© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/12 06. Januar 2012

Frisch gepresst

Getrübte Landlust. Auf 45.000 Fotos, aufgenommen zwischen 1958 und 1988, hat der Schleswiger Volkskundler Arnold Lühning den Untergang der Vormoderne in Dörfern und Kleinstädten nördlich der Elbe dokumentiert. Wie sein beühmter Vorgänger, der Fotograf Theodor Möller, der als Aktivist der Heimatschutzbewegung (JF 51/11) den Einbruch der Industrialisierung ins ländliche Gefüge schon vor 1914 festhielt, stimmt auch Lühning kulturpessimistische Töne an, wenn er die verheerenden Folgen des „Grünen Planes“ der Brüsseler EWG beklagt. Aber der weltkundige Wissenschaftler machte sich keine Illusionen über die Möglichkeit, diesen Prozeß noch aufhalten zu können. So lichtete er die Architektur und das Hausgerät der 1945 überall überdauernden, dann aber rasch entsorgten, nur zum kleinsten Teil museal konservierten agrarischen Lebenswelt mit positivistischer Leidenschaftslosigkeit ab. Der vergleichende Blick, den die Auswahl aus Lühnings Fundus eröffnet, zeigt, daß die Landlust sich heute nur an Rudimenten entzünden kann. (kn)

Carsten Fleischhauer, Guntram Turkowski: Was vom Lande übrigblieb. Eine untergegangene Epoche. Boyens Verlag, Heide 2011, gebunden, 160 Seiten, Abbildungen, 19,90 Euro

 

Reiseführer. Die kulturwissenschaftlich sehr beliebt gewordene Beschäftigung mit dem literarischen Genre der Reiseführer folgt durchweg altbackenen soziologischen „Vorurteils“-Rastern. Aus diesen Fesseln kann sich auch ein Sammelband nicht befreien, der den „genormten Blick aufs Fremde“ in jenen Baedekern und Polyglotts zu entdecken sucht, die den Reisenden in die deutschen Ostprovinzen und deren Nachbarstaaten begleiteten. Die Resultate sind entsprechend überraschungsfrei. Beispielsweise bei Iris Engemann, die polnischen Danzig-Führern nach 1945 eine „stark polemisierende Legitimationsgeschichte des polnischen Gdansk“ entnimmt. Beachtlicher ist hingegen Jerzy Kalaznys Fingerzeig auf die russische Umdeutung der Geschichte Ostpreußens im „gesamteuropäischen Sinn“, die auf eine „Relativierung der deutschen Prägung“ hinauslaufe. Insofern kommt die von deutschen Historikern wie dem Mitherausgeber Loew emsig betriebene retrospektive Multikulturalisierung der Provinzen West- und Ostpreußen wohl soeben als gesunkenes Kulturgut in der postsowjetischen Touristikbranche an. (jr)

Rudolf Jaworski, Peter Oliver Loew (Hrsg.): Der genormte Blick aufs Fremde. Reiseführer in und über Mitteleuropa. Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2011,  broschiert, 290 Seiten, Abb., 24 Euro

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