© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/12 06. Januar 2012

Keine zehn Jahre mehr
Euro-Krise: Die Fiskalunion beschleunigt das Ende der Währungsunion
Wilhelm Hankel

Vor zehn Jahren begann die „Stufe 3B der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion“ – die Einführung des Euro als Bargeld. Die Mehrheit der Deutschen wollte den Abschied von der D-Mark nicht – doch die Politik hatte mit überwältigender Mehrheit anders entschieden. Der Euro war für sie vor allem ein Motor der immer engeren EU-Integration auf allen Ebenen. Doch jetzt droht der EU durch die von den Staats- und Regierungschefs beschlossene „Euro-Rettung“ das Gegenteil – nämlich der Zerfall. Ein Parallel-Standard von Euro und nationalen Währungen könnte ihn abwenden.

Angela Merkels und Nicolas Sarkozys „Geniestreich“, den Euro durch die längst beschlossene Fiskalunion aus dem Feuer zu holen und diese durch Sonderverträge der Euro-Staaten – vorbei am offiziellen EU-Recht und im offenen Gegensatz zu ihm – festzuschreiben, droht zum Rohrkrepierer zu werden. Er könnte die „historische Kanzlerin“ (so der Stern-Journalist Hans-Ulrich Jörges) als Sterbehelferin statt Lebensretterin der dahinschwindenden Gemeinschaftswährung erscheinen lassen. Nur: Wie konnte der „Mut-Kanzlerin“ (Ex-Focus-Chef Wolfram Weimer) das passieren?

Selbst wenn es so liefe, wie Merkel und ihr von seinen Europa-Obsessionen benebelter Finanzminister Wolfgang Schäuble es sich vorstellen (was freilich wenig wahrscheinlich ist), zerfiele die EU, wie einst Cäsars Gallien, in drei ungleiche Teile: Es gäbe die am Finanzausgleich teilnehmenden Euro-Länder; sie würden die Kröte automatischer Sanktionen und Eingriffe in ihre Budgethoheit schlucken, auch wenn sie darüber zu Finanz-Protektoraten der EU (plus des Internationalen Währungsfonds/IWF, soweit dieser mit im Bunde bleibt) würden.

Zweitens gäbe es jene Euro-Länder, die an der gemeinsamen Währung festhalten, es aber ablehnen, Belastungen und Bevormundungen durch die Fiskal­union hinzunehmen – und davon wird es etliche geben. Und drittens schließlich den Rest der EU: Länder, die wie Großbritannien, Schweden, Dänemark oder die Tschechei zwar den gemeinsamen Binnenmarkt bejahen – aber nicht um den Preis der eigenen Währung.

Der lautstarke Protest der EU-Spitze (speziell von Kommissionspräsident José Manuel Barroso) beleuchtet den neuralgischen Punkt. Angela Merkels vorweihnachtlicher Befreiungsschlag schwächt die Brüsseler EU-Kommission bis ins Mark und macht die mit ihr konkurrierende Nebenregierung der nationalen Staats- und Regierungschefs zum neuen Herren der EU. Diese kann dann qua Mehrheitsbeschluß regieren; die vorgesehene Sperrminorität der wirtschaftlich Stärksten (Deutschland, Frankreich, Italien) erlaubt es diesen, den anderen Euro-Ländern zu diktieren, wie eine „ordentliche“ (von Sanktions- und Interventionsdrohungen freie) Finanz- und Haushaltspolitik aussieht.

Doch der Wunschtraum geht nicht auf, das Trio Berlin–Paris–Rom spielt nicht nach derselben Partitur. Deutschlands Ziel, seinen „Bundesbankismus“ als Geschäftsgrundlage des neuen Finanzausgleichs durchsetzen zu können, läßt sich weder im Bunde mit Frankreich noch Italien erreichen. Beide Länder sind „potentielle Griechenlands“ und haben andere Interessen und Sorgen. Und ihre Argumente sind nicht die schlechtesten. Denn sie können – sowenig wie die meisten anderen Euro-Länder – Krisenbekämpfung und Abbau von Staatsschulden gleichzeitig betreiben und miteinander verbinden. Ihr forcierter Schuldenabbau verstärkt – und verstetigt – ihre Krise; sie werden zu „failing states“ mit kollabierendem Finanzsektor.

Konjunktur und Arbeitsmarkt lassen sich auf kurze Sicht nur über eine expansive und schuldenfinanzierte Finanzpolitik stabilisieren. Technokraten-Kabinette (die derzeit nur in Griechenland und Italien regieren, doch demnächst auch woanders) können daran sowenig etwas ändern wie aus dem Amt gejagte unfähige oder korrupte Politiker. Das eben ist Angela Merkels Dilemma: Ohne die Fiskalunion kann sie den Euro nicht retten – doch diese Rettung kommt mit ihrer Methode niemals zustande!

