© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/12 20. Januar 2012

„Ich glaube, wir schaffen es nicht mehr“
Integrationsbericht: Die Bundesregierung verfehlt ihre Ziele bei der Eingliederung von Einwanderern deutlich
Michael Martin

Als sich die Bundesregierung vor einigen Jahren entschloß, eine Studie über den Stand der Integration von Zuwanderern zu erstellen, war bereits absehbar, daß der Bericht, der nun in seiner zweiten Auflage erschien, vor allem dazu dienen soll, um Fortschritte zu verkünden. Es mag nicht ins Bild passen, daß sich die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), bei der Präsentation in der vergangenen Woche alle Mühe gab, eine positive Bilanz zu ziehen, während zeitgleich die Bild-Zeitung in einer mehrteiligen Serie Alarm schlug und vom Scheitern der multikulturellen Gesellschaft schrieb.

Die offizielle Lesart hört sich jedenfalls anders an: Die Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund, insbesondere der in Deutschland geborenen, am gesellschaftlichen Leben habe sich deutlich „verbessert“, heißt es in dem zweiten vorgelegten Bericht, der auf Daten des Mikrozensus basiert, die zwischen 2005 und 2010 erhoben wurden. Demnach seien besonders in den Themenfeldern Bildung, Ausbildung und Frühförderung Fortschritte erkennbar. Parallel zu einem „positiven Trend in der Gesamtbevölkerung“ seien auch Verbesserungen bei Schülern mit Migrationshintergrund zu verzeichnen. So sei der Anteil der Jugendlichen aus Einwandererfamilien ohne Schulabschluß mit minus 15 Prozent stärker gesunken als in der Gruppe derer ohne Migrationshintergrund.

Das 260eitige Papier, das im Internet auf der Seite der Bundesregierung abrufbar ist, untersucht anhand von 64 Indikatoren, inwieweit sich die Lebensverhältnisse der Zuwanderer seit dem Jahr 2005 denen der übrigen Gesellschaft angeglichen haben. Es ist eine der bislang umfassendsten Untersuchungen zu dem Thema in Deutschland. Und sie verdeutlicht, daß nach wie vor gravierende Unterschiede bestehen. Dies macht sich beispielsweise bei der frühkindlichen Bildung in Kindertagesstätten bemerkbar, die als Grundlage für gutes Deutsch gilt.

Laut Statistik lassen Zuwandererfamilien ihre Kinder unter drei Jahren zu 12,2 Prozent und damit viel seltener in einer Kita betreuen als andere (27,7 Prozent). Aus familienpolitischer Sicht durchaus keine verwerfliche Tatsache, als problematisch erweist sich aber die Tatsache, daß in den überwiegenden Fällen der Zuwandererfamilien die Muttersprache nach wie vor nicht Deutsch ist. Auch auf anderen Gebieten stellt der Integrationsbericht große Unterschiede im Vergleich zur deutschen Bevölkerung fest. So ist beispielsweise der Anteil der Jugendlichen aus Migrantenfamilien ohne Schulabschluß trotz eines Rückgangs auf 4,4 Prozent im Vergleich mehr als doppelt so hoch wie der deutscher Jugendlicher (1,6 Prozent).

Dennoch zeigte sich Maria Böhmer zufrieden: „Wir haben Grund relativ optimistisch zu sein“, sagte sie. Die Integrationsbeauftragte der Regierung bezog sich bei der Vorstellung des zweiten Fortschrittsberichts allerdings nicht direkt auf den 2007 beschlossenen „Nationalen Integrationsplan“. Dessen Ziele werden nämlich aller Voraussicht nach deutlich verfehlt. So ist der Anteil jugendlicher Migranten ohne Schulabschluß von 5,1 Prozent im Jahr 2005 nur auf 4,4 Prozent 2010 gesunken. Die angestrebte Betreuungsquote von 35 Prozent bei unter Dreijährigen für das Jahr 2013 liegt angesichts von aktuell 12,2 Prozent ebenfalls in weiter Ferne. „Ich glaube, wir schaffen das nicht mehr“, sagte sie der Süddeutschen Zeitung. „Hier brauchen wir mehr Tempo.“

Immer noch sehr groß sind die Unterschiede auf dem Arbeitsmarkt. Zwar sank die Arbeitslosenquote unter Einwanderern in dem Fünf-Jahres-Zeitraum von 18,1 auf 11,8 Prozent. Dennoch sind sechs Prozent der Einwanderer länger als ein Jahr arbeitslos gemeldet. Bei den Deutschen sind es drei Prozent. Das Muster, daß Einwanderer doppelt so häufig ohne Arbeitseinkommen bleiben wie einheimische Deutsche, hält sich demnach standhaft. Auch ein weiteres Ziel des Integrationsplans wurde verfehlt – nämlich bei der Anwerbung im öffentlichen Dienst. Hier hatten Bund und Länder vor Jahren vereinbart, sich mehr um Einwanderer zu bemühen, doch ihr Anteil hat seit 2005 sogar leicht abgenommen.

Ein eigenes Kapitel ist dem Reizthema „erhöhte Kriminalität unter Zuwanderern“ gewidmet. Hier zeigt die Statistik Erschreckendes: Demnach werden Ausländer doppelt so oft vor Gericht verurteilt wie der Durchschnitt. Die Kriminalstatistik erfaßt dabei jedoch nur Bürger mit ausländischem Paß, Migranten mit deutscher Staatsbürgerschaft werden nicht eigens registriert. Daher gilt diese Statistik auch nur als begrenzt aussagekräftig. Bei Gewaltdelikten wie Raub oder Totschlag sind Ausländer häufiger vertreten. Hier verweisen die Autoren auf soziale Faktoren wie die Armut vieler Migrantenfamilien und das junge Alter. Jugendliche würden generell eher zu Gewalttaten neigen. Bei allem öffentlich zur Schau gestellten Optimismus mußte denn auch die Integrationsbeauftragte Böhmer einsehen: „Das Ziel der gleichen Teilhabe aller Menschen an der Gesellschaft ist noch nicht erreicht.“

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