© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/12 06. Januar 2012

Der letzte große Krieger
Ein König als Schlachtherr und Eroberer: Warum es nie gelungen ist, die Gestalt Friedrichs II. vollständig zu verdunkeln
Karlheinz Weissmann

Aus Anlaß des 200. Todestags Friedrichs des Großen, am 17. August 1986, ordnete der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker eine Feierstunde an. Im Schloß Charlottenburg, dem repräsentativsten Ort preußischer Geschichte Berlins, hielt er eine Rede über Friedrich, die zum Teil heftige Reaktionen auslöste. Denn Weizsäcker nannte den König nicht nur eine der „staunenswerten, überragenden Gestalten der deutschen Geschichte“, sondern auch den „bedeutendsten Kriegsherrn seiner Zeit“. Das war angesichts des herrschenden Zeitgeists erstaunlich genug, noch erstaunlicher nur, daß die maßgebende Friedrich-Spezialistin der DDR, die Historikerin Ingrid Mittenzwei, dieser Einschätzung im Prinzip zustimmte. Sie machte deutlich, daß Friedrich nichts weniger war, als jene Karikatur der marxistischen Geschichtsschreibung, sondern eine historische Persönlichkeit, „vielseitig begabt“ und „auch ein großer Militär“.

Angesichts der Bemühungen einer ganzen Generation deutscher Schulmeister und der tonangebenden Kreise Nachkriegsdeutschlands, nicht nur jede Kriegsbegeisterung auszutreiben, sondern auch den „Militarismus“ und jenen „Kommißgeist“, den man gern, wenn auch unzulässig, auf Friedrich zurückführte, waren solche Einschätzungen kaum erwartbar. Eigentlich hatte es so ausgesehen, als werde die „fritzische“ Gesinnung, zu der sich der junge Goethe bekannt hatte, ganz und gar verschwinden. Allein, daß Hitler gern mit Friedrich verglichen wurde und auf dessen Durchhaltewillen Bezug nahm und im Führerbunker bis zum Schluß aus Carlyles Biographie vorgelesen worden war, während der Führer auf ein „Mirakel“ wartete, wie es dem König am Ende des Siebenjährigen Krieges widerfuhr, galt im allgemeinen als hinreichend, um Friedrichs Waffentaten zu diskreditieren oder in den Diskurs der Fachwelt zu verbannen.

Ganz vergessen haben die Deutschen den alten Ruhm trotzdem nie, sei es als Folklore über den „Choral von Leuthen“ oder die Bedeutung der „Schiefen Schlachtordnung“, sei es als sachlich begründeter Hinweis auf das exemplarische Zusammenspiel von „Staatskunst und Kriegshandwerk“ (Gerhard Ritter) im Falle Friedrichs oder die schlichte Tatsache, daß er als letzter roi-connétable – König und Feldherr in einer Person – ins Feld gezogen war. Darauf wies vor allem Theodor Schieder in seinem großen Buch über Friedrich hin, ohne den Begriff gegen den des roi-philosophe auszuspielen. Schieder hob außerdem hervor, wie sehr sich im Fall Friedrichs die Bedeutung als Heerführer von seinem Amt gelöst hat.

Insofern habe man ihn als „charismatischen Helden“ zu betrachten, dessen persönlicher Mut sowieso unbestritten war, der die Bewunderung seiner Soldaten aber auch gewann durch das Unkonventionelle seiner Maßnahmen und Operationen, vor allem die Kühnheit der Vorstöße. Mancher Gegner, wie etwa der österreichische Feldmarschall Daun, wagte trotz zahlenmäßiger Überlegenheit keinen Angriff, und die Aura Friedrichs erlosch nicht einmal in der Niederlage. Wenn Napoleon ihn, trotz detaillierter Kritik seiner Kriegführung, zu den „unsterblichen“ Feldherrn rechnete, hatte das auch mit Friedrichs Fähigkeit zu tun, völlig von seiner Person abzusehen. Bekannt ist, daß er eine Giftphiole in seiner Rocktasche trug, um sich für den Fall der Gefangennahme das Leben zu nehmen, damit Preußen als Staat nicht erpreßbar wurde. Vor der Schlacht bei Zorndorf schrieb er am 22. August 1758 eines jener mehrfach bezeugten Nottestamente als „Ordre an meine Generale dieser Armee, wie sie sich im Falle zu verhalten haben, wenn ich sollte todt geschossen werden“.

Keine gerechte Beurteilung Friedrichs kann von dieser elementaren Verknüpfung zwischen Königtum und Kriegertum absehen. Der ihm schon von den Zeitgenossen zugesprochene Beiname „der Große“ war niemals zu denken ohne sein militärisches Genie. Das erstreckte sich allerdings nicht nur auf die Schlachtenlenkung, sondern auch auf eine besondere und unerwartete Art der Truppenführung, die schon der zeitgenössischen, vor allem aber der heute gängigen Vorstellung von preußischem „Militarismus“ widerspricht.

