© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/12 17. Februar 2012

„Der Traum vom Gottesstaat zerbricht“
Er war erst Muslimbruder, heute sagt er dem Islam den Untergang voraus. Bekannt wurde er als Buchautor und Deutschlandreisender. Dann nahm Hamed Abdel-Samad an der Revolution in Ägypten teil – und avancierte zu einem der gefragtesten Experten für die Arabellion.
Moritz Schwarz

Herr Abdel-Samad, ursprünglich kennt man Sie aus der ARD-Satireserie „Entweder Broder“. Eigentlich aber beschäftigen Sie sich in Ihren Büchern mit dem Islam und der arabischen Welt auf sehr ernste Weise. Paßt das zusammen?

Abdel-Samad: Ja, das paßt, weil es zu mir paßt. Erstens will ich nicht nur auf einer Schiene fahren, und zweitens haben die ernsten Themen, mit denen ich mich beschäftige, auch eine absurde Seite.

Zum Beispiel?

Abdel-Samad: Denken Sie etwa an die absurde Vorstellung im islamischen Gesellschaftsbild vom Verhältnis zwischen Mann und Frau. Außerdem muß man sich manchmal auch ernsten Themen über den Humor nähern, weil diese sich dann besser dekonstruieren lassen, da so die Widersprüche klar werden. Das ist zum Beispiel auch das Konzept von „Entweder Broder“.

Wieso hat Henryk M. Broder ausgerechnet Sie als seinen Kompagnon für die Sendung ausgewählt?

Abdel-Samad: Vielleicht weil ich das Gegenteil von ihm bin. Jünger, schlanker und gebildeter – so würde er es sagen. Nein, im Ernst: Fragen Sie ihn selbst.

Dank des „arabischen Frühlings“ sind Sie – unabhängig von „Entweder Broder“ – zum gefragten Interviewpartner in allen Medien geworden. Denn Sie haben den Rücktritt Mubaraks, in dieser Woche vor genau einem Jahr, auf dem Tahrir-Platz in Kairo mit herbeidemonstriert.

Abdel-Samad: Meine Freunde und Familie leben in Ägypten, und ich habe nach wie vor eine emotionale Bindung an mein Heimatland. Ich wollte die Umwälzungen dort nicht aus der Ferne beobachten, sondern Teil von ihnen sein.

„Westliche Demokratie ist dort eine Utopie“, sagte Peter Scholl-Latour im Dezember in einem Interview mit dieser Zeitung. Die jüngsten Ereignisse in Ägypten, etwa in Port Said, scheinen ihm recht zu geben.

Abdel-Samad: Vielleicht darf ich einwerfen, daß „westliche Demokratie“ auch in Europa weitgehend Utopie ist, wenn man Demokratie als ein Ideal versteht. Wenn man sie aber als Prozeß betrachtet, dann muß man fairerweise sagen, daß Ägypten und die arabische Welt eben noch am Anfang stehen. Auch in Europa hat sich die Demokratie ja nicht auf Anhieb durchgesetzt. Es war vielmehr ein langer Weg vom europäischen Frühling zwischen 1789 und 1848 bis zur endgültigen Etablierung der Demokratie in ganz Westeuropa nach 1945. Ich glaube, Peter Scholl-Latour kannte sich während des Kalten Krieges in der arabischen Welt sehr gut aus. Im Moment aber kann er die Verhältnisse dort nicht mehr richtig einschätzen.

Warum?

Abdel-Samad: Etwa weil er keine Facebook-Seite hat. Er gehört nicht zur jungen Generation, er weiß nicht wie deren Dynamik ist, welche Vorstellungen, Ansichten, Bedürfnisse und Ideen in ihr virulent sind. Seine Informationen basieren auf den Verhältnissen, die während des Kalten Krieges geherrscht haben, da war er der Experte, das gebe ich gerne zu. Aber heute laufen die Prozesse anders und, ganz ehrlich, er wäre vermutlich der letzte, der hier Voraussagen machen könnte.

