© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/12 03. Februar 2012

Ort der Freiheit
Der deutsche Wald: Zur Ausstellung „Unter Bäumen“ im Deutschen Historischen Museum
Ekkehard Schultz

Deutsches Volk, Du herrlichstes von allen. Deine Eichen stehn, Du bist gefallen“, dichtete einst der Freiheitssänger Theodor Körner. Ferdinand Freiligrath gab seinen auswanderungsfreudigen Landsleuten zu bedenken: „Wie wird es in den fremden Wäldern Euch nach der Heimatberge Grün / Nach Deutschlands gelben Weizenfeldern, nach seinen Rebenhügeln ziehn!“ Und Friedrich Ludwig Klopstock legte dem Helden in seiner „Hermannschlacht“ die Worte in den Mund: „Du gleichst der dicksten, schattigsten Eiche im innersten Hain. Der höchsten, ältesten, heiligsten Eiche, O Vaterland!“ Deutschland, seine Geschichte und der Wald – sie erscheinen nicht nur auf den ersten Blick als untrennbar miteinander verbunden.

Doch seit wann besteht dieses Verhältnis tatsächlich und wieso ist es ein derart enges? Welche Faktoren haben dazu beigetragen? Was hat sich über die Zeit hinweg daran geändert? Und was verbinden die heutigen Deutschen mit dieser Thematik? Dies sind nur einige der Fragen, auf die in der Ausstellung „Unter Bäumen. Die Deutschen und der Wald“, die noch bis zum 4. März im Deutschen Historischen Museum in Berlin besichtigt werden kann, Bezug genommen wird.

Wie in den meisten anderen europäischen Ländern war zunächst auch in Deutschland die Sicht auf den Wald ausschließlich von wirtschaftlichen Erwägungen geprägt. Erst im 18. Jahrhundert setzte allmählich ein Umdenken ein. So breitete sich die Erkenntnis aus, daß sich der wachsende heimische Holzbedarf in Zukunft nur noch dann ausreichend befriedigen lassen würde, wenn man zumindest ebenso viele Bäume pflanzte, wie man zum eigenen Gebrauch fällte. Den wissenschaftlichen Hintergrund für effektive Aufforstungen lieferte die Forstwirtschaft. Innerhalb von wenigen Jahrzehnten entstanden in Deutschland zahlreiche Forstschulen, so etwa im sächsischen Tharandt (bei Dresden), die bald eine führende Rolle in Europa spielten.

Parallel zu dieser Entwicklung wurde im Zeitalter der Aufklärung der Wald erstmals auch zum Gegenstand der Kunst und Literatur. Insbesondere in den Bearbeitungen der historischen Hermannschlacht von Klopstock, Hölderlin und Kleist zeigte sich, daß er bereits weit mehr als nur eine bloße Kulisse für die Akteure war. Vielmehr stellte er selbst die wesentliche Bühne dar, auf der sich das Schicksal einer Nation abspielt, die als solche freilich noch nicht existierte. Populär wurde der Stoff insbesondere durch den darin integrierten Mythos vom deutschen Eichenwald.

Die nachhaltig prägende Metapher des „deutschen Waldes“ gewann allerdings erst im frühen 19. Jahrhundert an Bedeutung. Erstmals wurde er nun auch zum Gegenstand der Politik. Während Friedrich Ludwig Jahn die Anlage von „Grenzaufforstungen“ gegen die Nachbarvölker noch in erster Linie aus rein praktischen Erwägungen verlangte – nämlich, um das Vaterland zu schützen –, sah der Freiheitsdichter Ernst Moritz Arndt in der Erhaltung des Waldes bereits eine allgemeine Voraussetzung für das Überleben des deutschen Volkes als solchem. Anknüpfend an diese Theorie versuchte nur wenige Jahre später der Volkskundler Wilhelm Heinrich Riehl, den Nationalcharakter der Völker aus der sie umgebenden und prägenden Umwelt herzuleiten.

Gleichwohl bot der Begriff des „deutschen Waldes“ von Anfang an zu sehr unterschiedlichen Interpretationen Anlaß. Einerseits sollte er als Projektionsfläche für eine vertraute ländliche Heimat dienen und damit zugleich auch einen Ort darstellen, der Schutz vor auswärtigen Gefahren bietet. Zudem galt der Wald als Ort der Freiheit, an dem sich der Mensch jenseits von allen gesellschaftlichen und politischen Zwängen ungezwungen bewegen konnte. Im Dickicht der Bäume verloren nicht nur die bestehenden Standesschranken an Bedeutung oder wurden sogar obsolet. Gleichzeitig war es möglich, hier die eigenen geheimen Leidenschaften auszuleben. Deswegen wurde der Wald bald auch zum beliebten Treffpunkt für Liebespaare und für Anhänger der Nacktkultur. Ebenso konnten aber auch die ersten Mitglieder der Wandervogelbewegung hier ihre Auffassungen von einem Leben außerhalb der bürgerlichen Zwänge am besten ausleben.

