© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/12 27. Januar 2012

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Winklers Werte
Matthias Bäkermann

Lakonisch und ohne Pathos kanzelte John Kornblum die vielleicht eher rhetorisch gemeinte Frage mit einem „Nein“ ab, ob denn „Europa mehr Vertrauen verdiene“. Einiges, was der frühere amerikanische Botschafter in Deutschland während des „Freiheitssymposium 2012“ der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit beitrug, wich von der Zielsetzung der liberalen Gastgeber ab, die „Wertschätzung des Erreichten und die Festlegung auf den Weg in die europäische Zukunft“ zu erörtern. Die Euro-Krise sei für die EU nichts Vorübergehendes, sondern eher „ein Blick in die Zukunft“, so Kornblum. Daß die „Strukturen überholt“ seien, beweise letztlich die Krise der Gemeinschaftswährung. Jenseits des Atlantiks erfülle Europa aber immerhin noch die Rolle „eines perfekten Sündenbocks“, um von den eigenen Problemen Obamas abzulenken.

Als ob man dieses Gegrantel erwartet hatte, rettete die Veranstaltung im Quartier des Beamtenbundes (dbb-Forum) in Berlin-Mitte mit dem Emeritus Heinrich August Winkler eine verläßliche Größe, um die etwa dreihundert Zuhörer doch noch mit allen Floskeln über eine „Erfolgsgeschichte Europa“ zu versorgen. Natürlich durfte im Referat des Historikers, der zuletzt in Steinwurfweite an der Humboldt-Universität die Studenten mit seinem Lebensthema über „den langen Weg nach Westen“ traktierte, eben diese Geschichtsdeutung nicht fehlen.

Erst die Vereinigten Staaten hätten mit der Befreiung des Kontinents 1945 den Ausschlag gegeben, daß sich die von Krieg und Faschismus gegeißelten Eingeborenen den „westlichen Werten“ von 1776/1789 zuwenden konnten, um diese endlich mit einem „dilatorischen Formelkompromiß“ über die Gemeinschaftswährung bis hin zur Staatenföderation richtig auszuleben. „Es gibt sonst keine gemeinsamen europäischen Werte“, ist sich Winkler sicher. Um die Vereinigten Staaten von Europa demokratisch zu legitimieren, müsse man sich jedoch noch einmal die Erlaubnis vom Souverän holen, denn eine „Parlamentseinbindung ist unumgänglich“. „Den Menschen gut erklärt“, dürfte eine Grundgesetzänderung über den Artikel 146 aber machbar sein. Wer in dieser schönen neuen Welt jedoch den rechten Weg verlasse und „gegen die gemeinsamen Werte verstoße“, darf auf Winklers Toleranz nicht hoffen. Gegenüber Eigensinn oder Rückfall in nationale Interessenpolitik „wie bei den Ungarn unter Orban“ dürfe „die Gemeinschaft nicht tatenlos zusehen“. Ob damit Militärinterventionen der „Bruderländer“ gemeint sein könnten, ließ der Historiker offen.

Bemerkenswert war, daß trotz der Anwesenheit vieler FDP-Granden – auch der heimliche Vorsitzende Rainer Brüderle war zugegen – ein innerparteiliches heißes Eisen mit keiner Silbe erwähnt wurde. Weder der Name Frank Schäffler fiel, noch wurde der im Herbst hitzig diskutierte FDP-Mitgliederentscheid gegen den Euro-„Rettungsschirm“ thematisiert. Stattdessen gab‘s konziliante Rückblenden in Zeiten, als die EU noch Europäische Gemeinschaft und der Euro noch Ecu genannt wurde, gefällig erzählt von Hans-Dietrich Genscher.

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