© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/12 20. Januar 2012

Zeitgeist-Beschwörung mit Worthülsen
CDU: Die „Kieler Erklärung“ offenbart den programmatischen Niedergang und die Sozialdemokratisierung der Union
Paul Rosen

Ihren programmatischen Niedergang hatte die CDU im Dezember 2007 vollendet. Damals stellte Kanzlerin Angela Merkel auf dem Parteitag in Hannover fest: „Wo wir sind, ist die Mitte. Wo die Mitte ist, sind wir.“ Seitdem ist die CDU sich treu und in der Beliebigkeit steckengeblieben. Auch die am Wochenende mit Blick auf die am 6. Mai anstehende Landtagswahl in Schleswig-Holstein vom Bundesvorstand beschlossene „Kieler Erklärung“ ist gefüllt mit Leerformeln, Worthülsen und Zeitgeist-Beschwörungen.

Merkel und die CDU-Führung haben sich den Sozialdemokraten so weit angeglichen, daß man von einer Verbrüderung sprechen kann. Unterschiede in der Atompolitik, Schulpolitik und bei der Wehrpflicht sind eingeebnet. Für den Mindestlohn laufen die gesetzgeberischen Vorarbeiten ebenso wie für die Finanztransaktionssteuer. Auch die Frauenquote in Aufsichtsräten ist in Vorbereitung.

Vielleicht wird demnächst sogar gemeinsam mit der SPD ein Bundespräsident gewählt, falls die Causa Wulff sich doch noch zu einem Rücktritt ausweiten sollte. Dabei dürften die Liberalen sogar mitreden, „wenn die Kanzlerin so nett ist, sie mitreden zu lassen. Gebraucht werden sie nicht“, kommentierte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung die Lage nicht nur bei der Suche nach einem Nachfolger für Bundespräsident Wulff. Auch in allen anderen Fragen wird die FDP schlichtweg übergangen. Sie hat ausgedient. Merkel, die Inhaberin der Macht, sucht neue Mehrheiten.

Wie nah CDU und SPD in dem bisher von Union und FDP regierten Schleswig-Holstein sind, war in der FAZ nachzulesen: „Mehrausgaben für Bildung bei strikter Haushaltsdisziplin – das könnte das landespolitische Thema für die Wahl in Schleswig-Holstein sein. SPD und CDU unterscheiden sich dabei eigentlich nur in Nuancen.“ Die Sozialdemokratisierung der CDU zeigte sich jüngst auch im Saarland, wo die FDP aus der Regierung flog und das Bündnis mit der SPD folgt.

Vergebens sucht man in der Kieler Erklärung konservative Begriffe wie Sitte, Anstand, Moral und Ehrlichkeit. Dazu wäre viel zu sagen und zu schreiben gewesen, nachdem Wulffs Affäre die Menschen aufwühlt und Fragen nach der Gültigkeit von Werten für die politische Klasse stellen läßt. Aber auch wer in dem CDU-Papier Aussagen zu Vaterland, Nation und Familie suchen sollte, wird enttäuscht werden. Statt dessen wird der Leser in einer Zeit, in der der Euro-Rettungsschirm von den Ratingagenturen herabgestuft wird, mit Euro-Lyrik überhäuft: „Wir haben erfolgreich die Weichen für die Stabilitätsunion in Europa gestellt und setzen auch weiterhin auf eine konsequente Haushaltskonsolidierung im eigenen Land“, heißt es gleich in der Einleitung. Das sagt ausgerechnet die Regierungspartei CDU, die Anleihekäufe durch die Europäische Zentralbank und damit das zur Inflation führende Anwerfen der Notenpresse hinnimmt.

Verdeckt und schwammig formuliert wird der Zuwanderung zur Überwindung der demographischen Probleme das Wort geredet. Statt sich Gedanken zu machen, wie es zu mehr Geburten hierzulande kommen und wie der Wegzug junger deutscher Akademiker ins Ausland gestoppt werden könnte, heißt es zur demographischen Lage, „wir wollen dieser Herausforderung begegnen, indem wir noch mehr Menschen in unserem Land durch exzellente Bildung Chancen geben und gleichzeitig attraktiv für die klügsten Köpfe weltweit sind“.

Wenn ein deutscher Politiker redet, darf der Begriff Bildung nicht fehlen. Genauso ist es in der Erklärung, in der wiederholt die „Bildungsrepublik Deutschland“ ausgerufen wird. In einer Zeit, in der das Schulsystem selbst in mittleren Städten aufgrund des hohen Ausländeranteils zusammenzubrechen beginnt und viele Schüler weder das Lesen, Schreiben noch die Grundrechenarten richtig lernen, sind Ausgaben für Bildung und Forschung laut CDU „die wichtigsten Zukunftsinvestitionen“. Dabei pumpt man seit Jahrzehnten immer mehr Geld in die Bildung und ignoriert, daß das Niveau immer schlechter wird.

Fahrlässig sind die CDU-Aussagen zur Energiepolitik. Der Atomausstieg wird gelobt, die regenerativen Ener-gien und die Energieeffizienz werden beschworen. Um hier erfolgreich zu sein und ohne Atomstrom auszukommen, muß der Energieverbrauch gesenkt werden. Zugleich will die CDU aber, daß Deutschland bis 2020 zum „Leitanbieter des Internets der Dinge und des Internets der Dienste“ wird. Das geht mit einem stark steigenden Energiedurst einher, den Deutschlands genossenschaftlich organisierte Windrad-Lobbyisten und das Photovoltaik-Bürgertum nicht werden stillen können.

Foto: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Kiel: Auf vielen Gebieten sind die Unterschiede zur SPD mittlerweile eingeebnet worden

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