© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/12 20. Januar 2012

Warum der Islam nicht zu Europa gehört
Die Wüstenreligion
Baal Müller

Die Konservativen sollten den Islam fürchten, da er sich über seine Feindbilder stabilisiert und den Westen destabilisiert, meinte der Soziologe Manfred Kleine-Hartlage vor zwei Wochen an dieser Stelle (JF 2/12). Der Philosoph Baal Müller geht noch weiter: Er sieht im „Dialog der Kulturen“ lediglich einen Waffenstillstand.

Wenn Konservative sich gegen pauschale Islamkritik aussprechen, kann dies viele Gründe haben: etwa deren reißerischer Ton oder eine gewisse Schadenfreude darüber, daß linksliberale Multikulturalisten im Zuge der Islamisierung ernten werden, was sie selbst gesät haben. Ist das erste Motiv verständlich und das zweite wenigstens nachvollziehbar, so sollte doch unbedingt widersprochen werden, wo sich mehr als eine strategische Allianz mit dem Islam abzeichnet.

Eine solche kann in der Außenpolitik verfolgt werden, um Deutschland aus der ideologisch fixierten Bindung an „den Westen“, das heißt oft nur an amerikanische oder israelische Interessen, herauszulösen. Innenpolitisch aber fördert jedes Eingehen auf muslimische Wünsche angesichts der demographischen Entwicklung und des enormen zivilisatorischen Verfalls, der mit einer Islamisierung Europas unweigerlich einhergeht, den kollektiven Selbstmord.

Aus islamischer Perspektive sind christliche Konservative ebenso Ungläubige, die zu unterwerfen, zu töten oder zu bekehren sind, wie postchristliche Linke, Feministinnen, „Gender-Theoretiker“ oder Homo-Aktivisten. Auch mancher „Antifaschist“, der mit muslimischen Immigranten den Schulterschluß „gegen Rechts“ suchte, bekam schmerzlich zu spüren, daß er „auf seine Herkunft reduziert wurde“.

Oberflächlich gesehen mag es verwirren, wenn etwa türkische Muslime, die in ihrer Heimat die konservative AKP wählen würden, in Deutschland für Rot-Grün votieren, aber dieser Widerspruch löst sich auf, wenn man bedenkt, daß sie jeweils genau die politischen Kräfte unterstützen, die ihren Interessen am meisten entgegenkommen.

Der Islamkritiker Manfred Kleine-Hartlage („Das Dschihadsystem“) hat daher mit Recht darauf hingewiesen (JF 2/12), daß keine Geschichtsklitterung beziehungsweise Beschwörung christlich-muslimischer Gemeinsamkeiten in einzelnen religiösen oder moralischen Auffassungen die Differenz zwischen „uns“ und „den anderen“ aus der Welt schaffen kann.

Ein dauerhafter Frieden zwischen Muslimen und Nichtmuslimen ist daher nicht möglich; der Dschihad mit dem Endziel der Welt-Islamisierung bleibt, bei aller flexiblen Auslegung im Detail, das Agens muslimischer Expansionspolitik. Mit den „Ungläubigen“ wird es nach der vom Propheten Mohammed vorgegebenen Praxis immer nur einen befristeten Waffenstillstand geben, der solange eingehalten wird, bis sich die Kräfteverhältnisse zugunsten der Muslime verändert haben. Nichtmuslime können – gleichgültig ob sie einen säkularen „interkulturellen Dialog“ anbieten oder sich auf die monotheistisch-abrahamitische Tradition berufen – höchstens den Status von Schutzbefohlenen erlangen, deren rechtliche Stellung schlechter ist als selbst die der muslimischen Frauen.

„Religionsfreiheit“ heißt für Muslime nur Freiheit ihrer Religion, die allen übrigen – im günstigsten Fall nur vom wahren Weg abgeirrten, im schlechteren Fall vom Teufel stammenden – Glaubenssystemen überlegen sein und sogar zeitlich vorangehen soll, was gegen jede wissenschaftliche Plausibilität behauptet wird.

Der Islam stellt sich selbst nicht zur Disposition. Auf Glaubensabfall steht die Todesstrafe, Diskussionsbereitschaft von Nichtmuslimen gilt als Zeichen von Schwäche. Der „Dialog“ wird als Fortsetzung des Heiligen Krieges mit anderen Mitteln gesehen, indem man „Diskriminierung“ beklagt und immer mehr Rechte einfordert, um diskursiv besetztes Gelände, entsprechend dem demographisch in Besitz genommenen, Stück für Stück auszuweiten.