Und der Ausweg? Europas Führung muß sich wohl oder übel mit den von Merkel bislang kategorisch ausgeschlossenen „Alternativen“ der Euro-Rettung befassen. Das schon deshalb, weil die mit dieser Politik „gekaufte Zeit“ ausläuft. Den sogenannten Euro-Rettungsfonds (EFSF, demnächst ESM) gehen früher oder später die Mittel aus. Offen ist nur, wer ihre uferlose Ausweitung stoppt: die globalen Finanzmärkte, weil sie ihnen den Kredithahn zudrehen, denn mit jeder weiteren Schrottanleihe verfällt ihr „Rating“ – oder ein Verfassungsgericht (es muß nicht einmal das deutsche sein) greift ein, das die Einhaltung der neuen „Schuldengrenzen“ verlangt.

Doch noch kürzer ist der Fluchtweg über das offene und heimliche „quantitative easing“, die monetäre Staats- und Defizitfinanzierung des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB/ESCB). Die Herabstufung der Europäischen Zentralbank (EZB) vom Währungshüter zur „Bad Bank“ durch die Ratingagenturen ist nur eine Frage der Zeit. Doch sie beendet schlagartig (anders als beim US-Dollar) die internationale Karriere des Euro. Dessen Wertverfall, verbunden mit den ihn begleitenden Kontrollen und Behinderungen im Auslandszahlungsverkehr, reduziert ihn zur EU-Binnenwährung, die an den globalen Finanzmärkten nur noch „schwarz“ bewertet und gehandelt wird: so wie weiland der Transfer-Rubel der UdSSR oder die Mark der DDR.

Spätestens dann wird auch der Exportsektor seine „Rettet-den-Euro-Propaganda“ einstellen. Geschäfte in fremder Währung abschließen zu müssen, ist für „Made in Germany“ weder Erleichterung noch Empfehlung. Die EU muß, ob sie will oder nicht, ihre monetäre Zeitbombe entschärfen. Gelingt es ihr nicht, die Gräben, die der Euro bereits aufgerissen hat und die seine falsche Rettung jetzt noch verbreitert, zu planieren, droht ihr der Zerfall. Nur wie löst sie das Problem? Den Ausweg bietet ein Plan, den Margaret Thatchers Schatzkanzler John Major bereits Anfang der achtziger Jahre vorlegte, und den damals die EG-Nomenklatura brüsk ablehnte und in den Archiven verschwinden ließ. Er sah ein Nebeneinander von europäischem Gemeinschaftsgeld und nationalen Währungen vor.

In diesem Parallel-Standard bliebe der Euro unverändert das Gemeinschaftsgeld der EU, müßte aber nicht „gerettet“ werden, sondern sich „nur“ im Wettbewerb mit den nationalen Währungen bewähren. Das machte ihn einerseits zur Inflationsbremse gegen den nie auszuschließenden nationalen Währungsmißbrauch. Dennoch bliebe er für Europas Geschäftsleute ein Umtauschkosten sparendes Überweisungsgeld und für Europas Sparer alternativer Ankerplatz für ihre Ersparnisse. Sie könnten frei wählen, für welchen sie sich entscheiden: im Zweifel den, der ihnen der sicherere zu sein scheint.

Eine solche „Euro-Rettung“ kostet weder Steuer-Milliarden für Rettungsfonds, noch setzt der Parallel-Standard die Inflationsmaschine in Gang. Er erspart Europa den Finanzausgleich und den Super-Finanzminister – oder richtiger Super-Diktator. Vor allem aber: Diese „Währungsreform“ enteignet niemanden! und die EU käme so endlich mit sich, Europas Geschichte, ihren so unterschiedlichen Mitgliedsstaaten und deren demokratischen Traditionen ins reine.

 

Prof. Dr. Wilhelm Hankel war Leiter der Währungsabteilung des Wirtschaftsministeriums und Chef der Bank- und Versicherungsaufsicht. Er klagte mit Fachkollegen vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Griechenlandhilfe und den Euro-Rettungsschirm. www.dr-hankel.de

Wilh. Hankel, Wilh. Nölling, Karl A. Schachtschneider u.a.: Das Euro-Abenteuer geht zu Ende. Kopp-Verlag, Rottenburg 2011, gebunden, 252 Seiten, 19,95 Euro

Foto: Zehn Jahre Euro-Bargeld: Ein weiteres Jahrzehnt hält die Währungsunion nicht

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