Scholl-Latour ist zwar nicht bei Facebook, aber er bereist die arabische Welt ständig.

Abdel-Samad: Ja, er reist viel und trifft dabei die Leute, die er schon seit vierzig Jahren trifft. Leute, die ebenfalls Experten oder Protagonisten der sechziger, siebziger, achtziger Jahre waren und die alle die gleichen veralteten Vorstellungen von der arabischen Welt haben. Er unterhält sich aber nicht mit den Jungen, er hat keine Ahnung, was die Youtube- und Facebook-Generation macht.

In seinem neuen Buch „Arabiens Stunde der Wahrheit“ schildert er, wie er diese auf dem Tahrir-Platz selbst besucht.

Abdel-Samad: Ich halte nicht viel von Analysen, die darauf beruhen, daß man sich zwanzig Minuten auf dem Tahrir aufgehalten und mit den zehn nächstbesten Personen dort gesprochen hat.

Scholl-Latour schreibt: „Es sind sympathische, gebildete Leute, aber in politischer Hinsicht Illusionäre und Dilettanten. Die jungen Demonstranten erscheinen als politisch unreife Schwärmer, die weder über Programm noch über solide Führung verfügen.“ Bei den Parlamentswahlen gab es prompt keinen Erfolg für eine der Facebook-Generation nahestehende Partei, was doch zeigt, daß seine Analyse offenbar richtig war.

Abdel-Samad: Zunächst: Wenn ich auf dem Marienplatz in München oder dem Kudamm in Berlin Jugendliche anspreche und danach frage, wie ihre Vision für Deutschland aussieht, kommt wahrscheinlich auch nur Murks heraus. Auf so eine Zufallsstichprobe kann man keine valide Analyse gründen. Nein, der Tahrir ist ein Workshop, eine Werkstatt der Ideen, Hoffnungen und Wünsche, und man kann seine Bedeutung für die intellektuelle Entwicklung des Landes nicht nachvollziehen, wenn man ihn ein paar Minuten oder Stunden besucht. Dazu muß man mit den Leuten dort gelebt haben, muß mit ihnen gezeltet, gegessen, gehofft und gehadert, muß ihre Wege verfolgt haben, und man muß ihre Sprache sprechen.

Warum aber spielten sie bei den Wahlen dann keinerlei Rolle?

Abdel-Samad: Dazu wollte ich eben kommen: Sich zurückzuziehen war wohl das Klügste, was sie machen konnten.

Warum das?

Abdel-Samad: Weil die etablierten Kräfte doch nur darauf warten, ein paar Leute der Facebook-Generation als Feigenblatt-Minister berufen zu können, um sie dann zu „verbrennen“. Es stimmt ja, daß die Leute vom Tahrir politisch unerfahren sind, wären sie sofort in die Politik gegangen, wären sie an den hohen Erwartungen der Ägypter gescheitert.

Die großen Wahlgewinner waren Muslimbrüder, Salafisten und Konservative, was doch erneut Scholl-Latour bestätigt.

Abdel-Samad: Ich sage nicht, daß es keine Islamisierung in Ägypten und Nordafrika gibt, ich sage nur, daß das nicht das letzte Wort ist.

In Ihrem jüngsten Buch „Krieg oder Frieden. Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens“ schildern Sie die Islamisierung als „Umweg“.

Abdel-Samad: Genau, als einen Umweg auf dem Weg zur Demokratisierung. Ebenso wie die Versuche des Militärrates, den Lauf der Dinge irgendwie noch aufzuhalten.

Ist der Militärrat nach Ihrer Ansicht also schon am Ende?