Ein deutlich anderes Bild vermitteln viele Märchen- und Sagenstoffe. In ihnen zeigt sich der Wald vielfach als ein unübersichtlicher, finsterer, dunkler und ausgesprochen unwirtlicher Ort. In ihm werden Kinder ausgesetzt, die sich dort verirren und dadurch in Gefahr geraten. Zudem dient er als Zufluchts- und Wirkungsstätte von Wilderern, Räubern und Mördern. Auch die Opfer von Straftaten und die Tatwerkzeuge werden hier oft „entsorgt“. Auf die entsprechenden Gruseleffekte möchten zahlreiche Autoren von Fernsehkrimis und Kriminaldokumentationen bis heute nicht verzichten.

Besonders stark geprägt wurde das Bild des Waldes freilich durch die Malerei. Dabei ist keineswegs nur an romantische Bilder wie Caspar David Friedrichs „Kreuz im Gebirge“, Johann Heinrich Schilbachs „Abendblick auf Bickenbach“ (1847), Ferdinand Georg Waldmüllers „Kinder im Walde“ (1858) oder Karl Haiders „Heiligen Hain“ (1905) zu denken. Auch viele Impressionisten und Expressionisten griffen gerne auf das Sujet Wald zurück. Schließlich diente er Künstlern als Projektionsfläche für düstere Zukunftsprognosen, etwa in Karl Hofers „Männern“ oder Otto Dix’ „Wald am Abend“ (1940).

Die erhebliche Aufwertung und Popularisierung des Waldes trug dazu bei, daß sich seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Wochenendausflug in die Natur nicht nur in bürgerlichen Kreisen zu einem allgemeinen Ritual entwickelte. Insbesondere seit der Jahrhundertwende entstanden zahlreiche Ausflugsgaststätten direkt im Wald oder zumindest in waldnahen Lagen, Jugendherbergen, Naturfreunde- und Ferienheime wurden errichtet. Gleichzeitig zeichnete sich aber auch ein deutlicher Trend zur Verkitschung ab: So gehörten zeitweilig die in Massenproduktion hergestellten Bilder von röhrenden Hirschen zur Standardausrüstung einer „gehobenen“ Wohnkultur.

Schließlich trug die deutliche Überzeichnung des Waldes und seiner Bedeutung für die Volksgemeinschaft während des Dritten Reiches dazu bei, daß nach dem Zweiten Weltkrieg die intensive Auseinandersetzung mit dieser Thematik abrupt endete. Nur wenige Vereine und Institutionen wie etwa die zu Beginn der fünfziger Jahre gegründete „Schutzgemeinschaft Deutscher Wald“ stellten sich in einer von Wirtschaftswachstum und Fortschrittsglauben erfüllten Zeit gegen den allgemeinen Trend. Doch erst in den siebziger Jahren zeichnete sich erneut eine Veränderung ab. So wehrten sich insbesondere die Bewohner der Großstädte vielfach gegen die Abholzung von städtischen oder stadtnahen Wäldern. In den achtziger Jahren beherrschte das Thema Waldsterben häufig die vorderen Seiten der deutschen Tagespresse. Ähnliche Entwicklungen zeichneten sich auch in der ehemaligen DDR ab. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks verloren diese Debatten jedoch wiederum ihren Stellenwert. Statt dessen gewann die Diskussion um den „globalen Klimawandel“ immer mehr Raum.

Auch wenn es der Ausstellung aufgrund ihrer Vielschichtigkeit an einem Schwerpunkt mangelt, bietet sie dem Besucher ein überaus abwechslungsreiches und kurzweiliges Bild. Ein Teil der Präsentation wurde explizit auf jugendliche Besucher zugeschnitten, um so unmittelbar für die Beschäftigung mit diesem Thema zu werben. Zweifellos ein sinnvolles Unterfangen.

Die Ausstellung „Unter Bäumen. Die Deutschen und der Wald“ ist bis zum 4. März im Deutschen Historischen Museum Berlin, Unter den Linden 2, täglich von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Telefon: 030 / 20 30 40.

Der Katalog (Sandstein Verlag) mit 320 Seiten kostet im Museum 25 Euro.

www.dhm.de

Foto: Eduard Leonhardi, Waldeinsamkeit, Öl/Leinwand, 1887; „Horst wird Förster“, Jugendbuch von Erich Kloss, 1960; Otto Geiger „Wandern mit ‘Kraft durch Freude‘“, Werbeplakat der NS-Organisation “Kraft durch Freude“,um 1935: Leben außerhalb bürgerlicher Zwänge

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