Franz Uhle-Wettler hat deshalb die Härte des preußischen Drills und der Disziplinarstrafen ausdrücklich jenen Beispielen konfrontiert, die für ein ungewöhnliches Vertrauensverhältnis zwischen dem König und seiner Truppe sprachen. Der eindrucksvollste Fall ist wohl der des Regiments Anhalt-Bernburg, das Friedrich aufgrund seines Versagens bei der Belagerung von Dresden allein mit der Wegnahme von Tressen und Säbeln bestrafte. Nachdem sich das Regiment dann in der Schlacht bei Liegnitz glänzend bewährte, stellte der König seine Ehre wieder her. Er ritt sogar vor das angetretene Regiment, um ihm seinen Respekt zu erweisen. Daraufhin verließ der rechte Flügelmann seine Reihe und erklärte: „Ich danke Eurer Majestät im Namen meiner Kameraden, daß Sie uns unser Recht zukommen lassen.“ Die Berufung auf das „Recht“ der Soldaten quittierte Friedrich keineswegs mit Unmut, vielmehr kam es zu einer Diskussion zwischen dem König und seinen Männern, ob die Bestrafung nach Dresden zu Recht erfolgte, oder ob das Regiment nur schlecht geführt war; der Flügelmann wurde im übrigen prompt zum Unteroffizier befördert.

Man muß dieses und ähnliche Beispiele in jedem Fall neben die saloppe Formel vom „Rendezvous mit dem Ruhm“ stellen, zu dem der junge Fürst aufbrechen ließ, und auch neben die zynischen Äußerungen der späten Jahre. Der Befehl von 1740, die Grenze nach Schlesien zu überschreiten, war nicht einfach der Wunsch nach fürstlicher Selbstbestätigung, sondern hatte von Anfang an mit dem Ziel zu tun, das Lebensgesetz Preußens zu erfüllen und die Beschränkungen zu sprengen, die die conditio borussiae auferlegte. In drei Kriegen hielt Friedrich deshalb zäh an der einmal gewonnenen Beute fest.

Zu betonen ist gleichzeitig, daß er nie Ansprüche auf andere Territorien Österreichs erhob, obwohl es zeitweise so aussah, als ob er Gelegenheit hatte, sie zu annektieren. Diese Rücksichtnahme auf die Gesetze des europäischen Konzerts, das er nicht zerstören, dem er Preußen nur eingliedern wollte, ist auch aufschlußreich, wenn man sie der Entschlossenheit seiner Gegner wenigstens im Siebenjährigen Krieg kontrastiert, als sie nicht nur siegen, sondern auch den „petit Marquis de Brandebourg“ auf jenen Bestand reduzieren wollten, der vor dem Westfälischen Frieden lag.

Später hat Friedrich sein Reich nur noch einmal um einen erheblichen Bestand erweitern können, durch die Beteiligung an der Ersten Polnischen Teilung, als ihm Westpreußen zugeschlagen wurde. Er hat hier getan, was er in bezug auf die Trockenlegung des Oderbruchs sagte: „im Frieden eine ganze Provinz erobert“. Die von ihm geleistete Kolonisationsarbeit rechnete er seinen wirklich bedeutenden Taten zu. Das hervorzuheben, heißt selbstverständlich nicht, die Bedeutung Friedrichs als Feldherr zu leugnen. Ohne seine Bereitschaft, das militärische Machtmittel, das ihm sein Vater – der „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I. – an die Hand gegeben hatte, einzusetzen und letztlich sogar aufs Spiel zu setzen, wäre der Aufstieg Preußens zur Großmacht unmöglich gewesen.

Hans Freyer hat 1944, angesichts der bevorstehenden Katastrophe, eine Studie über Friedrich den Großen verfaßt, die man auch als verdeckte Kritik des nationalsozialistischen Regimes lesen sollte. Es kam ihr aber darüber hinausgehend Bedeutung zu. So hieß es an entscheidender Stelle: „Nicht jeder Staat darf den Weg zur Größe einschlagen wollen, nur derjenige, der die substantiellen Bedingungen zur Größe in seiner Anlage mitbringt. Aber auch wenn diese Bedingungen gegeben sind, muß der Aufstieg durch die Taten der Herrscher geleistet werden, und eben zwischen den Bedingungen zur Größe und dem realen Aufstieg zu ihr liegt die echte Politik.“

Was Freyer hier „echte Politik“ nannte und in bezug zur „Anlage“ eines Staates wie zu den „Taten der Herrscher“ setzte, erklärt, warum es nie gelungen ist, die Gestalt Friedrichs vollständig zu verdunkeln. Und das erklärt auch, warum man selbst in postheroischer Zeit nicht davon absehen kann, in ihm einen Heros und das heißt letztlich einen großen Krieger zu sehen.

Foto: Carl Röchling, Friedrich II. bei Zorndorf 1758 (Öl auf Leinwand, 1904): „Nicht jeder Staat darf den Weg zur Größe einschlagen wollen, nur derjenige, der die substantiellen Bedingungen zur Größe in seiner Anlage mitbringt“

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen