© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/12 27. Januar 2012

Entzauberung rot-grüner Mythen
Wirtschaftskompaß: Eine ifo-Faktensammlung offenbart die Schattenseiten von Biosprit, Zuwanderung und EU-Mitgliedschaft
Markus Brandstetter

Eine grüne Stammtischweisheit besagt, daß Energie aus Biomasse (Raps, Mais, Soja) klimafreundlich ist, weil sie den Verbrauch fossiler Energieträger (Kohle, Erdöl) verringert. Die Umsetzung dieser Theorie in die Praxis hat zu einem weltweiten Boom bei der Mais- und Sojaproduktion geführt. Entsprechend hat sich die Produktion von Bio-Äthanol in den letzten zehn Jahren verfünffacht. Was mit fünf Prozent Zwangsbeimischung schleichend begann, soll künftig EU-weit auf zehn Prozent steigen.

Doch das 2011 in Deutschland eingeführte E10-Super erwies sich als Ladenhüter – und das nicht nur, weil Autofahrer Motorschäden befürchteten. Denn während sich der CO2-Ausstoß durch den Einsatz von Biosprit keineswegs verringerte, haben sich die Weltmarktpreise von Mais, Weizen und Soja seit dem Jahr 2000 vervierfacht. Nahrung und Brot sind dadurch für die Ärmsten der Armen teurer geworden, während sich die Klimabilanz des Planeten verschlechterte, weil immer mehr Regenwälder gerodet werden, um Flächen für den Anbau von Mais und Soja zu schaffen. Diese Erkenntnis – und viele andere – findet man im neuen „Wirtschaftskompaß“ des ifo-Instituts.

Die Münchner Wirtschaftsforscher hinterfragen auch den „Armutsbericht 2011“ des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, in dem behauptet wird, daß 14,5 Prozent der Bevölkerung arm seien und diese Armut sich sogar jüngst verhärtet habe – obwohl die Vergleichszahlen 2008 noch bei 15,5 Prozent gelegen hatten. Quer durch die Bank haben die Medien diese Zahlen ungeprüft übernommen und so getan, als ob die galoppierende Verelendung nur noch eine Frage der Zeit sei. Im Wirtschaftskompaß steht hingegen, daß in den Medien „Armut“ gerne mit „Armutsgefährdung“ gleichgesetzt wird, was aber sachlich falsch sei. „Armutsgefährdet“ sind Personen, die über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens (Median) verfügen. Wirklich „arm“ hingegen sind Menschen, die weniger als 40 Prozent des durchschnittlichen Einkommens zur Verfügung haben – und das sind in Deutschland nur fünf Prozent.

Eine andere heilige Kuh ist die Aussage, daß Zuwanderung in ein Land zu begrüßen sei. Das könne durchaus sein – solange man berücksichtigt, wer da zuwandert. Hochqualifizierte Einwanderer, die Know-how und Ersparnisse mitbringen, sind überall willkommen, nur kommen die leider kaum nach Deutschland. Ein Blick in den Wirtschaftskompaß zeigt, daß allenfalls ein Viertel der Immigranten in Deutschland hochqualifiziert ist, während ganze 61 Prozent geringqualifiziert sind und der Rest irgendwo dazwischen liegt. Wer jetzt denkt, daß dies so sein muß, der kann mit diesem Buch überprüfen, wie es anderswo zugeht. Zum Beispiel in der Schweiz: Da sind nur neun Prozent der Zuwanderer geringqualifiziert, ebenso in Irland, und im reichen und sozialstaatlichen Norwegen sind es sage und schreibe nur drei Prozent. Das europäische Schlußlicht hingegen ist laut ifo Frankreich, in dem 75 Prozent der Immigranten geringqualifiziert sind. Kein Wunder, daß in den Banlieues mit ihrem hohen Zuwandereranteil Arbeitslosigkeit die Regel, die Bildung gering, aber die Zahl der Verbrechen hoch ist.

Die Spannbreite des Wirtschaftskompasses ist groß, die Darstellung dennoch anschaulich und übersichtlich – auch dank der 200 farbigen Grafiken. 120 Themen werden jeweils auf zwei Seiten dargestellt. Der Fokus liegt nie allein auf Deutschland, sondern immer wird auch ein internationaler Vergleich geboten. Das Spektrum reicht von Konjunktur über Bevölkerung, Bildung, Arbeitsmarkt (Hartz IV), Umwelt und Staatsausgaben bis zu Währungsfragen und der EU. Auch scheinbar spröde Themen wie Bruttoinlandsprodukt, Arbeitsproduktivität oder Geldwirtschaft werden knapp, aber treffend abgehandelt.

Eine Erkenntnis folgt der anderen: Wer profitiert am meisten von der EU? Antwort: Polen, Griechenland und Ungarn. Wer zahlt am meisten in die EU-Kassen und bekommt am wenigsten zurück? Deutschland, Frankreich und Italien. Frage: Sind wir eigentlich noch innovativ? Antwort: Könnte besser sein. Bei den Patentanmeldungen stehen wir weltweit an dritter Stelle (nach den USA und Japan), aber der Vorsprung auf die Nummer vier, China, schrumpft von Jahr zu Jahr. Diese jüngste Veröffentlichung des ifo-Instituts beweist einmal mehr, daß die Münchner Ökonomen mit ihrem umtriebigen Präsidenten Hans-Werner Sinn unter den sieben großen deutschen Wirtschaftsinstituten die Nase vorne haben.

Georg Milbradt, G. Nerb, Wolfgang Ochel, H.-W. Sinn: Der ifo-Wirtschaftskompaß, Hanser Verlag, München 2011, gebunden, 296 Seiten, 14,90 Euro.

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