© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/12 06. Januar 2012

Heimat beginnt am Nummernschild
Eine Heilbronner Initiative will das Recht auf den eigenen Stadtnamen im Kfz-Kennzeichen durchsetzen – Jubel bei Bürgermeistern
Paul Leonhard

Der Wagen rast über die Autobahn. Der Mann am Steuer genießt es, und die Familie langweilt sich. Die Kinder beginnen schließlich ein beliebtes Spiel: Kennzeichenraten. Wo ist beispielsweise der rote Porsche mit dem „S“ her und der Mercedes mit dem „HAL“? Fragen, die einfach zu beantworten sind. Und der Opel mit dem „HB“ stammt natürlich aus der Hansestadt Bremen, die dieses Zeichen bereits seit 1907, dem Jahr der Einführung einheitlicher Kennzeichen im Deutschen Reich, führt.

Aber was ist „NVP“? Da muß man schon im ADAC-Kalender nachschauen, um auf die Lösung zu kommen: Es handelt sich um ein Auto aus dem Landkreis Nordvorpommern. Aber warum hat der Passat-Fahrer mit dem „ZI“ noch ein Nummernschild in der Ablage liegen, das ein „LÖB“ zeigt? Eingeweihte wissen, daß es sich um einen Fahrer aus dem ostsächsischen Löbau handelt, der nach der Kreisgebietsreform einfach der ungeliebten Konkurrenzstadt Zittau zugeschlagen wurde. Allerdings hat diese wiederum in der nächsten Runde ihr „ZI“ an den Großkreis Görlitz verloren und muß nun ein „GR“ bei Neuanmeldungen dulden.

Aber vielleicht nicht mehr lange. Denn in Heilbronn wird die Revolution geplant. Von hier aus hat Professor Ralf Borchert, Studiendekan des Studiengangs Tourismusmanagement, seine „Heilbronner Initiative Kennzeichenliberalisierung“ angeschoben. Und deren Grundthese lautet: Deutschlands Autofahrer sind konservativ und heimatverbunden. Zumindest wenn es um die amtlichen Kennzeichen ihrer Fahrzeuge geht. Denn viele schmerzt nach Gebietsreformen der Verlust der vertrauten schwarzen Buchstaben auf weißem Grund. Borchert spricht vom „Wunsch der Menschen nach einer kleinräumigeren Identifikation“. Dabei beruft er sich auf die Befragung von mehr als 25.000 Personen aus 111 Städten in den Jahren 2010 und 2011. Das eindeutige Ergebnis habe ihn selbst überrascht, sagt der Professor. Eigentlich sei er davon ausgegangen, daß den meisten Leuten egal sei, was auf ihrem Kennzeichen steht. Aber selbst zwei Drittel der Befragten in den alten Bundesländern, in denen die Gebietsreformen und der damit verbundene Kennzeichenverlust zum Großteil bereits in den 1970er Jahren durchgeführt wurden, plädierten für eine Rückbenennung. „Auch jüngere Westdeutsche, die eigentlich weniger mit ihrem Heimatort verwurzelt sind als ältere, stimmten dafür“, staunte der Heilbronner. Die Menschen „wissen, wo sie hingehören und wollen das auch zeigen“.

Borchert, der Destinationsmanagement und Volkswirtschaftslehre lehrt, schlägt die Ausweitung des „Hanauer Modells“ auf ganz Deutschland vor. Im Main-Kinzig-Kreis („MKK“) wurde für die kreisangehörige Stadt Hanau mit „HU“ ein eigenes Kennzeichen gesichert. Auch könnten die Altkennzeichen zusätzlich zum Landkreiskennzeichen bei Neuzulassungen wieder vergeben werden, indem man einem Landkreis mehrere Ortskennungen zuordnet. „Diese Lösung wäre als sehr bürgerfreundlich einzustufen, weil sie auf Freiwilligkeit beruht“, so Borchert: „Niemand würde zu dem alt-neuen Kennzeichen gezwungen.“ Überdies erhielte der Landkreis die Möglichkeit zu höheren Einnahmen wegen der Wunschkennzeichengebühr.

Die Bürgermeister und Gemeindevertretungen von mehr als 125 Städten haben die wissenschaftliche Vorgabe aus Heilbronn für ein „Recht auf den eigenen Stadtnamen im Nummernschild“ inzwischen genutzt. Sie wollen ihre alten Kennzeichen zurück, weil sie sich davon eine Identifikations- und Bekanntheitssteigerung erhoffen.

In Baden-Württemberg sind es zwölf, in Nordrhein-Westfalen zehn, in Sachsen 18 Kommunen. Zur Zeit sieht es so aus, als würde der Heilbronner Professor „Kennzeichen-Geschichte“ schreiben. In Mecklenburg-Vorpommern hat das Verkehrsministerium zugestimmt, daß fünf ehemalige kreisfreie Städte ihre Kennzeichen behalten dürfen. So müssen die Rügener nicht auf ihr „RÜG“ verzichten, und auch Greifswald, Stralsund und Wismar können weiterhin auf ihre Vergangenheit als freie Hansestädte verweisen.

Die Heilbronner Initiative hat inzwischen auch die Bundesregierung erreicht. Aktuell beschäftigt sich eine Unterarbeitsgruppe des Bund-Länder-Fachausschusses „Fahrzeugzulassung“ mit den nötigen Änderungen der Fahrzeugzulassungsverordnung. Noch in diesem Jahr wird mit einer abschließenden Entscheidung des Bundesrates gerechnet. „Den meisten Menschen ist es gar nicht so unwichtig, was sie mit ihrem Nummernschild am Auto präsentieren“, sagt Borchert und nennt auch den Grund: „Identifikation, Verwurzelung, Verortung“.

Foto: Ralf Borchert vor dem Rathaus in Wernigerode: Auch im Harz will man das Altkennzeichen behalten 

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