© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/12 27. Januar 2012

Von Zigeunerehre keine Spur
Schleuserkriminalität: In Potsdam findet ein Bosnier, der bandenmäßig Roma nach Deutschland geschleust hat, eine milde Richterin
Ronald Gläser

Rund 7.000 Personen aus Balkanstaaten, überwiegend Zigeuner, haben 2011 politisches Asyl in Deutschland beantragt. Als Grund für den hohen Anstieg der Zahl der Asylbewerber aus dieser Herkunftsregion wird die Neuregelung der Einreisebestimmungen vermutet: 2009 ist nämlich die Visumpflicht für Serben und Mazedonier entfallen.

In den Jahren zuvor war es nicht so einfach für Roma vom Balkan, sich in Deutschland niederzulassen. In dieser Zeit hat sich das Geschäft mit der illegalen Einwanderung prächtig entwickelt. Eine der vielen berüchtigten Schleuserbanden, die seit dem Ende des Eisernen Vorhangs auf dem Balkan tätig waren, wurde von der Polizei vor geraumer Zeit zerschlagen. Nun mußte sich einer der letzten Angehörigen der Gruppe in einem Prozeß verantworten.

Dies ist die Geschichte des 37 Jahre alten Zigeuners Hariz D. Der Angeklagte ist der typische „kleine Fisch“. Seine Bande hat pro Person, die nach Deutschland gebracht wurde, zwischen 1.000 und 5.000 Euro verlangt. Familien erhielten Preisnachlaß. Die Drahtzieher der Bande sind bereits hinter Schloß und Riegel. Sie organisierten die Fahrten vom Balkan nach Deutschland.

Hariz D. war meistens in einem Ford Galaxy unterwegs. Auf der Route mußten mehreren Landesgrenzen passiert werden. Dies taten die illegalen Einwanderer, indem sie zu Fuß die grüne Grenze überquerten. Danach wurde die Gruppe vom Fahrer im Galaxy wieder eingesammelt. Hinter dem Steuer saß ein Deutscher, für den die Grenzkontrollen kein Problem darstellten. Auch er ein kleiner Fisch, der ein Taschengeld (800 Euro) für seinen Job erhielt. Die Zigeunerbosse waren es, die aus dem illegalen Grenzübertritt ein Geschäft gemacht haben. Wer nach Deutschland wollte, wurde von ihnen dorthin gebracht. Kaum angekommen, wurden die meist bosnischen Staatsbürger im Land verteilt und zum Klauen geschickt, um ihre „Schulden“, den Schleuserlohn, zu bezahlen.

D. erscheint zu spät zur Verhandlung. Richterin und Staatsanwältin sind bereits nervös. Auch sein Anwalt hat sie warten lassen. „Wo bleibt Ihr Mandant?“, fragt die Richterin. „Ich weiß nicht.“ Da betritt der kleine, dicke Mann den Raum im Amtsgericht Potsdam: Jogginghose, Dreitagebart, Hundeblick. Hariz D. verweigert die Aussage. Schnell wird klar, daß er ein Mitläufer war, dem eine Tatbeteiligung nur in einem Fall richtig nachgewiesen werden kann. Unklar bleibt, ob D., der von Sozialhilfe und Kindergeld lebt, überhaupt Geld kassiert hat.

Die Richterin vernimmt einen Kripobeamten und Zlatko R., einen Landsmann von D. Dieser wohnt inzwischen wieder in Bosnien, nachdem er in Deutschland eine Strafe abgesessen hat. „Ich hatte etwas geklaut“, sagt er kleinlaut. Er habe die Ladung zu diesem Termin von seinem Bruder erhalten, der sich nach wie vor in Deutschland aufhält. R. habe sich extra für die Verhandlung nach Potsdam begeben. 18 Stunden im Reisebus. Die Richterin ist ganz entzückt: „Da lädt man den ein, und da kommt der tatsächlich. Das ist ja mal schön.“ Sowohl der Polizist als auch der vorbestrafte Bosnier entlasten D. Ein anderer, bereits inhaftierter Komplize hatte Hariz D. zu Unrecht belastet, um ihm zu schaden. Von Zigeunerehre keine Spur. Die Richterin läßt daher Gnade vor Recht ergehen und verurteilt D. wegen „bandenmäßigen Einschleusens“ zu anderthalb Jahren auf Bewährung. Unter anderem, „weil die Tat schon einige Zeit zurückliegt“. Sie nimmt den Angeklagten ins Gebet: „Das ist die eine Chance, die Sie kriegen.“ Der Verurteilte solle sich Arbeit suchen und „um Gottes willen“ dem Amtsgericht mitteilen, falls er umziehe.

Das mit der letzten Chance kennt D. bereits. 2006 wurde er wegen Betrugs verurteilt. 2008 wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte. 2009 wegen Gebrauch eines nicht versicherten Fahrzeugs. Und 2011 wegen versuchter Nötigung. Er und seine Frau hatten einen anderen wegen einer Entführung angezeigt, die dieser gar nicht begangen hatte. Einfach so. Damit der andere ins Gefängnis geht.

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