© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/12 06. Januar 2012

Keine gute Zeit für Amerika
2012 auf der Weltbühne: Drohungen, Machtspiele, Tricks und neue Akzente
Günther Deschner

Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen hat es einfach: 2012, so hat man dort festgelegt, wird das „Jahr der Fledermaus“ sein, sowie das der Süßholzwurzel, die besänftigende Wirkung haben soll. Ein UN-Programm hingegen, das Konflikte und Krisen benennt, gibt es nicht. Süßholzraspeln wäre angesichts der weltpolitischen Risiken für 2012 auch unangebracht. Da sind die schleichend-turbulenten Themen, die uns aus dem alten Jahr ins neue verfolgen: die EU- und Euro-Krise, die Entwertung des Dollars, Aktionen im weltweiten Währungs- und Handelskrieg, der Europa, die USA und China involviert. Auch Auseinandersetzungen mit harten Bandagen um Ressourcen wie Wasser und Öl sollten niemand überraschen.

Wenn sich die Warnung Christine Lagardes vor einem Horrorsturz der Weltwirtschaft bestätigt, wird ohnehin vieles aus den Fugen geraten. Die neue Direktorin des Internationalen Währungsfonds hat die Lage mit der Depression der 1930er Jahre verglichen, aus der weltweit Unruhen und Kriege entstanden sind. Behält die Untergangsprophetin recht, sehen sich alle Regionen und Staaten vor existentielle Fragen gestellt. Und ganz unerheblich wird dann sein, welche Nummer im Brüsseler Bürokratenzirkus gerade angesagt ist; man wird sich fragen, wie man sich jemals dafür interessieren konnte.

Schon jetzt ist das politische Klima in vielen Weltregionen rauher geworden. Das Muskelspiel zwischen Iran und den USA darüber, wer als Ordnungsmacht für die Straße von Hormus zuständig ist, hat das gerade wieder gezeigt. Auch der „arabische Frühling“ ist verblüht: Nach einem Jahr „Arabellion“ finden sich die Westmächte, die den „Wind des Wechsels“ verstärkt oder gar selbst angeblasen haben, von Fragezeichen umstellt.

Dies betrifft besonders Washingtons Klientelstaat Israel. Freundlich waren dessen Beziehungen zu den Nachbarn nie. Aber Tel Aviv wußte, was von den Zweckpartnern in Kairo oder Amman und den Feinden in Damaskus und Teheran zu erwarten war. Wie dramatisch die Veränderung ist, die der Umsturz in Ägypten brachte, darauf weist zum Beispiel die neue Einschätzung der „Muslimbrüder“ hin: Bislang gehaßt und gefürchtet, redet man sie nun als „moderate Islamisten“ schön, hofft, daß sie die noch radikaleren Salafisten und Dschihadisten in Schach halten. Realpolitische Partnerschaften, wie sie mit Mubarak bestanden, wird es in Zukunft schwerlich geben.

Auch im Nachbarland Jordanien oder im bereits angezählten Syrien könnten sich die Dinge anders entwickeln, als sich „der Westen“ erhofft. Bei dem Druck, der vom Westen auf Syrien ausgeübt wird, geht es nicht um Menschenrechte und Demokratie, sondern um harte Interessenpolitik – um den Versuch, den Einfluß des Iran in der Region zu beschneiden und den der Saudis, der Statthalter der USA, zu vergrößern. Assads Sturz würde ein Ende der „Achse“ bedeuten, die von Teheran über Damaskus bis in den Libanon und zur Hamas in Gaza reicht. Doch eine Machtübernahme durch eine den von Riad gehätschelten Salafisten nahestehende neue sunnitische Führung, könnte katastrophale Folgen für die Minderheiten in Syrien haben, insbesondere für deren größte, die Christen. Ähnlich wie Mubaraks Ägypten bot auch Assads Syrien mehr Verläßlichkeit als all die Fraktionen, Religionen und Ethnien, die nach einer Explosion des Regimes erbittert und lange um die Macht kämpfen werden – mit gravierenden Rückkopplungseffekten auf die regionale Stabilität.

Andere regional beachtete politische „Großereignisse“ wie die russischen Präsidentschaftswahlen im März oder im April die französischen werden den Globus nicht ins Schlingern bringen: Ob dann noch Sarkozy im Élysée-Palast residieren wird oder nicht, ob Bald-wieder-Präsident Putin wieder in den Kreml einzieht, ist weltpolitisch wenig relevant. Von größerem Belang könnte sein, wer aus dem Novembernebel der US-Präsidentschaftswahlen als Sieger hervortritt. Denn die schwer angeschlagene, doch noch immer einzige Weltmacht Amerika ist nach wie vor der wichtigste Faktor im großen Spiel. Wer warum im Weißen Haus sitzt, auf wen er hört oder hören muß, ist für den Rest der Welt vielleicht von größerem Interesse als in Amerika selbst.

Unübersehbar ist schon jetzt eine Neubewertung der geopolitischen Positionierung Amerikas. Nach dem Zusammenbruch des Sowjetblocks lag der Schwerpunkt der US-Interessen in Vorder- bis Mittelasien, zwischen Levante und Hindukusch. In der Rolle als „Ordnungsmacht“, wie die Kriege gegen den Irak und in Afghanistan zeigten, ist Amerika krachend gescheitert: Den komplizierten politischen Verhältnissen des vom Westen nach dem Ersten Weltkrieg zusammengeschusterten Staatsgebildes namens Irak war Wa-shington nicht gewachsen. Mit ihrem Truppenabzug haben die Vereinigten Staaten  den Wechselbalg Irak sich selbst, seinen Bürgerkriegsparteien und dem Sog des Iran überlassen.

Ähnlich ist die Situation am Hindukusch. Der Riß, der sich zwischen Washington und Pakistan aufgetan hat, wird kaum zu kitten sein. Islamabad wird sich wahrscheinlich mit den Taliban verständigen – und ohnehin macht das Land immer deutlicher, daß es den Bündnispartner loswerden und gegebenenfalls durch ein Arrangement mit Peking ersetzen will. Das sind keine guten Nachrichten für Amerika, das seine Außensicherheitspolitik zunehmend mehr auf die Beherrschung der pazifischen Region und auf die Eindämmung der werdenden Weltmacht China orientiert.

Foto: Ein nachdenklicher US-Präsident Barack Obama: Sind die Republikaner und Chinesen noch zu stoppen?

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