© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/12 06. Januar 2012

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Schloßherr gesucht
Marcus Schmidt

Das politische Berlin ist immer schon einen Schritt weiter. Während die Öffentlichkeit sich Anfang der Woche noch über die neuesten Wendungen im Fall Christian Wulff wunderte, ist der Bundespräsident bei den maßgeblichen Politikern von Koalition und Opposition bereits abgehakt.

Deutlich wurde dies spätestens am Dienstag, als die SPD, die bislang mit äußerster Zurückhaltung auf die Präsidentenkrise reagiert hatte, den Ton deutlich verschärfte. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, verkündete das Ende der „politischen Schonfrist“. Wulff sei es nicht gelungen, innerhalb von drei Wochen die Vorwürfe zu entkräften. „Kein Präsident steht über Recht und Gesetz.“ Die Botschaft hinter dieser wohlbedachten Äußerung war klar: Wulff ist Geschichte.

In Berlin fragten sich daher am Dienstag viele nur noch nach dem Wann und Wie eines Rücktritts des auch in den eigenen Reihen zunehmend isolierten Staatsoberhauptes. Längst haben hinter den Kulissen die strategischen Planungen für den Fall der Fälle begonnen. Fest steht, daß ein Rücktritt Wulffs für Bundeskanzlerin Angela Merkel eine empfindliche Niederlage wäre. Mit dem früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten wäre nach Horst Köhler bereits das zweite Staatsoberhaupt gescheitert, das von der Kanzlerin auf den Schild gehoben worden ist. Der Fall Wulff wiegt für die CDU-Chefin dabei um so schwerer, da sie Wulff 2010 gegen die breite öffentliche Sympathie für den Oppositionskandidaten Joachim Gauck durchgesetzt hatte. Der DDR-Bürgerrechtler, der als Präsidentschaftskandidat der Herzen galt und Wulff in einen dritten Wahlgang gezwungen hatte, genoß auch in den Reihen der schwarz-gelben Regierungskoalition große Sympathien.

 Merkel muß daher nach einem Rücktritt Wulffs versuchen, den politischen Schaden soweit wie möglich zu begrenzen. Als wahrscheinlich gilt daher, daß Merkel bereits fieberhaft an einer Strategie bastelt, mit der sie ihr Gesicht halbwegs wahren kann. Hilfreich wäre für die Kanzlerin dabei, wenn sie die Opposition, zumindest die SPD ins Boot holen und einen gemeinsamen Kandidaten präsentieren könnte (siehe oben). Daß die SPD das Ende der Schonfrist für Wulff verkündet hat, könnte ein erstes Anzeichen dafür sein, daß das Geschachere um den nächsten Schloßherren von Bellevue bereits weit fortgeschritten ist.

Wie nervös die Lage derzeit im weitgehend noch verwaisten Berliner Regierungsviertel ist, zeigte sich exemplarisch Anfang der Woche, als Journalisten auffiel, daß der Terminkalender des Bundespräsidenten für Januar noch völlig leer war. Eilig wurde nach entsprechenden Anfragen erklärt, daß Wulffs Termine für die ersten beiden Januarwochen erst am Dienstag eingestellt werden. Als dies dann tatsächlich geschah, war auch dies umgehend Gegenstand von Deutungen. Tenor: Wulff will die Krise aussitzen.

Doch in Berlin deutet vieles darauf hin, daß seine Zeit längst abgelaufen ist.

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