© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/12 27. Januar 2012

Lockerungsübungen
Provokation in Bronze
Karl Heinzen

Das Marx-Engels-Forum im Herzen von Berlin ist bereits seit dem Herbst 2010 in Unordnung geraten. Wegen des Weiterbaus einer U-Bahn-Linie mußte die überlebensgroße Doppelskulptur der Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus ihren angestammten Platz räumen. Immerhin dürfen die beiden Herren derzeit nach Westen blicken, um im Auge zu behalten, ob sich die Entwicklung der am meisten fortgeschrittenen Gesellschaften weiterhin in der von ihnen angenommenen Weise vollzieht.

Bundesbauminister Peter Ramsauer nun möchte diese Hinterlassenschaft der DDR aus ihrer bevorzugten Lage verbannen. Nach seinen Vorstellungen sollen Marx und Engels auf den Friedhof Friedrichsfelde umziehen, wo es bereits „so eine Art sozialistisches Reste-Zentrum“ gebe. Mit dieser Bierzeltwortschöpfung wollte der christliche Humanist Ramsauer vermutlich auf die Gedenkstätte für die von Rechtsradikalen ermordeten Sozialisten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht hinweisen.

Der Disput um das Marx-Engels-Forum ist nicht neu, und in ihm lebt der Kalte Krieg noch ein klein wenig fort. Dabei dürften auch DDR-Nostalgiker das Denkmal mit gemischten Gefühlen betrachten. Kaum war es 1986 errichtet, nahm der Niedergang des SED-Regimes an Fahrt auf. In ihm bewahrheitete sich, was Marx und Engels angenommen hatten: Theorie muß sich in der Praxis bewähren, um ihrer Abstraktheit zu entkommen. Erst mit ihrem Abtritt erwies sich die SED des Marxismus würdig, indem sie den Gang der Geschichte als Schiedsgericht anerkannte. Diesem Schiedsgericht müssen sich jedoch leider auch jene stellen, die aus dem Kalten Krieg als Etappensieger hervorgegangen sind.

Als bürgerliche Anmaßung bezeichneten Marx und Engels den Brauch, das zu versprechen, was nicht gehalten werden kann. Dabei hielten sie dem Personal in den Kommandostellen von Wirtschaft und Staat immerhin zugute, daß es entgegen seiner hohen Selbsteinschätzung nichts gestalten kann, sondern nur noch das Vollzugsorgan der Selbstreproduktion des kapitalistischen Systems ist. Sie durch ein Denkmal in Reichweite des Regierungsviertels zu ehren, muß daher heute mehr denn je als Provokation empfunden werden. Ohne Ramsauer Marx-Kenntnisse unterstellen zu wollen, ist sein Unbehagen als begreiflich anzusehen.

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