© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/12 03. Februar 2012

Lockerungsübungen
Wulff und die Autorität
Karl Heinzen

Die Hauptschuld für die Kampagne gegen Christian Wulff ist nicht dem Betroffenen selbst, sondern seinem Amtsvorgänger anzulasten. Horst Köhler war in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland der erste Präsident, der beleidigt das Handtuch warf, bloß weil in einigen wenigen Medien Kopfschütteln über sein unausgegorenes Wortgeklingel zu den Herausforderungen der Weltpolitik zu vernehmen war. Mit seinem Rücktritt hat er die Journalisten unseres Landes auf den Geschmack gebracht. Auch der protokollarisch höchste Würdenträger des Staates, der zuvor als entrückter Sonntagsredner allen Anfeindungen entzogen schien, kann, falls es einmal kein anderes lohnendes Opfer gibt, unter Druck gesetzt und aus dem Amt gejagt werden.

Den Medien ist daher kein Vorwurf für ihre Hatz auf Christian Wulff zu machen. Als niemandem Rechenschaft schuldiges Korrektiv zur Führungsauslese der Demokratie ist es ihre Kernaufgabe und der Gradmesser ihres Erfolges, die Karrieren von möglichst vielen Politikern zu torpedieren. Der aktuelle Verlegenheitspräsident fordert sie durch seinen Mangel an Souveränität geradezu heraus, ihn ins Visier zu nehmen. Allerdings lassen sie es dadurch zu, daß mit ihrer Kampagne die Öffentlichkeit in einer Mentalität bestärkt wird, die sie eigentlich in Frage zu stellen trachten. Aus dem von ihnen geschürten Ärger der Bürger über den Bundespräsidenten läßt sich nämlich mitnichten eine Erschütterung des Autoritätsglaubens ablesen, sondern im Gegenteil die Enttäuschung darüber, daß Wulff eben nicht die respekteinflößende Autorität verkörpert, die man in diesem Amte gerne sähe.

In der Vergangenheit sind die Deutschen in dieser Hinsicht schlichtweg verwöhnt worden. Allen bisherigen Bundespräsidenten, sogar einem Heinrich Lübke auf seine Weise, war es gegeben, sich als Ersatzmonarchen zu inszenieren, die ihre Untertanen würdig zu repräsentieren verstanden, weil sie in ihrer Integrität und ihrer Verpflichtung auf das Wohl des Ganzen eben anders zu sein schienen als diese selbst. Christian Wulff ist daran gescheitert, daß er es nicht vermochte, sich in diese Tradition zu stellen. Er ist mit seiner auf den eigenen Vorteil bedachten Gewußt-wie-Mentalität ein Bundesbürger wie alle anderen auch und hält den Menschen einen Spiegel vor, in den sie nicht schauen wollen.

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