© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/12 03. Februar 2012

Alltägliches Absurdistan
Vergangenheitsbewältigung: Wagners „Rienzi“, Hitlers Geburtstag und die Eismohren auf dem Oktoberfest
Richard Stoltz

Neuester Irrsinn von der Vergangenheitsbewältigungsfront: An der Deutschen Oper Berlin soll im Frühjahr mal wieder Richard Wagners tragische Oper „Rienzi“ aufgeführt werden. Dummerweise setzten die Programmverantwortlichen das Stück ausgerechnet für den 20. April auf den Spielplan. Denn man hatte die Rechnung in aller Unschuld ohne die allgegenwärtigen Aufseher der politischen Korrektheit gemacht. Die donnerten jetzt los: Am 20. April hatte Adolf Hitler Geburtstag. „Rienzi“ war die Lieblingsoper Hitlers, und die Deutsche Oper neben Bayreuth die wichtigste Bühne der Nationalsozialisten? Das müsse man doch wissen! Wie könne „so etwas Peinliches“ nur passieren, Wagner, Rienzi, „ausgerechnet an „Führers’ Geburtstag’“? Prompt reagierte die Intendanz und verlegte das Stück um einen Tag auf den 21. April.

Etwa zur selben Zeit wurde im Münchner Stadtrat mit ebenfalls tiefer Bestürzung über einen rassistischen Anschlag auf dem letzten Oktoberfest informiert, von dem man bis dato nichts gewußt habe. Es seien dort Speiseeiskugeln mit dunklem Schokoladenüberzug verkauft worden, und die Verkäufer hätten diese Kugeln als „Eismohr“ angepriesen. Man werde jetzt auf die Schaustellerverbände zugehen und sie für dieses Thema sensibilisieren, teilte das Referat für Arbeit und Wirtschaft in München mit.

Muß man nun davon ausgehen, daß zwischen den beiden Ereignissen zumindest ein innerer Zusammenhang besteht? Schließlich organisierte der römische Nationalist Cola de Rienzo, bei Wagner „Rienzi“ genannt, im 14. Jahrhundert einen Aufstand gegen die herrschenden Familien der Orsini und Colonna, indem er das Volk gegen den Stadtadel mobilisierte. Hatte er da etwa römische Eisbomben bereitgestellt, die er heimtückisch als „Eismohr“ tarnte, um sie optimal einsatzfähig zu machen? Die Römer jedenfalls verliehen Rienzo den Titel „Tribun der Freiheit“.

Wollten die Programmplaner in Berlin und die Eisverkäufer in München etwa in hetzerischer Absicht an diese Schandtat erinnern? Der Verfassungsschutz sollte der Angelegenheit nachgehen.

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