Abdel-Samad: Ja, es ist nicht vorstellbar, daß sich in Ägypten nochmal eine Militärdiktatur durchsetzt. Diese Zeiten sind vorbei. Denn die Jungen sind nicht mehr bereit, irgendeine Form der Diktatur hinzunehmen. Es ist eindeutig, daß hinter Ereignissen wie etwa den blutigen Unruhen im Fußballstadion von Port Said vergangene Woche der Militärrat steckt. Er versucht mit einer Strategie à la Hitler, durch das Schüren von Unruhen die Lage zu destabilisieren. Das kennen wir aus der Geschichte, das ist Faschismus, purer Faschismus. Aber das wird den demokratischen Kräften nur Zulauf bringen. Noch vor Monaten wurde die Armee von den meisten Ägyptern bejubelt. Inzwischen aber kann sich ein General nicht einmal mehr auf Veranstaltungen der besseren Schichten sehen lassen, weil die Leute aufstehen und sagen: „Nieder mit dem Militär!“

Nun sollen die eigentlich für Juni anberaumten Präsidentschaftswahlen vorgezogen werden. Will der Militärrat die Macht behalten, müßte er also rasch handeln.

Abdel-Samad: So ist es, aber es ist schon zu spät. Wenn, dann hätte er im letzten März putschen müssen, als er auf der Höhe seiner Popularität war. Jetzt aber könnte er eine solche Aktion nicht mehr durchsetzen, denn inzwischen hätte er sowohl die revolutionären Massen wie die Muslimbrüder gegen sich. Das wären zwei starke Gegner – da kann die Armee nicht mithalten.

Wozu dann seine „Strategie à la Hitler“, wie Sie sagen?

Abdel-Samad: Das sind nur noch Reflexe, ich glaube nicht, daß dahinter noch ein wirklicher Plan steht. Man versucht mal dies, mal das, weil man im Grunde keine Perspektive mehr hat. Es gibt auch keinen eindeutigen Führer im Rat mehr, mal setzt sich der eine Flügel durch, mal ein anderer.

Auch wenn der Militärrat aufgibt, haben die Bürger vor allen Muslimbrüder und Salafisten gewählt. Wie können Sie da so sicher sein, daß die Islamisierung nur ein Umweg ist?

Abdel-Samad: Man darf nicht denken, daß Wähler dieser Parteien alle einen Gottesstaat wollen. Die Salafisten etwa haben fast 28 Prozent der Stimmen bekommen, ihre tatsächliche Basis liegt aber nur bei etwa zehn Prozent. Warum aber haben dann so viele ganz normale Bürger für sie und die Muslimbrüder gestimmt? Weil die Leute vor allem die Abgeordneten gewählt haben, die sie aus ihrer Umgebung kennen, einen Arzt, Ingenieur oder Händler, der als Saubermann gilt, das Gegenteil von allem, was man vorher unter Mubarak hatte. Oft waren diese Leute auch karitativ tätig, jetzt zahlt man ihnen zurück, daß sie geholfen haben, wo der Staat damals gefehlt hat. Die islamischen Parteien wurden nicht wegen ihrer Programme gewählt, sondern weil vor allem sie im ganzen Land vertrauenswürdig scheinende Kandidaten haben. Das ist der eine Grund, der andere: Stimmenkauf! Und das in einem Ausmaß, das man nicht unterschätzen darf. Vierzig Prozent der Ägypter können nicht lesen und schreiben, und sie haben keine Ahnung von Politik. Sie gingen auch früher nicht zur Wahl, viele Ägypter leben ein Leben, bei dem sie immer zu Hause bleiben. Nun mußten sie wählen gehen, weil sonst eine Geldstrafe von umgerechnet 90 Euro drohte, und vor allem Muslimbrüder und Salafisten haben den Leuten Geld für ihre Stimmen gegeben. Sie haben sie sogar mit Bussen von zu Hause abgeholt, ins Wahllokal gefahren und ihnen gesagt, wo sie ihr Kreuz machen müssen. Auf diese Weise sind Millionen von Stimmen zusammengekommen, die schließlich den Unterschied zwischen zehn und fünfundzwanzig Prozent ausmachen können.

In den deutschen Medien werden die Muslimbrüder weitgehend als ernsthaft gemäßigt dargestellt. Trifft das wirklich zu?

Abdel-Samad: Sie müssen sich gemäßigt geben. Natürlich gibt es bei ihnen neben radikalen und dschihadistischen Kräften auch ehrlich gemäßigte, sie sind ja nicht homogen. Aber ich weiß, daß sie im Grunde andere Ziele verfolgen und sich nur nicht trauen, etwa öffentlich von der Einführung der Scharia zu sprechen.

Bevor Sie nach Deutschland gekommen sind, waren Sie selbst Muslimbruder.

Abdel-Samad: Wissen Sie, ich war ein blutjunger Mann und kam aus der Provinz in die Metropole Kairo. Ich fühlte mich fremd im eigenen Land und suchte Halt. Und liberale Parteien durften kaum tätig sein, im Grunde gab es nur die Wahl zwischen Mubaraks Nationalpartei und den Islamisten. Diese genossen immerhin etwas Freiraum, da Mubarak sie brauchte, um die Ausnahmegesetze im Land zu rechtfertigen. So schloß ich mich ihnen an. Inzwischen aber hat die Islamisierung in Ägypten langfristig keine Chance mehr.

Warum nicht?

Abdel-Samad: Weil vierzig Prozent der Ägypter zwischen 18 und 27 keine Arbeit haben. Muslimbrüder und Salafisten ist klar, daß sie für diese jungen Leute eine Lösung schaffen müssen, sonst werden sie früher oder später bei Wahlen hinweggefegt. Mit islamischer Ideologie ist diese Masse nicht zu beruhigen. Damit Muslimbrüder und Salafisten ihre eigentlichen religiösen Ziele erreichen könnten, müßte in Ägypten so viel Öl entdeckt werden, wie in Saudi-Arabien. Dann garantiere ich Ihnen die Entstehung eines Gottesstaats am Nil! Denn dann wäre die Bevölkerung versorgt, und die Politik könnte machen, was sie will. Dann könnte Ägypten es sich leisten, sich wie etwa der Iran von der Welt zurückzuziehen. Aber Ägypten ist abhängig vom Tourismus, von ausländischen Investitionen und vom Export von Agrarprodukten in den Westen. Das heißt, die ägyptische Politik muß pragmatisch sein, und künftig müssen sich ausgerechnet Muslimbrüder und Salafisten um westliche Touristen und Geschäftsleute bemühen. Dieser Pragmatismus und der politische Alltag werden die islamische Bewegung entzaubern. Und vor allem können sie natürlich nicht etwa für Urlaub in Ägypten werben und gleichzeitig Frauen steinigen oder Alkohol verbieten. Der Traum vom Gottesstaat der islamischen Parteien wird an den Realitäten des Landes zerbrechen.

 

Hamed Abdel-Samad, Erste Aufmerksamkeit erlangte der Politologe und Publizist mit seinen Büchern „Mein Abschied vom Himmel. Aus dem Leben eines Muslims in Deutschland“ (2009) und „Der Untergang der islamischen Welt. Eine Prognose“ (2010). Gleichzeitig wurde er als Partner Henryk M. Broders in der ARD-Sonntagabendsendung „Entweder Broder – Die Deutschland-Safari“ bekannt. Geboren 1972 in Ägypten, wandte er sich als junger Mann zunächst der Bewegung der Muslimbrüder zu. Nach seiner Auswanderung nach Deutschland 1995 wandelte er sich zum Islamkritiker. Folge war eine Fatwa gegen ihn, zeitweilig stand er unter Polizeischutz. 2011 brachte ihm erhebliche Medienaufmerksamkeit, als er als Teilnehmer der Revolution in Ägypten und als Experte für den „arabischen Frühling“ zahllose Interviews gab. Diesem Thema ist auch sein jüngstes Buch gewidmet: „Krieg oder Frieden. Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens“ (2011)

Foto: Islamistenmarsch in Kairo: „Um ihre Ziele zu erreichen, müßte so viel Öl entdeckt werden wie im Iran. Denn man kann nicht für Urlaub in Ägypten werben und gleichzeitiπg Frauen steinigen.“

 

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