© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/12 27. Januar 2012

Flüssiger als jede Bank
Italien: Die Mafia profitiert von der schweren Finanzkrise und profiliert sich als Helfer in der Not
Paola Bernardi

Er war nicht bewaffnet und leistete keinen Widerstand, als die Carabinieri ihn jetzt festnahmen: Michele Zagaria, der letzte große Boß des Clans der Casalesi, aus dem Hinterland von Neapel, wurde im Dezember vergangenen Jahres, in Casapesenna, einem 7.000-Einwohner-Ort verhaftet. Mit dieser Festnahme ging eine fünfzehnjährige Fahndung unspektakulär zu Ende. Zagaria hatte sich in einem Tunnel unter einer kleinen Villa versteckt. Als die Carabinieri das zweistöckige Haus durchsuchten und im Kühlschrank französischen Champagner, französischen 97er Weißwein zusammen mit einer Büchse Gänseleber und zudem einen angezündeten Kamin fanden, war klar, daß dies das Refugium des Camorra-Bosses sein mußte. Längst waren seine Vorlieben den Fahndungsermittlern bekannt.

Niemand würde in diesem 64jährigen grauhaarigen Mann mit randloser Brille, Rolex am Arm, im Kaschmir-Mantel einen skrupellosen Verbrecher vermuten, der um seiner Geschäfte willen hemmungslos über Leichen geht. In seinem unterirdischen Bunker war er mit Telekameras vernetzt, so daß er immer die Übersicht über den Ort hatte.

Die Festnahme des Mafia-Bosses hat den Ort in einen Schockzustand versetzt, die Bewohner trauern wie bei einer Beerdigung. Eine junge Frau schluchzte in die Kameras: „Wer gibt uns nun Brot, wer gibt uns nun Arbeit?“

Diesmal hatte die „Mafia“ wieder ein Gesicht. Doch das archaische und globale Netzwerk der Gewalt, die Mafia in ihren verschiedenen Formen in Italien, bleibt meistens unsichtbar und ist dennoch überall, hat längst alles durchdrungen.

Wo der Staat schwach oder gar abwesend ist, da hat sie den Platz besetzt. Die Cosa Nostra ist längst mit den internationalen Finanzmärkten eng verwoben. Sie wird immer anonymer und ist damit immer schwerer zu durchdringen. Sizilien wird von der Mafia regiert. In Neapel herrscht die Camorra, in Apulien die Sacra Corona Unita und in Kalabrien die mächtigste und vermutlich gefährlichste Organisation, die ’Ndrangheta (JF 30/11).

Mit ihren engen Beziehungen zu den Drogenbaronen in Kolumbien, Venezuela und Peru hat sie die Kontrolle über den Kokainmarkt Europas übernommen. Immer allgegenwärtig und doch unsichtbar. Aus der ’Ndrangheta stammten auch die Killer in Duisburg, die 2007 sechs Männer mit gezielten Kopfschüssen in der Nacht töteten.

Egal, um welches Kartell es sich handelt, eines hat das organisierte Verbrechen im Überfluß: nämlich Geld, viel flüssiges Geld. „Die Mafia ist paradoxerweise Italiens solideste Bank“, so der Präsident des Kaufleuteverbandes (Confesercenti), Marco Venturi, bei seinem jüngsten Jahresbericht in Rom. „Das Organisierte Verbrechen kann schätzungsweise eine massenhafte Liquidität von 65 Milliarden Euro vorweisen, soviel wie kein Bankinstitut im Lande“, so Venturi.

In diesen schweren Krisenzeiten sei die Mafia AG die einzige Struktur, die über so riesige Bargeldmengen verfüge, warnte er. Die derzeitige schwere Finanzkrise mache die Mafia noch gefährlicher. Denn wo die Banken angesichts der finanziellen Engpässe versagten, da stoßen die Mitglieder der „Familien“ in die Lücke und verleihen oder investieren großzügig Geld. Sie korrumpieren und investieren.

In Rom, auf der berühmten Via Veneto, gehört zum Beispiel die eine Hälfte der Straße der ’Ndrangheta, die andere der Camorra. Immer wieder fliegt eine Bar oder ein Restaurant bei Clan-Auseinandersetzungen in die Luft.

Bei der derzeit anhaltenden Kreditknappheit würden sich immer mehr Kleinunternehmer Geld leihen. Schon habe eine Million Händler bereits Schulden bei den örtlichen Paten. Tausende seien längst in den Würgegriff des Organisierten Verbrechens geraten.

Zwar gehören noch immer zu den „Kernsparten“ dieser Schattenwelt Drogen-, Waffen- und Menschenhandel sowie Schutzgelderpresssung („Pizzo“), doch die Mafia setze mehr und mehr auf Diversifizierung der Geschäftsbereiche: Handel, Tourismus, Sport- und Gesundheitswesen sowie besonders das Bauwesen bieten hervorragende Möglichkeiten zu investieren, Subventionen zu kassieren und Geld zu waschen. Der Verband warnte vor der zunehmenden Unterwanderung legaler Betriebe durch mafiöse Organisationen. Auch in der Lebensmittelbranche habe die Mafia in manchen Regionen Süditaliens längst die Kontrolle übernommen. Der „Krake“ ist überall.

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