© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/12 20. Januar 2012

Das ißt Deutschland
Lebensmittel: Gutes Essen soll kein Luxus sein, und die Landwirtschaft ist nach wie vor bäuerlich geprägt
Michael Martin

Der ehemalige Hoffnungsträger der Grünen, Oswald Metzger, den es schließlich zur CDU verschlug, sagte einmal über die Lebensmittelpreise in Deutschland: „Wir Deutschen wollen für Fleisch nur soviel ausgeben wie für Hundefutter und wundern uns dann, daß wir Hundefutter bekommen.“

Ganz so drastisch stellt sich die Realität nicht dar, aber gemessen am inner-europäischen Vergleich sind die Nahrungsmittelpreise in Deutschland zivil: „Die Inflationsrate – gemessen an der Veränderung des Verbraucherpreisindex gegenüber dem entsprechenden Vorjahreswert – lag in Deutschland 2010 bei 1,1 Prozent. Das Preisniveau für Nahrungsmittel lag mit plus 1,4 Prozent nur wenig über der allgemeinen Inflationsrate. Ähnlich ist es auch in 2011. Im Jahresdurchschnitt wird eine Inflationsrate von 2,3 Prozent geschätzt. Die darin enthaltenen Nahrungsmittelkosten steigen trotz der weltweiten knappen Versorgungssituation nur um etwa 2,8 Prozent“, heißt es im Situationsbericht des Deutschen Bauernverbands (DBV). Auch seien die Nahrungsmittelpreise generell in der Geschichte der Bundesrepublik inflationshemmend gewesen, heißt es weiter.

Im EU-Vergleich zeigt sich, daß das Leben in den nordeuropäischen Ländern deutlich teurer ist als in Südeuropa. Durchschnittlich geben die Deutschen derzeit nur rund elf Prozent ihres Einkommens für Essen und Trinken aus, dies wird mit der Preisstabilität bei gleichzeitig steigenden Löhnen erklärt. Der Bauernverband klagt, daß sich der Verkaufserlös für den Produzenten in den vergangenen 60 Jahren fast gedrittelt habe. Preisschwankungen bei Brot werden nicht etwa auf Teuerungen der Rohstoffe zurückgeführt, sondern auf die steigenden Lohnnebenkosten. „Damit man den Preis für ein Brötchen um einen Cent anheben kann, müßte man den Getreidepreis verdoppeln, damit der Landwirt davon profitiert“, erklärt DBV-Präsident Gerd Sonnleitner.

Im Verkaufssektor berichtet der DBV von einem Trend hin zu Ketten wie Edeka und Rewe, die den Discountern den Rang abgelaufen hätten. Dabei ist im internationalen Vergleich der Discounter-Anteil mit 44 Prozent in Deutschland immer noch sehr hoch. Als besorgniserregend wird die Tatsache angeführt, daß jeder Deutsche pro Jahr Lebensmittel im Wert von 330 Euro wegwerfe.

Besonderen Auftrieb haben in den vergangenen Jahren Lebensmittelmärkte erhalten, die mit dem Etikett „Bio“ werben. Solche Produkte, die längst auch den Einzug in die Regale herkömmlicher Supermärkte gefunden haben, gelten nach wie vor als ausgesprochen schick. Rund 22.000 „ökologisch wirtschaftende Betriebe“ gibt es derzeit in der Bundesrepublik, das bedeutet EU-weit den dritten Rang hinter Portugal und Italien.

Die Tendenz ist weiter steigend, doch die Umstellung eines Betriebs beinhaltet auch Risiken. Der Landwirt muß eine zweijährige Zeitspanne und hohe Kosten einkalkulieren, erst danach winken ihm höhere Erlöse. Seit Jahresbeginn dürfen deutsche Biolandwirte ihre Schweine und ihr Geflügel nur noch mit zu hundert Prozent ökologisch hergestelltem Futter füttern.

Die Nachfrage nach ökologisch erzeugten Lebensmitteln hat in den letzten Jahren stetig zugenommen. Die Wachstumsraten lagen bis 2008 im zweistelligen Bereich. Nachdem 2009 keine weitere Umsatzsteigerung verzeichnet werden konnte, hat der Markt für Bioprodukte in Deutschland im Jahr 2010 wieder leicht angezogen. Trotz Preisrückgängen stieg der Umsatz bei den wichtigsten Ökoprodukten jeweils im einstelligen Bereich. Vor allem bei ökologisch produziertem Frischgemüse konnten 2010 höhere Absatzmengen erzielt werden.

