© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/12 06. Januar 2012

„Bleibe daher ein einfacher, guter Mensch“
Friedrich, der Philosoph auf dem Thron: Errungenschaften wie die Abschaffung der Folter, die Unabhängigkeit der Justiz und die Presse- und Religionsfreiheit
Erik Lehnert

Daß sich Macht und Geist verbinden mögen, ist vermutlich einer der ältesten staatspolitischen Wünsche. Nur der „weise Herrscher“ garantiert die Ordnung, übt Gerechtigkeit gegen jedermann und kann das Volk zu allgemeiner Wohlfahrt führen. Diese Vorstellungen schlagen sich nicht nur in religiösen (König Salomo) und mythischen (König der Löwen) Vorstellungen nieder, sondern haben auch historische Verwirklichungen gefunden – wenn auch selten.

Immerhin handelt es sich um ein Idealbild, von dem in der Realität immer Abstriche gemacht werden müssen. Wenn wir Platons klassische Forderung nehmen, dürfte die Diskrepanz deutlich werden: „Wenn nicht entweder die Philosophen Könige werden (…) oder die, die man heute Könige nennt, echte und gründliche Philosophen werden, und wenn dies nicht in eines zusammenfällt: die Macht in der Stadt und die Philosophie (…) so wird es mit dem Elend kein Ende haben.“

Nun ist es heute schwer einzusehen, was der Philosoph mit dem gerechten Herrscher zu tun hat. Während heute die Philosophie den Professoren vorbehalten zu sein scheint, war noch im 18. Jahrhundert ein Philosoph jemand, der für sein Handeln Gründe hatte. Jemand, der sich nicht von Leidenschaften oder der Mehrheitsmeinung lenken läßt. Bei Sokrates, Platons Hauptfigur, ist das der Fall, und auch für Friedrich den Großen, der ausdrücklich als Philosoph auf dem Thron angesehen wurde, muß das gegolten haben. Er bildet mit dieser Zuschreibung ganz sicher eine Ausnahme, wenn man von seinem Namensvetter, dem Hohenstaufen, einmal absieht.

Es ist jedoch nicht so, daß er damit völlig aus dem Rahmen gefallen wäre: Sich mit Philosophie zu beschäftigen gehörte im Aufklärungszeitalter zum guten Ton, die absoluten Herrscher machten da keine Ausnahme. Selbst Friedrichs Vater, der ja in allen Belangen als das Gegenteil seines Sohnes gilt, beschäftige sich in seinen letzten Jahren mit der Philosophie Christian Wolffs (den er 1723 aus Preußen verbannt hatte). Der Unterschied liegt vor allem darin, daß Friedrich nicht nur rezipierte, sondern den Anspruch hatte, selbst schöpferisch Philosophie zu betreiben und sein Tun an ihr auszurichten.

Bereits Kronprinz Friedrich war als Freigeist bekannt, der sich mit den Schriften Wolffs beschäftigte, vor allem aber mit den viel radikaleren französischen Aufklärern, besonders Voltaire, sympathisierte. Dementsprechend ist Philosophie für Friedrich nicht nur der private Glaube an die Vernunft, sondern auch die politische Forderung, den Kampf gegen den Fanatismus der Priester und die Kleingeisterei der Schulmeister zu führen. „Die Philosophie erinnert uns, unsere Pflicht zu tun, unserem Vaterlande auf Kosten unseres Blute und unserer Ruhe zu dienen, und ihm uns selbst ganz aufzuopfern“, heißt es in einem Brief an Voltaire.

Die Philosophie hat bei Friedrich eine lebenspraktische Aufgabe, die es ihm ermöglichen soll, seiner Rolle als König gerecht zu werden. Wer die Gefahren der Selbstreflexion kennt, wird sich wundern, daß Friedrich trotz der ganzen Grübelei so voller Tatendrang war. An seiner Aufgabe hat er nie gezweifelt, sie war ihm durch seine Herkunft vorgegeben. Nur die Umsetzung wollte bedacht sein. Und hier gibt es wohl kaum einen zweiten, der so wie Friedrich nach Gründen für sein Handeln gesucht hätte.

Er orientierte sich dabei an Vorbildern wie Kaiser Mark Aurel, der mit seinen Selbstbetrachtungen ebenfalls als Philosoph auf dem Thron gelten darf. Bei ihm heißt es: „Hüte dich, daß du nicht verkaiserst oder angesteckt wirst. (…) Bleibe daher ein einfacher, guter Mensch, ohne Falsch, voll Ernst und Würde, schlicht und natürlich, ein Freund der Gerechtigkeit, gottesfürchtig und gütig, voll Liebe zu deinen Verwandten und stark zur Erfüllung deiner Pflichten.“ Friedrich bemühte sich, dieser Forderung zu entsprechen; die krasse Menschenverachtung der späten Jahre gehört ins Reich der Legenden. Friedrich sah aber ebenso klar, daß die harte Pflichtethik nicht für alle gelten kann: Das Volk will für Tugend belohnt werden, scheut die Einsamkeit und sehnt sich nach einem Leben in Sicherheit.

Daß auch Friedrich Mensch blieb, wird bereits daraus deutlich, daß er seinem Anspruch nicht immer gerecht werden konnte. Seine anfängliche Ruhmessucht, die ihm später selbst suspekt war, gehört beispielsweise dazu. Doch vieles von dem, was die Aufklärung forderte, setzte Friedrich tatsächlich um: Abschaffung der Folter, Unabhängigkeit der Justiz, Presse- und Religionsfreiheit. Kant pries ihn deshalb als denjenigen, „der zuerst das menschliche Geschlecht der Unmündigkeit, wenigstens von seiten der Regierung, entschlug und jedem frei ließ, sich in allem, was Gewissensangelegenheit ist, seiner eigenen Vernunft zu bedienen“.

Friedrich formte an seinem Beispiel die französische Aufklärung um, indem er ihr eine existentielle Tiefe gab, die sie bei einem Intellektuellen wie Voltaire, der für nichts und niemanden verantwortlich war, niemals haben konnte. Insofern ist er in der deutschen Geschichte eine Ausnahmegestalt, die der Einheit von Geist und Macht wohl von allen Herrschern am nächsten gekommen ist.

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