen politischen und psychologischen Schock auslösen, das sollte man nicht unterschätzen. Auch wenn es sich von einem rein ökonomischen Standpunkt aus als ein vorteilhaftes Ereignis erweist.

Wie können Sie so sicher sein, daß der Euro scheitert?

Hureaux: Der Euro ist ein Kartenhaus, gebaut auf einem ideologischen Fundament und das hält, wie jedes ideologische Fundament, früher oder später dem Druck der Realität nicht mehr stand. Deshalb gefährdet die kleine griechische Karte auch den des ganzen Baus.

Inzwischen aber haben wir die Fiskal-Union, ein „neues Europa“, wie die Bundeskanzlerin sagt.

Hureaux: Die die Ursache des Problems – die Verschuldung – doch nicht im mindesten glaubwürdig löst. Nein, tatsächlich planen führende Unternehmen in ganz Europa bereits für die Zeit danach. Die britischen Botschaften haben Anweisung erhalten, sich ebenfalls für einen solchen Fall vorzubereiten. Der Daily Telegraph berichtet, die britische Regierung rechne für diesen Fall sogar mit sozialen Unruhen und habe die Botschaften angewiesen, Hilfspläne für ihre Staatsbürger zu erarbeiten. Und ein ranghoher britischer Minister wird mit den Worten zitiert, ein Zusammenbruch des Euro sei lediglich „noch eine Frage der Zeit“. Die Furcht vor sozialen Unruhen kommt mir allerdings übertrieben vor: Im Gegenteil, Unruhe schafft eben der Wille,  den Euro um jeden Preis zu retten.

Andererseits: Totgesagte leben länger!

Hureaux: Mir sagen selbst Ökonomen, die für den Euro sind, hinter vorgehaltener Hand, daß dieser jederzeit explodieren könnte. Und warum? Weil der Euro-Verbund wie ein Wettlauf ist, bei dem die Regel gilt, daß nicht nur alle gemeinsam starten, sondern auch gemeinsam ins Ziel kommen müssen. Haben Sie je von einem solchen Wettlauf gehört? Nein, denn den gibt es nicht, weil so etwas nicht funktioniert. Und wie bei einem Marathonlauf die Läufer, driften jede Minute die Volkswirtschaften der Euro-Zonen-Länder weiter auseinander.

Immerhin wird der Euro von allen Mächten in Europa – außer Großbritannien, das aber nicht Mitglied des Euro ist – gestützt. Es gibt keine Regierung, die bereit ist ihn aufzugeben. So sicher ist sein Zusammenbruch also keineswegs.

Hureaux: Sie unterschätzen den Umstand, daß der Euro ein hundertprozentiges Produkt politischer Ideologie ist – und nicht etwa eine Folge wirtschaftlicher Notwendigkeiten oder einer vorausschauenden ökonomischen Politik, wie viele Leute annehmen. Da herrschen oft naive Vorstellungen: Nicht wenige Bürger gehen davon aus, unsere Politiker würden sich allein an den Realitäten orientieren. Ein fataler Irrtum.

Gut, aber warum muß er deshalb zwangsläufig zusammenbrechen?

Hureaux: Die Geschichte lehrt uns, daß jedes ideologische Konstrukt einmal an den Punkt kommt, wo es gegenüber dem Ansturm der Realität nicht mehr zu halten ist.

Sie vergleichen den Euro mit dem Kommunismus in Osteuropa.

Hureaux: Ja, denn beide sind Ideologien beziehungsweise fußen darauf. Die große deutsche Philosophin Hannah Arendt etwa hat sehr anschaulich beschrieben, wie deren Mechanismen funktionieren, und so findet man viele Parallelen zwischen dem „europäischen Projekt“ und dem Kommunismus. Freilich, es gibt auch entscheidende Unterschiede: Etwa hat die EU nichts von der kriminellen  Repression, die vor allem Merkmal des Kommunismus war. Das muß man betonen, um nicht mißverstanden zu werden. Auch ist die europäische Ideologie, zwar undemokratisch, doch nicht diktatorisch. Obgleich es Leute gibt, die sagen, der Euro könne nur mit einer europäischen Diktatur gerettet werden. Auch wenn damit natürlich nicht die Herrschaft einer Geheimpolizei gemeint ist, aber immerhin die Herrschaft von EU-Kommissaren früher oder später in ganz Südeuropa. Das US-Wirtschaftsmagazin Forbes etwa schlug so etwas in einer Glosse bereits vor.

In Ihrem vorigen, ebenfalls in Frankreich erschienenen Buch die „Die gähnenden Höhen Europas. Die ideologische Drift der europäischen Konstruktion“ haben Sie die Parallelen zum Kommunismus untersucht.

Hureaux: Ja, der Titel lehnt sich an den Roman des sowjetischen Dissidenten Alexander Sinowjew „Gähnende Höhen“ von 1976 an. Ich habe dabei eine erstaunlich hohe Übereinstimmung zwischen der „europäischen“ und der kommunistischen Ideologie festgestellt. Vor allem etwa die Tendenz, großräumige Politik zu machen, indem man exzessiv simplifiziert: Zentralisierte Ideologie ist ja immer eine enorme Vereinfachung der Verhältnisse. Dabei ist Europa ein komplexes, vielgestaltiges Gebilde. Deshalb sind übrigens auch jene die wahren Europäer, die der zentralistischen EU-Politik widerstehen, obwohl ausgerechnet sie dafür gerne als „Anti-Europäer“ beschimpft werden. Typisch sind außerdem: die Vereinfachung von Problemen, ein falsches Gefühl von Geschichte, die Leugnung der Vergangenheit, die Eingrenzung der Demokratie, die Entwicklung der Bürokratie und so weiter.

Warum ist die EU undemokratisch?

Hureaux: Das liegt quasi in der Natur der Sache: Wenn man auf dem Weg nach Utopia ist, wird man immer un- oder gar antidemokratisch, weil dann die, die anderer Meinung sind, nicht mehr Andersdenkende, sondern „Fortschrittsfeinde“ sind. Und ein ganzer Kontinent am Ende regiert von eine Gruppe von zwanzig, nicht gewählter, Bürokraten? Das ist nicht so weit entfernt vom Politbüro.

Interessant ist Ihr Punkt von der Außerkraftsetzung der Wissenschaften.

Hureaux: Typisch für Ideologien wie Kommunismus oder Nationalsozialismus ist die ideologische Dominanz, unter die sie die Wissenschaften stellen: So etablierten sie falsche Wissenschaften – der Marxismus eine falsche Soziologie, der Nationalsozialismus eine falsche Biologie. Bei der Einführung des Euro hat sich die Politik nicht nur über die Warnungen und Einwände fast aller Ökonomie-Experten, darunter der meisten Nobelpreisträger, etwa des Franzosen Maurice Allais, hinweggesetzt, sondern vielfach gar geglaubt, die Wissenschaft liege falsch. Diese Hybris, zu denken, man könne sich über die Wissenschaften stellen, ist ebenfalls typisch.

Der amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman meint: „Die bittere Wahrheit ist, mehr und mehr scheint es so, als sei das Euro-System zum Untergang verurteilt. Für Europa wäre es vielleicht besser, wenn es lieber früher als später kollabieren würde.“

Hureaux: Das Problem ist, daß unsere Eliten auf diesen Fall mental in keiner Weise vorbereitet sind. Stellen Sie sich nur mal vor, von der sowjetischen Nomenklatura des Herrn Breschnew wäre verlangt worden, Rußland in der Zeit nach dem Kommunismus zu führen. Ja, schlimmer noch, was unsere Eliten am meisten fürchten ist, daß mit einem Scheitern ihres Euro-Konzeptes ihr gesamtes politisches Selbstverständnis in Frage gestellt wäre. 

Also, wie wird das „Europa nach Brüssel“ nach Ihrer Ansicht aussehen?

Hureaux: Da unsere Eliten darauf mental nicht vorbereitet sind, sind wir es auch nicht. Deshalb könnte es nach dem Zusammenbruch des Euro sehr leicht zu einem politischen und psychologischen Erdbeben kommen.

Die Zeitung „Die Welt“ meint: „Die Schockwellen eines solchen Ereignisses könnten den Zusammenbruch des gesamten Finanzsystems (bewirken).“

Hureaux: Ich gehe davon aus, daß eine geordnete Aufspaltung des Euro – und das halte ich für das wohl wünschenswerte Szenario – die Märkte sogar ohne große Erschütterung überstehen könnten. Keiner weiß aber, wie sich dieses Ereignis auf unser Parteiensystem und das Vertrauen in die etablierte Politik auswirkt. Es ist zu befürchten, daß die Politik in Europa in der Folge orientierungslos sein wird, was tatsächlich eine große Gefahr birgt.

Sie sehen die Gefahr des Protektionismus?

Hureaux: Natürlich ist Politik stets per se egoistisch, und doch gilt es zu verhindern, daß in dieser Periode der Orientierungslosigkeit, in der die alte Ordnung zerbrochen ist, die europäischen Länder zurück in eine egoistische Politik der Nationalstaaten fallen.

In Ihrem Buch sagen Sie für die Zeit nach dem Euro allerdings ein Europa „freier Nationen in einer Gemeinschaft souveräner Staaten“ voraus. 

Hureaux: Ja, und dennoch ist es existentiell, daß es auch in einem Europa freier Nationen wieder einen Ordnungsrahmen gibt, auf dessen Grundlage die europäischen Staaten kooperieren. Man muß sich klarmachen, daß die Politik mit dem Euro-Projekt alle Fortschritte, die wir seit 1945 in Europa erarbeitet haben, aufs Spiel gesetzt hat. Daher war es auch unverantwortlich, es überhaupt zu beginnen. Für die Zeit nach dem Euro ist es unverzichtbar, daß wir darangehen, zusammen in Europa etwas Realistischeres aufzubauen, das wirklich Bestand hat und nicht dank ideologischer Überdehnung den Keim des Untergangs in sich trägt.

Zu diesem Zweck haben Sie im Oktober die erste deutsch-französische Euro-Kritiker-Konferenz in Lyon organisiert?

Hureaux: Nein, dort ging es vielmehr darum, die Standpunkte der deutschen Euro-Kritiker, etwa der Professoren Bandulet und Starbatty, kennenzulernen und zu zeigen, daß Euro-Kritiker auch transnational zusammenarbeiten können – entgegen dem Vorurteil, diese seien national fokussiert.

Was weiß man in Frankreich über die deutschen Euro-Kritiker?

Hureaux: Nichts! Politiker wie Frank Schäffler oder Peter Gauweiler kennt kein Mensch in Frankreich. Hier vermitteln die Mainstream-Medien das Bild, die französischen Euro-Kritiker seien eine Gruppe von isolierten Störenfrieden. Es wird der Anschein erweckt, als seien Deutschland und die anderen Euro-Staaten allesamt aussschließlich für den Euro. Deshalb war es wichtig, den Franzosen bekannt zu machen, daß es auch in Deutschland eine wachsende Opposition zum Euro gibt und daß es möglich ist, mit dieser zusammenzuarbeiten. Dazu planen wir die Etablierung einer deutsch-französischen Arbeitsgruppe, die nun in Deutschland tagen wird.

Ihr Buch sagt nicht nur das Ende des Euro voraus, sondern das der EU. Warum sollte das Ende des einen automatisch zum Ende des anderen führen?

Hureaux: Weil, wenn eine Ideologie zusammenbricht, der Zusammenbruch immer vollkommen ist. Michael Gorbatschow glaubte, es wäre möglich, den Kommunismus zu reformieren – ein Kommunismus mit menschlichem Antlitz. Aber all das hat nicht funktioniert. So wird es auch mit dem Euro sein, der Euro wird  Brüssel mit sich reißen. Die liberale britische EU-Abgeordnete Sharon Bowles, immerhin Vorsitzende des einflußreichen Wirtschafts- und Währungsausschusses des Europäischen Parlaments – und übrigens eine Euro-Befürworterin! –, äußerte unlängst etwa, für sie sei keineswegs sicher, ob die Europäische Union in sechs Monaten noch bestehe.  

Was folgt darauf: Ein europäischer Winter oder ein europäischer Frühling?

Hureaux: Ich glaube, daß das Ende des Euro der Ausgangspunkt einer französisch-deutschen Zusammenarbeit auf einer gesünder aufgestellten Grundlage sein müßte. Aber das – kein Zweifel – hängt ganz von der Qualität der Politiker ab, die nach dem Euro an die Macht kommen.

 

Roland Hureaux, der Essayist, Historiker und Dozent für Öffentliches Recht am Institut für politische Studien in Toulouse zählt zu den führenden Euro-Kritikern Frankreichs. Im Oktober 2011 organisierte er die erste deutsch-französische Euro-Kritiker-Konferenz in Lyon. Der ehemalige hochrangige Ministerialbeamte, Mitarbeiter im Stab Premierminister Edouard Balladurs und Analyst im französischen Außenministerium wurde 1948 in Bayonne geboren. In seinen Büchern „Frankreich und Deutschland. Ein Tandem mit Fehlfunktion“,  „Die gähnenden Höhen Europas. Die ideologische Drift der europäischen Konstruktion“ sowie dem eben erschienen Band „Europa nach Brüssel. Ein freies Frankreich in einer Gemeinschaft souveräner Staaten“ skizziert er die politischen, gesellschaftlichen und weltanschaulichen Ursachen für den Untergang des „europäischen Projekts“ und das Angesicht Europas danach.

 www.roland.hureaux.over-blog.com

Foto: Zukunft der EU: „Die Geschichte lehrt, jedes ideologische Konstrukt kommt an den Punkt, wo es gegenüber dem Ansturm der Realität nicht mehr zu halten ist.“

 

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