© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/12 27. Januar 2012

Frisch gepresst

Humboldt. Wenn bibliographischer Überfluß ein Maßstab für die Solidität wissenschaftlicher Arbeit ist, dann beruhigt einen bereits das Anblättern des Quellen- und Literaturverzeichnisses von Lothar Galls Biographie über Wilhelm von Humboldt (1767–1835). Denn dem Frankfurter Historiker ist nur wenig entgangen, was die seit 160 Jahren unablässig rührige Forschung zu Leben und Werk des preußischen Bildungsreformers, Diplomaten, Kultur- und Sprachphilosophen hervorgebracht hat. Auf dieser breiten Materialbasis konnte Gall daher ein gründliches, den Stoff souverän beherrschendes Lebensbild entwerfen, das jüngere Schnellschüsse wie Manfred Geiers Doppelbiographie über Wilhelm und Alexander von Humboldt (JF 12/09) oder Hazel Rosenstrauchs auf ein Gender-Publikum schielendes Eheporträt über Wilhelm und Caroline (2009) um Längen schlägt und die beste Gesamtdarstellung seit den Arbeiten von Friedrich Schaffstein (1952) und Eberhard Kessel (1967) bietet. (rs)

Lothar Gall: Wilhelm von Humboldt. Ein Preuße von Welt. Propyläen Verlag, Berlin 2011, gebunden, 443 Seiten, Abbildungen, 24,99 Euro

 

Paris 1940. Die Wochenschau-Aufnahmen von Adolf Hitlers frühmorgendlicher Stippvisite in der Hauptstadt des nach sechswöchigem Feldzug besiegten „Erbfeindes“ sind dank Guido-Knopp-TV auch heute für das kollektive Bildgedächtnis jederzeit abrufbar. Cédric Gruat, zeitweilig beschäftigt an der Mémorial de la Shoah in Paris, will in dieser Besichtigungstour dagegen primär eine „epochale Konfrontation urbaner Schönheit mit politischem Wahnsinn“ sehen. Solche Ambitionen bedienen zwar gängige Deutungsmuster, zeigen den Autor aber nicht auf der Höhe ikonographischer Möglichkeiten. Schon die Verwechslung zweier das Titelblatt einer Signal-Ausgabe zierenden Me 110-Zerstörer über dem Eiffelturm mit „Stukas“ zeugt nicht von einer an Aby Warburg geschulten Beobachtungsgabe. Und in der sträflich beiläufigen Behandlung der während Hitlers Tour verfügten, hochsymbolischen Sprengung des Mangin-Denkmals, das 1932 zu Ehren der afrikanischen Kolonialtruppen errichtet wurde, die 1919 das Rheinland besetzten, erlebt Gruat als Erforscher „medialer Repräsentationen“ rasch sein persönliches Waterloo. (wm)

Cédric Gruat: Hitler in Paris. Juni 1940. Wolff Verlag, Berlin/Schmalkalden 2011, broschiert, 183 Seiten, Abbildungen, 14,99 Euro

 

Historisches Kalenderblatt

28. Januar 1987: Michail Gorbatschow verkündet offiziell auf dem Januar-Plenum des Zentralkomitees der KPdSU den Umbau des gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Systems in der Sowjetunion, was er als „Perestroika“ bezeichnet.

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