Daß der Islam trotzdem nicht als vollkommen monolithischer Block wirkt, liegt weder an der Existenz eines „liberalen Islams“ noch an den außerreligiösen Traditionen, die der islamischen Welt ein lokal unterschiedliches Gesicht geben, sondern an den Brüchen, die gerade aus der Berufung auf eine unumstößliche und ein für allemal offenbarte Wahrheit unweigerlich folgen. Entgegen dem simplen Dualismus vom (muslimischen) „Haus des Friedens“ und dem „Haus des Krieges“ (der „Ungläubigen“) herrscht auch innerhalb des ersteren seit dem Ableben Mohammeds Krieg um die Deutungshoheit.

Im Christentum gibt es dasselbe Grundproblem, das sich in der Geschichte seiner Schismen und „Häresien“ niederschlägt. Jedoch stellt sich die Lage hier ungleich komplexer dar: Erstens besteht die Bibel aus vielen Büchern unterschiedlicher Autoren und umfaßt auch das Alte Testament als Hebräische Bibel, das mit dem Neuen zu vermitteln ist, welches zweitens das Wort Christi allenfalls indirekt aus der Sicht von Zeitzeugen überliefert, so daß der Zwang zur Deutung offenkundiger zutage tritt. Drittens mußte sich das Christentum von Anfang an in einem von der antiken Philosophie geprägten Umfeld behaupten, das seine Anhänger nötigte, ihren Glauben an die tradierten Argumentationsformen anzupassen.

Letztlich sind die stets nur vorläufig gültigen Erkenntnisse der Philosophie und anderer Wissenschaften mit den absoluten Glaubensinhalten der Offenbarungsreligionen aber unvereinbar, sofern die Ergebnisoffenheit der Wissenschaften gewahrt bleibt und ihre Erkenntnisse nicht zur Ideologie gerinnen. Eine wissenschaftliche Theologie ist ein hölzernes Eisen. Aber genau aus dieser Spannung erwuchs die abendländische Identität.

Mehr als jede positive Überzeugung gehört zu ihr die Tendenz zu Hinterfragung und Prüfung, zu Selbstzweifel und Selbstversicherung. Sie spricht bereits aus dem sokratischen „Ich weiß, daß ich nichts weiß“ und ist somit nicht nur Ausdruck postmoderner Dekadenz und Kritiksucht. Was sie von bloßer Destruktion um ihrer selbst willen unterscheidet, ist nichts weniger als ihre Orientierung an der Erkenntnis – nur steht die Wahrheit am hypothetischen Ende aller Forschung und Geschichte. Sie ist nicht gegeben, sondern aufgegeben.

Die drei Offenbarungsreligionen hingegen setzen Wahres und Falsches einander entgegen wie im Orient Hitze und Kälte, Regen und Dürre aufeinanderfolgen. Dabei mangelt es insbesondere der islamischen „Wüstenreligion“ am maßvollen Perspektivismus der mediterranen Welt; und auch das vorsorgende, arbeitsame Wesen, das sich im unwirtlichen Norden entwickeln mußte, blieb ihr fremd.

Demgegenüber wurde das Christentum in der hellenistischen Welt okzidentalisiert. Die Integration der antiken Philosophie und ihres reflexiven Geistes befähigte es dazu, nach Jahrhunderten römisch-imperialer Verweltlichung zunächst den Protestantismus als Rückbesinnung auf seine Wurzeln und sodann die Aufklärung hervorzubringen, die der Islam nun auf einmal nachholen soll, obwohl ihm alle Voraussetzungen dazu fehlen.Die Aufklärung wiederum ist nicht einfach die Negation des Christentums, sondern radikalisiert das ihm, trotz aller dogmatischen Selbstverfehlung, doch wesenhaft zugehörige Prinzip der Glaubensfreiheit. Dem Glauben folgt jedoch der Zweifel wie ein finsterer Schatten, und zur Freiheit des Glaubens gehört auch die Freiheit, sich gegen ihn zu entscheiden. Dem Islam ist dergleichen fremd und unverständlich.

Bei aller Ähnlichkeit mit dem Christentum, die von manchen Konservativen und selbst von Kirchenvertretern betont wird, die sich von der Islamisierung eine allgemeine religiöse Neubesinnung und damit auch Impulse für ihre Religion erhoffen, ist der grundlegende Unterschied nicht zu übersehen, der aus einer völlig anderen Gewichtung von Überzeugung und Handlung folgt: Dem Christentum geht es primär um die Gesinnung, dem Islam um die Lebensweise der Gläubigen.

Das Christentum kann sich daher immer neuen politischen Verhältnissen anpassen und lebt noch in den Toleranz- und Gleichheitspredigten linker Agnostiker fort. Der Islam hingegen kann nicht modifiziert, liberalisiert, intellektualisiert und „verfeinert“ werden. Wo mystische Strömungen Einzug gehalten haben, brandmarken die Buchgelehrten, leider zu Recht, fremde Einflüsse.

Aus diesen Gründen ist mit der Vorstellung aufzuräumen, der Islam genieße als eine Religion neben anderen zwangsläufig den Schutz des Grundgesetzes: So richtig und verteidigenswert die Religionsfreiheit mit Bezug auf Fragen des persönlichen Glaubens ist, so sehr wird sie pervertiert, wenn sie für die Errichtung eines nicht nur grundgesetzwidrigen, sondern mit der europäischen Denk- und Lebensweise überhaupt unvereinbaren Gesellschaftsmodells in Anspruch genommen wird. Die „gegen Rechts“ so lautstark erhobene Forderung, den angeblichen Feinden der Toleranz keine Toleranz zu gewähren, hätte hier ihre Berechtigung.

Nur eine Assimilation der in Europa lebenden Muslime oder deren – friedliche und rechtsstaatliche – Rückführung in Kooperation mit ihren Heimatländern kann eine Balkanisierung und Tribalisierung Europas noch verhindern. Wahrscheinlich wird es dazu jedoch längst zu spät sein, wenn sich innerhalb der autochthonen Bevölkerung unter dem jetzt schon immer weniger zu verschleiernden Leidensdruck und Zwang der Verhältnisse neue, identitätsorientierte Mehrheiten ergeben haben.

Es kann dann nur noch darum gehen, verbliebene Bestände zu sichern und langfristig vielleicht wieder zu erweitern. Schlimmstenfalls werden nicht erst unsere Kinder und Enkel einen in seinem ganzen Schrecken noch kaum vorstellbaren Bürgerkrieg, der sich doch jetzt schon am Horizont abzeichnet, über Jahrzehnte als Dauerzustand erleben. Sie werden denjenigen die Schuld zumessen, die ihn durch ihre Politik vorbereitet haben.

So sehr eine überlebenswillige Politik den Islam zurückzudrängen hat, so wenig darf sie doch die Muslime als Menschen verachten und bekämpfen. Sie muß ihnen vielmehr Identifikationsangebote machen, die weit über die halbherzig-verschämten Aufforderungen, das Selbstverständliche zu tun und unsere Gesetze zu achten, hinausgehen.

Man kann es den Muslimen nicht verübeln, wenn sie sich weder in die derzeitige postmodern-dekadente Gesellschaft noch in unsere, von uns selbst allenfalls in Lippenbekenntnissen bejahte, christliche Tradition einfügen wollen – sie sollten daher gerne, in ihren Herkunftsländern, Muslime sein dürfen.

Noch besser wäre es allerdings, wenn es ihnen gelänge, analog zur europäischen Renaissance, ihre vorislamischen Wurzeln wiederzuentdecken. Eine solche produktive Anknüpfung an verschüttete Traditionen, für die es in der Türkei und einigen zentralasiatischen Regionen im Zeichen eines Neo-Tengrismus und Neo-Schamanismus leise Anzeichen gibt, würde es ihnen erlauben, eine eigenständige kulturelle Identität aufzubauen und sich dabei sowohl vom säkularen Westen als auch von der geistigen Kolonisierung durch den Islam zu emanzipieren.

Einem wirklichen Dialog zwischen einem postchristlichen Europa und einem postislamischen Orient jenseits des abrahamitischen Monotheismus stünde dann nichts mehr im Wege. Allerdings wird dies auf lange Sicht noch eine Utopie bleiben. Bis dahin können nur Grenzen abgesteckt und Waffenstillstände ausgehandelt werden, wo ein Frieden nicht möglich ist.

 

Dr. Baal Müller, Jahrgang 1969, Philosoph, ist als Journalist, Buchautor und Übersetzer tätig. Zudem leitet er den Telesma-Verlag. Auf dem Forum schrieb er zuletzt über Deutschland als Schicksal („So nenne mir endlich das Land!“, JF 18/10).

Foto: Der Krummdolch als Symbol der Landnahme: Im Jahr 2030 werden knapp 60 Millionen Muslime in Europa leben

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