© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/12 06. Januar 2012

Deuter der Zeichen
Literatur: Umberto Eco feiert seinen 80. Geburtstag
Doris Neujahr

Man hört Umberto Eco sogar zu, wenn er sich über den inzwischen geschaßten italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi ausläßt. Seine Schelte kommt ohne den üblichen Groll darüber aus, daß jemand es gewagt hat, die linke Kulturhegemonie zu brechen. Eco lehnt Berlusconi politisch ab, findet ihn unter phänomenologischen Gesichtspunkten aber bemerkenswert: als Meister der unterhaltsamen Entpolitisierung, der tiefsitzenden Bedürfnissen entgegenkommt.

Das führte Eco zu der Frage, ob mit Berlusconi nicht der Politikertyp der Zukunft die Bühne betreten habe. Kein Demokrat, kein Kommunist, kein Nationalsozialist, keiner, der seine Gegner ins Gefängnis steckt, sondern sie bloß als Spielverderber lächerlich macht. Ein Repräsentant des schönen neuen Totalitarismus.

Die Zeichen zu lesen und zu deuten, war und ist Ecos Lebensaufgabe. Mit dem Buch „Das offene Kunstwerk“ wurde er 1962 weltberühmt. Es handelt vom Mehrwert der modernen Kunst, die sich nicht mehr von einer zentralen Dogmatik aus bestimmen und auslegen läßt, die vielmehr aus unterschiedlichen Blickwinkeln immer neue Bedeutungsschichten offenbart.

Vertreter der Kulturkritik können von Eco lernen, daß es keine Schande ist, sich für James-Bond-Filme und für die „Simpsons“ zu begeistern. Und wer über die Verflachung politischer Debatten und die Simplifizierung des Politischen durch die Medien in Wallung gerät, kann sich bei der Lektüre von Ecos „Apokalyptiker und Integrierte“ wieder abkühlen. Schon vor fast fünfzig Jahren sah Eco mit der „Medienzivilisation“ eine „neue anthropologische Situation“ gegeben, in der die unteren Klassen beanspruchten, zumindestens formal an den öffentlichen Angelegenheiten und am Informationsfluß teilzuhaben. In Wahrheit wurden sie bloß zu Konsumenten mehr oder weniger primitiver, seriell verfertigter Botschaften. Doch anders als die Kulturkritiken von Ortega y Gasset bis Adorno nahm Eco die Massenkommunikation ernst und betrachtet mit wissenschaftlichem Interesse ihre Innenseite. Im Konflikt zwischen der Hoch- und Trivialkultur zeigt sich für Eco „der Kampf der Kultur mit sich selbst“.

Er gehört zu den seltenen Wissenschaftlern, die auch als Künstler Ruhm erlangten. Sein 1980 erschienener Roman „Der Name der Rose“ wurde ein Welterfolg: ein Krimi, ein Bildungs-, ein Historien- und politischer Roman, in dem Eco das Modell des offenen Kunstwerks im Spiegel der Mehrdeutigkeiten reflektiert. Sein jüngster Roman, „Der Friedhof in Prag“, hat seinen Ruhm weiter vermehrt.

Keine Medien, keine demokratischen Regulative, sondern die von Goldman Sachs repräsentierten „Märkte“ haben Berlusconi gestürzt. Ob Eco auch dazu eine originelle Erleuchtung kommt?

Am 5. Januar begeht er seinen achtzigsten Geburtstag.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen