© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/12 03. Februar 2012

Aufklärung unter Zeitdruck
Zwickauer Terrorzelle: Bundestag setzt Untersuchungsausschuß ein
Michael Martin

Kaum je ist ein Untersuchungsausschuß des Bundestages von solch großen Hoffnungen begleitet worden. Und noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist ein solches parlamentarisches Instrument von allen Fraktionen beantragt worden. Wenn es um die Aufklärung der Mordserie der sogenannten Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“(NSU) geht, wirft die CDU sogar ihren Grundsatz über Bord, keine gemeinsame Sache mit der Linkspartei zu machen.

In dem Antrag der Fraktionen heißt es: „Der Untersuchungsausschuß soll sich ein Gesamtbild verschaffen zur Terrorgruppe ‘Nationalsozialistischer Untergrund’, ihren Mitgliedern und Taten, ihrem Umfeld und ihren Unterstützern sowie dazu, warum aus ihren Reihen so lange unerkannt schwerste Straftaten begangen werden konnten.“ Auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse soll der Ausschuß nach dem Willen des Parlamentes Schlußfolgerungen für Struktur, Zusammenarbeit und Befugnisse der Sicherheits- und Ermittlungsbehörden und für eine effektive Bekämpfung des Rechtsextremismus ziehen und Empfehlungen aussprechen.

Dies ist in der Tat ein Novum. In aller Regel sind solche Ausschüsse ein Instrument der Opposition, diesmal soll das Gremium mit geradezu gesetzgeberischen Qualitäten ausgestattet werden. Als Vorsitzender ist mit Sebastian Edathy ein linker Sozialdemokrat installiert worden, der sich seit Jahren mit dem Thema Rechtsextemismus beschäftigt. Der Bericht muß übrigens bis zum Ende der Legislaturperiode im kommenden Jahr abgegeben werden. Nicht nur deshalb drängt Edathy zur Eile: „Wer sich in diesem Ausschuß parteipolitisch profilieren will, hat den Ernst der Sache nicht verstanden. Mein Eindruck ist: Die Bestürzung, die der Bundestag in seiner gemeinsamen Resolution vor Weihnachten zum Ausdruck gebracht hat, ist echt“, sagte der 42 Jahre alte frühere Vorsitzende des Innenausschusses der taz.

Doch schon bevor der Ausschuß seine Arbeit aufgenommen hat, gibt es Unstimmigkeiten. CDU und SPD haben sich darauf verständigt, das Gremium so zu besetzen, daß der Vertreter der Linkspartei kein Beweis-Antragsrecht ausüben kann. Die Linke sieht sich deshalb blockiert, auch aus der FDP ist Murren zu vernehmen. Der Verdacht drängt sich auf, daß CDU und SPD kein wirkliches Aufklärungsinteresse haben, da sie in aller Regel die Landesinnenminister stellen und beispielsweise SPD-Mann Otto Schily zu dem Zeitpunkt Bundes-innenminister war, als das Trio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe in den Untergrund abtauchte.

„Mein Anspruch als Leiter dieses Ausschusses ist, daß alles Relevante auf den Tisch kommt. Und wenn ein Minister oder Beamter mit SPD-Parteibuch Mist gebaut haben sollte, dann muß auch das benannt werden. Auch Sozialdemokraten sollen dem Vernehmen nach nicht unfehlbar sein“, sagte dazu Edathy.

In der Aufgabenbeschreibung des Ausschusses heißt es unter anderem: „Er soll klären, welche Informationen den Sicherheits- und Ermittlungsbehörden vom 1. Januar 1992 bis zum 8. November 2011 vorlagen oder bei sachgerechtem Vorgehen hätten vorliegen müssen, wie diese Erkenntnisse jeweils in den Behörden bewertet wurden, wie sie gegebenenfalls zum damaligen Zeitpunkt sachgerecht hätten bewertet werden müssen und welche Aktivitäten durch die Behörden hinsichtlich dieser Personen und Straftaten jeweils erfolgten oder bei sachgerechtem Vorgehen hätten erfolgen müssen.“

Die Begeisterung hält sich vor allem in den Ländern und bei Bundesbehörden in Grenzen. Für die meisten Bundestagsabgeordneten mußten die Ankündigungen der Präsidenten von Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt wie eine Kampfansage klingen: Heinz Fromm und Jörg Ziercke wollen die Aussage möglicherweise verweigern, am liebsten gar nicht vor dem Ausschuß erscheinen und schon gar nichts erzählen, was der Geheimhaltung unterliegt. Doch die Rechtslage ist eindeutig, und auch für Fromm und Ziercke besteht grundsätzlich eine Auskunftspflicht. „Ich gehe selbstverständlich davon aus, daß Zeugen, die der Untersuchungsausschuß begründet lädt, auch erscheinen. Wenn nicht, gibt es einschlägige Abschnitte im Gesetz, vom Ordnungsgeld bis zur Zwangsvorführung“, stellte Edathy klar. Doch auch einige Bundesländer haben bereits angekündigt, die Kooperation zu verweigern. Thüringen hat zudem einen eigenen Untersuchungsausschuß eingesetzt, der dem Bundestagsgremium in die Quere kommen dürfte. Zudem wurde eine Bund-Länder-Kommission vereinbart, die sich ebenfalls der Aufklärung verschrieben hat.

Die auf Bundes- und Länderebene beteiligten Behörden sind mittlerweile dermaßen untereinander zerstritten, daß sie sich in internen Schriftwechseln gegenseitig die Schuld zuweisen und schwerer Fehler bei der Verfolgung von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe bezichtigen. Sebastian Edathy läßt in den Medien die Muskeln spielen: „Formal hat ein Untersuchungsausschuß des Bundestags das Recht, auf Länderunterlagen zuzugreifen, wenn es um Bund-Länder-Beziehungen geht. Ich rate stark von einer Konfrontation ab, um der Sache willen brauchen wir eine Kooperation.“ Doch daß der SPD-Politiker den Erfolg erzwingen kann, ist unwahrscheinlich.

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