© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/12 10. Februar 2012

Putins Gegenoffensive
Rußland: Mittels organisierter Paralleldemonstrationen soll der Opposition der Wind aus den Segeln genommen werden
Thomas Fasbender

Die ersten zwei Großdemonstrationen nach der umstrittenen Parlamentswahl Anfang Dezember hatten den Kreml noch auf dem falschen Fuß erwischt. Die Obrigkeit wirkte wie entwaffnet. Oppositionspolitiker tauchten plötzlich in den Staatsmedien auf, während die Bilder von Präsident und Premier ein, zwei Tage lang schier vom Bildschirm verschwanden.

Inzwischen hat Wladimir Putin, der seiner Wahl zum russischen Präsidenten am 4. März einen möglichst legitimen Anstrich geben will, eine neue Strategie entwickelt. Unterstützt durch die allzeit bereiten „administrativen Ressourcen“ ließ er parallel zum dritten Großaufmarsch der Opposition am vergangenen Samstag eine Gegendemonstration inszenieren. Schließlich bilden die Anhänger des Status quo keinen geringen Teil der Bevölkerung, und es läßt sich trefflich streiten, ob die schweigende Mehrheit zwischen Königsberg und Wladiwostok nun pro oder contra Putin ist.

Manche kamen freiwillig zum Aufmarsch der Regierungstreuen, andere, zumeist solche aus dem Staatsdienst, unter nachhaltigem Druck ihres Arbeitgebers, wieder andere im Tausch gegen einen 500-Rubel-Schein (etwa zwölf Euro). In den Seitenstraßen parkten unzählige Autobusse mit Aufschriften wie Tambow oder Brjansk. Provinzstädte, deren Bewohner eher als die Hauptstädter selbst für eine Pro-Putin-Aktion zu begeistern sind.

Der Premier selbst trat nicht auf, auch keine Politiker der Regierungspartei „Einiges Rußland“, dafür TV-Moderatoren wie Michail Leontjew oder Sergej Kurginjan oder der Romancier Eduard Bagirow. Auch das eine Analogie zu den Versammlungen der Opposition, wo gleichfalls Intellektuelle und nicht die Politiker dominieren. Dennoch war auffallend, daß der prominente oppositionelle Blogger Alexej Nawalny (JF 51/11)bei der Demonstration nicht präsent war. Grund: Offensichtlich überdenkt der 35jährige seine mittelfristige Rolle in der Politik.

Es wird nicht die letzte Paralleldemo gewesen sein. Die Opposition hat ihren nächsten Aufmarsch für den 26. Februar angekündigt. Sie spekuliert darauf, daß der Staat auch mit 500-Rubel-Scheinen nicht alle zwei Wochen hunderttausend Unfreiwillige mobilisieren kann. Für Putins Strategie spricht hingegen, daß die öffentliche Reaktion deutlich uneinheitlicher ausfiel als nach den Demonstrationen im Dezember.

Das Bild ist diffus geworden, die Opposition verliert die Hoheit über die Schlagzeilen, allein schon der Streit um die Zahl der Teilnehmer – sowohl auf Regierungs- als auf Oppositionsseite schwanken sie je nach Interessenlage zwischen 40.000 oder 120.000 – nagt an ihrer Legitimation.

Putin kämpft um einen Wahlsieg in der ersten Runde. Ein zweiter Urnengang würfe ein unschönes Licht auf seinen Start in eine dritte Präsidentschaft. Will er sein Ziel erreichen, braucht er den Rückhalt der Provinz, der kleinen und mittleren Städte, wo man die Frondeure in Moskau und Sankt Petersburg mit Mißtrauen verfolgt.

Dort punktet der Premier noch als Führer von altem Schrot und Korn, dort trifft seine antiwestliche Rhetorik auf offene Ohren. Die Menschen spüren, wie unwillig die Europäische Union und die Vereinigten Staaten einer dritten Präsidentschaft Putins entgegenblicken, und das treibt viele an die Seite dieses Mannes, der seit über einem Jahrzehnt stur und nachhaltig einen russischen Sonderweg propagiert.

Die starre Haltung in der Syrienfrage, wo für Rußland die einzige Militärbasis im Mittelmeer und umfangreiche Waffengeschäfte auf dem Spiel stehen, entspricht diesem Denkmuster. Ein Nachgeben wie im vergangenen Jahr in Libyen würde den Premier daheim wichtige Punkte kosten.

Gut möglich, daß die Rechnung aufgeht. Über 85 Prozent der Russen leben außerhalb der Hauptstädte Moskau und Sankt Petersburg. Deren fast 20 Millionen Einwohnern präsentiert der Premierminister sich derweil als wandlungsfähiger, aufgeschlossener Politiker: „Die erste Etappe der postsowjetischen Epoche geht zu Ende, jetzt können wir uns wirklich vorwärtsbewegen.“

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