Deutschland ist mit Abstand der größte Absatzmarkt für Biolebensmittel in Europa; mit 71 Euro pro Kopf und Jahr ist der Konsum überdurchschnittlich. Der Dioxin-Fall Anfang des vergangenen Jahres hat zu einem sprunghaften Anstieg in Höhe von 57 Prozent beim Verkauf von Bioeiern geführt. Solche Kaufentscheidungen haben nicht immer etwas mit Rationalität zu tun. Denn nur ein Jahr zuvor waren die Verhältnisse noch genau umgekehrt: Weil Erzeuger von Bioeiern mit Dioxinen kontaminierten Futtermais bezogen hatten, blieben ihre Produkte im Regal und die Nachfrage nach konventionell erzeugten Eiern stieg. Grundsätzlich ist die Gefahr einer höheren Dioxin-Kontaminierung bei Tieren in Freilandhaltung sogar höher. Andererseits geht in Deutschland die Dioxin-Belastung für den menschlichen Körper seit Jahren zurück – und war auch während der entsprechenden „Skandale“ nie ernsthaft gesundheitsgefährdend.

Unterdessen geht die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe mit aktuell rund 320.000 immer noch leicht zurück, insgesamt hat sich der Strukturwandel aber verlangsamt. Dennoch geht der Trend aber weiterhin ungebrochen zu größeren Betrieben. Die Preise gelten weiterhin als stabil, auch auf dem Milch-Markt wurden die Turbulenzen reguliert.

Karl-Heinz Funke, einst sozialdemokratischer Bundeslandwirtschaftsminister, führt noch einen traditionellen Betrieb. Er selbst sagt, daß die relativ geringen Preise auch eine soziale Funktion erfüllen. Ein deutscher Facharbeiter habe 1970 für ein Kotelett anderthalb Stunden arbeiten müssen, heute nur noch weniger als eine halbe Stunde. „Ich halte das für einen Fortschritt“, zitiert ihn die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Funke sieht den Trend hin zu den Großbetrieben mit gemischten Gefühlen.

Und er erhält Unterstützung. Vom niedersächsischen Agrarminister Gert Lindemann zum Beispiel. „Wir brauchen eine moderne, arbeitsteilige Landwirtschaft“, sagte der CDU-Politiker der Osnabrücker Zeitung. Das sei aber keineswegs ein Widerspruch zu seiner Vorstellung von einer bäuerlichen Landwirtschaft. Denn es bedeute nicht Betriebswachstum um jeden Preis. „Wir brauchen keine großgewerblichen, agrarindustriellen Betriebe. Landwirtschaft darf man nicht Kapitalgesellschaften überlassen“, sagt Lindemann. Irgendwie ist die Diskussion „typisch deutsch“. Es soll möglichst wenig kosten, aber eine hohe Qualität haben.

Und empfänglich für Hysterie ist der deutsche Verbraucher allemal. Als unlängst Keime in Hähnchenfleisch gefunden wurden, war die Aufregung groß. Umweltschützer und Verbraucherverbände sahen sich bestätigt, die widerstandsfähigen Erreger seien unmittelbare Folge des „Antibiotikamißbrauchs“ in der Landwirtschaft, die industrielle Tierhaltung müsse „zurückgedrängt“ werden, um „Kollateralschäden“ zu vermeiden. Dabei ist bis heute nicht einmal geklärt, ob die Verunreinigungen überhaupt bei der Tierhaltung entstanden sind oder durch mangelnde menschliche Hygiene.

CDU-Politiker Lindemann warnt jedenfalls vor einem gefährlichen Spiel mit dem Ruf nach teuren Lebensmitteln. Dies habe nicht unbedingt Auswirkungen auf deren Qualität. Der Satz Oswald Metzgers hat ihm dabei wohl nicht in den Ohren geklingelt.

Internationale Grüne Woche: Die welt- größte Messe zum Thema Ernährung und Landwirtschaft findet vom 20. bis 29. Januar in Berlin statt.

www.gruenewoche.de

Foto: Von Feld und Wiese auf den Teller: Durchschnittlich geben die Deutschen nur rund elf Prozent ihres Einkommens für Essen und Trinken aus

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