© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/12 20. Januar 2012

Eine späte Liebe
Die DDR und das Denkmal Friedrichs des Großen von Christian Daniel Rauch in Berlin-Mitte
Günther Deschner

Im Herbst 1950 – ein Jahr nach der Gründung der DDR – schlugen die SED-Gewaltigen zu. Zuerst ließ ZK-Generalsekretär Walter Ulbricht das Berliner Stadtschloß auf der Spree-insel sprengen, die historische Hauptresidenz brandenburgischer Kurfürsten, preußischer Könige und der Deutschen Kaiser. Ein wahrer Bildersturm begann: Auch das Kaiser-Wilhelm-Denkmal wurde zerstört, die Standbilder der Generäle Scharnhorst und Bülow wurden abgebaut. Und aus dem Straßenbild des Prachtboulevards „Unter den Linden“ im historischen Zentrum von Berlin wurde das dreizehn Meter hohe Reiterstandbild Friedrichs des Großen entfernt, das dort seit hundert Jahren gestanden hatte.

Das repräsentative Monument, von den Berlinern kurz „der Alte Fritz“ genannt, war Mitte des 19. Jahrhunderts ausgeführt worden. Seine Geschichte spiegelt die Zuneigung oder Abneigung, die Friedrich der Große im Wechsel der politischen Großwetterlagen widerfuhr. Es wurde von Christian Daniel Rauch, einem Schüler Schadows geschaffen. Die Grundsteinlegung erfolgte 1840, zum 100. Jahrestag der Thronbesteigung Friedrichs II., im Mai 1851 wurde das Denkmal enthüllt. Theodor Fontane verfaßte dazu ein Gedicht mit dem Titel „Der alte Fritz“: „Blitz nur herab von deiner Wacht, solch Wächter mag uns taugen; Wir brauchen wieder, Tag und Nacht, die Alten-Fritzen-Augen.“

In der Wahrnehmung der Nachwelt diente der große König auf dem hohen Sockel seither als lebendige Anschauung dafür, daß das durch Friedrichs des Großen Lebenswerk zur Großmacht gewordene Preußen zur Voraussetzung des späteren Deutschen Reiches geworden war. „Ohne den Krieg gäbe es gar keinen Staat“, hatte der deutsche Nationalhistoriker Heinrich von Treitschke in seinen „Vorlesungen über Politik“ gesagt, die er 1874 an der Berliner Universität hielt, also kurz nachdem Bismarck 1871 ein einiges Deutsches Reich geschaffen hatte. „Der Schutz seiner Bürger durch die Waffen“, hatte Treitschke weiter ausgeführt, „bleibt die erste und wesentlichste Aufgabe des Staates.“

Treitschkes Studenten hatten damals nur auf die Straße Unter den Linden hinaustreten müssen, um sich eine Anschauung von der Wahrheit dieser Aussage zu verschaffen. Denn die Straße führte vom Berliner Schloß direkt an der Universität vorbei bis zum Brandenburger Tor. Vor dem Hauptgebäude der Universität, direkt gegenüber der Bibliothek der Historischen Fakultät, stand Rauchs Reiterstandbild des großen Friedrich, dessen siegreiche Kriege Preußen den Status einer europäischen Großmacht verschafft hatten.

Rauch hatte den König in der einfachen Offiziersuniform dargestellt, die er meist trug. Er war der erste Monarch, der erste Staatschef gewesen, der in der Öffentlichkeit ausschließlich Uniform trug und damit zum Ausdruck brachte, daß seine Autorität in erster Linie den Leistungen seiner Armee entstammte.

Auch das Reiterstandbild Unter den Linden läßt nur geringe Zweifel am Vorrang der militärischen Rolle des Königs: Der Sockel wird in erster Linie von den Generälen beherrscht, mit denen der König seine Feldzüge führte. Zivilisten wurden weniger prominent plaziert. Was Rauch bewogen hat, dem bedeutendsten Denker, den Preußen jemals hervorgebracht hatte, dem Königsberger Philosophen Immanuel Kant, den Platz genau unter dem Schweif des Pferdes zuzuweisen, ist sein Geheimnis geblieben.

