© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/12 06. Januar 2012

Viel Rauch, aber kein Funke
Melodram: „Huhn mit Pflaumen“, der zweite Film der Exil-Iranerin Marjane Satrapi, kann die Erwartungen nicht erfüllen
Ellen Kositza

Marjane Satrapis Animationsstreifen „Persepolis“ hatte 2007 internationale Erfolge gefeiert. Bereits der Comic als Filmgrundlage fand über eine Million Käufer. Der vielfach preisgekrönte Film zeichnete, erzählerisch verfremdet, die Kindes- und Jugendjahre der heute 42jährigen Exil-Iranerin Satrapi nach und galt auch deshalb als cinematographischer Meilenstein, weil er der erste weitbeachtete Zeichentrickfilm für Erwachsene war.

Satrapi avancierte mit ihrem flächig-naiv gezeichneten Stück, das frech und anrührend zugleich die revolutionären Zustände in ihrer Heimat Anno 1978/79 veranschaulichte, bald zum Medien- und Intellektuellenliebling. Erst spät, nach ihrem Studium in Wien und ihrem Umzug nach Frankreich, hatte die Künstlerin mit dem Comiczeichnen begonnen, gern verarbeitet sie darin Autobiographisches. Daß man ihr gesagt hat: Du und deine Familie, ihr habt ja echt irre Sachen erlebt – oder ähnlich, das muß auch den Ansporn gegeben haben für ihre 2004 erschienene Graphic Novel „Poulet aux Prounes“, Huhn mit Pflaumen. Diese Comicerzählung hat sie nun in Gemeinschaftsregie mit Vincent Paronnaud zu einem filmischen Stilmix aufbereitet: Der größtenteils konventionell gedrehte Spielfilm, den man unter das Genre Melodram fassen mag, wird punktuell immer wieder gebrochen durch animierte Szenen, durch Sitcom-Einlagen und Phantasiereisen, durch Rückblenden und Vorschauen.

Unter Zuhilfenahme verschiedener innerfamiliär überlieferter Anekdoten schmückt Satrapi im Kern diese aus: Ihr Großonkel Nasser Ali Khan (Mathieu Amalric) ist ein Weltklasse-Geiger (jedenfalls hier, in Wahrheit brillierte er – nebenbei ein kommunistischer Utopist – auf der Tar, einer orientalischen Laute). Weil seine Gattin während eines Streits das wertvolle Instrument zerbrochen hat, sucht er Ersatz. Nasser Ali findet keinen – und beschließt zu sterben. Nicht einmal seine von der Ehefrau liebevoll zubereitete Leibspeise (eben Huhn mit Pflaumen) kann ihn umstimmen.

Darniederliegend – auf dem Bett, das rasch wirklich sein Totenbett sein wird –  läßt er sein Leben Revue passieren, das in seinen seelischen Sphären seit Jahrzehnten nur um seine unerfüllte Liebe zur schönen Irane kreiste. Als gleichwohl lebensbestimmende Nebenfiguren treten auf: seine dominante, kettenrauchende Mutter (Isabella Rosselini), seine zum Zeitpunkt des Sterbeentschlusses noch kleine Tochter in Vorwegnahmen als zynische, alkoholkranke Spielerin (Chiara Mastroianni), sein seit je verzogener Sohn als späterer US-Immigrant, dort dekadent und aalglatt im vorstädtischen Eigenheim zwischen fetten Konsumkids und einer strohdummen Barbiefrau lebend. Dergleichen Einlagen sollen wohl von rasant-überdrehtem Humor zeugen; er gerinnt aber – genau wie in zahlreichen weiteren Szenen, etwa den langatmigen Auftritt des Todesengels Azrael betreffend – zur müden Effekthascherei. Witz ginge anders, Tragik erst recht.

Nicht, daß einen dieser Film ärgerte – es ist womöglich schlimmer: Er langweilt, und beinahe stellt sich ein wenig Mitleid ein. So viel wurde hier gewollt, Drama, Ironie, Experiment; allein, der Funke will nicht zünden. Was geigt eigentlich ein Geiger im Teheran der fünfziger Jahre? Abendländische Klassik, orientalische Kompositionen? Avantgarde? Woran merken wir überhaupt, daß wir hier in persischen Gefilden weilen? Nichts teilt sich mit, kein Flirren, kein Flair oder Charme, nur Glätte und Verwechselbares. Da mögen all die hier gerauchten Glimmstengel noch so sehr die Leinwand bewölken, die Szenerie bleibt steril. Das liegt in der Natur der Sache: Gedreht wurde nicht an Originalschauplätzen, sondern im Babelsberger Studio. Schade eigentlich.

 www.huhn-mit-pflaumen.de

Foto: Nasser Ali (Mathieu Amalric) spielt auf seiner geliebten Geige für seine große Liebe Irâne (Golshifteh Farahani): Tragik geht anders

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