Im Zweiten Weltkrieg wurde das Denkmal zum Schutz vor den Bombenangriffen eingemauert. 1950 ließen es die Ost-Berliner Kommunisten abbauen und an einem abgelegenen Lagerplatz verschwinden. Mehrere Jahrzehnte blieb das Standbild verbannt und sogar seine Existenz war gefährdet. Das Preußenbild der Machthaber in der SBZ und der frühen Jahre der DDR – das sich nur wenig vom Preußenhaß der westlichen Siegermächte unterschied – spielte dafür eine wichtige Rolle. Ein wesentlicher Teil der „Schuld an Hitler“ und am „deutschen Verhängnis“ wurde zonenübergreifend beim „preußischen Militarismus“ gesehen. Der Alliierte Kontrollrat nahm dies sogar zum Vorwand, als er im Februar 1947 die Auflösung des Staates verfügte. Preußen galt damals als der fatale „Irrweg einer Nation“, und die preußische Traditionslinie sollte mit der DDR ein für allemal ein Ende finden.

Aus diesem Grund lagerte der Alte Fritz nun unter Matten irgendwo am Rande des Parks von Sanssouci. Paul Verner, SED-Chef von Ost-Berlin, verfügte 1960 sogar die Vernichtung des Kunstwerks. Nur einer von Kulturminister Hans Bentzien geleiteten Blitz-Aktion gelang in letzter Minute die Rettung. Wenigstens außerhalb der Hauptstadt, im Hippodrom des Parks von Sanssouci, durfte es aufgestellt werden.

Erst 1980 kehrte das Standbild nach Berlin zurück. Nur ein paar Meter entfernt von seinem historischen Standort wurde es wieder aufgestellt. Diese Rückkehr stand im Zusammenhang mit einer Neubewertung der preußischen Geschichte in der DDR. Nach der Phase der Generalverdammung Preußens wurden Zug um Zug auch wieder einzelne preußische Tugenden entdeckt, die Berliner Aufklärung etwa, oder die preußischen Reformer. Beispiele gab es besonders aus der Nationalen Volksarmee. Die deutsch-russische Waffenbrüderschaft gegen Napoleon wurde gepriesen, der höchste NVA-Orden wurde nach Scharnhorst benannt (der „Blücher-Orden“ war eine nie verliehene Kriegsauszeichnung), eine Jagdfliegerstaffel trug den Ehrennamen „Adolf von Lützow“. Friedrich, immer noch in seinem Exil in Sanssouci, konnte Hoffnung schöpfen.

In einer Artikelserie für die Zeitschrift Horizont wurde er 1978 das erste Mal wieder bei seinem alten Titel „Friedrich der Große“ genannt. Bezeichnenderweise war es kein SED-Kommunist, sondern der russische Botschafter Valentin Falin, der das Tabu brach. Der eigentliche Befreiungsschlag erfolgte 1979. In diesem Jahr erschien die Biographie der DDR-Historikerin Ingrid Mittenzwei über Friedrich II. Sie erlangte internationale Aufmerksamkeit und bemühte sich erkennbar, Friedrich und sein Preußen differenziert in ihrer Größe und Widersprüchlichkeit darzustellen. Widerstand gegen die Biographie und gegen den sogar wieder Konjunktur erreichenden Titel „der Große“ kam lediglich aus Polen, war doch Friedrich II. ein Initiator der ersten polnischen Teilung gewesen. 1980 sprach aber selbst Honecker von Friedrich als „dem Großen“. Nun war es also offiziell, der König hatte seinen alten Titel wieder – und er konnte zu seinem Platz vor der Humboldt-Universität zurückkehren.

Das Exil in Sanssouci war vorbei – und Friedrich der Große durfte wieder Unter den Linden reiten. Die Berliner freuten sich – und viele witzelten mit tieferem Sinn: „König Friedrich steig’ hernieder und regier’ uns Deutsche wieder, laß in diesen schweren Zeiten lieber unsern Erich reiten!“ Weil man das Standbild, anders als ursprünglich, so aufgestellt hatte, daß Friedrich den Blick nach Osten – in Richtung Oder und Weichsel – richtete, kam es erneut zu erbosten polnischen Protesten. Es soll führende SED-Politiker gegeben haben, die sich darüber sogar amüsierten.

Nach der Wiedervereinigung gelangte das Denkmal in den 1990er Jahren nach einer umfassenden Restaurierung wieder an seinen ursprünglichen Platz. 2006 wurde eine Grundreinigung vorgenommen und eine Schutzschicht aus Wachs gegen Graffiti angebracht. Die Odyssee des Alten Fritz war zu Ende.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen