© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/12 17. Februar 2012

Entfernte Verwandte im Kreisverkehr
CDU: Der Berliner Kreis verunsichert die Parteispitze
Paul Rosen

Die Aufregung war groß, das Ergebnis muß noch abgewartet werden. Manche Medien erweckten den Eindruck, als hätte das halbe Dutzend CDU-Bundestagsabgeordneter, das sich in der vergangenen Woche zusammen mit einigen Mitstreitern aus den Ländern auf den Weg in das Berliner Konrad-Adenauer-Haus machte, die Scheidungsurkunde im Gepäck. So schlimm steht es für die Parteiführung um Angela Merkel allerdings nicht: „Es ist unser gemeinsames Ziel, uns für den Erfolg der Union einzusetzen“, formulierte der hessische CDU-Fraktionsvorsitzende Christean Wagner nach dem dreistündigen Treffen mit Generalsekretär Hermann Gröhe, der sich ebenfalls diplomatisch äußerte: „Uns eint das Ziel, die Union weiter nach vorn zu bringen.“ Scheidungen sehen anders aus.

Es geht um den „Berliner Kreis“ (siehe Seite 18), eine bisher lockere Runde von Bundes- und Landtagsabgeordneten sowie Parteimitgliedern ohne Mandat, die sich in gemeinsamer konservativer Überzeugung verbunden sehen. Als Chef und Spiritus rector gilt der Hesse Wagner. Nun soll die Gruppe, zu der auch der Innenausschuß-Vorsitzende des Bundestages, Wolfgang Bosbach, und die stellvertretenden Fraktionschefs
Arnold Vaatz und Johannes Singhammer (CSU) gerechnet werden, von einem Geschäftsführer zusammengehalten werden. Statt gelegentlichen Erklärungen könnte es auch ein Programm geben. Und eine Mitgliederkartei, in die sich CDU-Mitglieder eintragen lassen können, um aktiv mitzuarbeiten.

Von den jüngeren Abgeordneten werden der Wirtschaftspolitiker Thomas Bareiß und der Kolpingwerk-Bundesvorsitzende Thomas Dörflinger zum „Berliner Kreis“ gezählt. Nicht viele Namen sind das, und auch nicht besonders prominente. Vom Kabinett ist bei den Konservativen erst recht niemand zu sehen. „Einst an den Hebeln der Union, stehen die Konservativen mittlerweile auf der Roten Liste“, spottete die Süddeutsche Zeitung über „das schwarze Häuflein“. Manch Hinterbänkler möchte mit dem Kreis nicht in Verbindung gebracht werden, etwa Philipp Mißfelder, der Vorsitzende der Jungen Union. Er „schwor öffentlich ab“, notierte die Welt. Angehörige des Berliner Kreises hatten offenbar auch erwartet, daß der Finanzpolitiker Christian Freiherr von Stetten, der mit dem „Parlamentskreis Mittelstand“ die größte und einflußreichste Vereinigung der Bundestagsfraktion führt, mit zu Gröhe kommt. Doch der habe wohl Angst vor der eigenen Courage bekommen, mutmaßten Abgeordnete auf dem Weg in die Parteizentrale.

Das Mißtrauen bei Merkel & Co. ist stark, sehr stark sogar. Und die Drohungen werden öffentlich ausgesprochen. Der Fraktionsvorsitzende Volker Kauder etwa stellte klar: „Es geht nicht, daß so was institutionalisiert wird.“ Und Finanzminister Wolfgang Schäuble fürchtet offenbar nicht zu Unrecht, daß die „Berliner“ auch etwas gegen die immer höheren Euro-Bürgschaften haben könnten. Sehr weit ging auch die CSU-Landesgruppenvorsitzende Gerda Hasselfeldt, die den Mitgliedern zwar das Recht eingestand, sich nach sozialer Herkunft wie Arbeitnehmer oder Mittelstand zu organisieren. Aber einen konservativen Flügel mit Struktur lehnte sie ab: „Ich sehe keinen Sinn darin, innerhalb der Volkspartei noch eine zusätzliche Gruppe dafür zu installieren, die sich damit isoliert beschäftigt, was konservativ ist.“ Das ist eine sehr deutliche Botschaft der Landesgruppenchefin. Übersetzt heißt das, jeder darf sich organisieren, nur Konservative nicht. Vielleicht steckt die Angst dahinter, daß auch CDU und CSU verstärkt in das Visier der antifaschistischen Kampffront geraten könnten, in die sie sich doch liebend gerne einreihen würden. Die gemeinsam mit der Linkspartei beschlossene Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Zwickauer Terrorzelle im Bundestag war ein klares Zeichen. Bisher hatte die Union geschworen, nie mit den Linken gemeinsame Sache machen zu wollen.

Der Publizist Alexander Gauland, der bei dem Treffen mit Gröhe dabei war, zeichnete ein realistisches Bild der Lage der Konservativen in der CDU: „Statt sich zu freuen, daß die absterbenden Wurzeln der alten CDU erneuert werden, sieht die Führung bloß Dissidententum, das genau wie einst im sozialistischen Ostblock mit Parteistrafen zu disziplinieren ist“, schreibt er im Tagesspiegel. Tatsächlich soll Gröhe in dem Gespräch Druck auf die Konservativen ausgeübt haben, auf ein organisatorisches Gerüst zu verzichten. Vor „Zersplitterung“ habe der Generalsekretär gewarnt, hieß es von Teilnehmern. Verwiesen worden sei auf die SPD, deren Flügel eine Struktur haben, was der Partei mehr geschadet als genutzt habe. Vorwürfe der Konservativen, die CDU räume eine Position nach der anderen, soll der Generalsekretär mit dem Hinweis auf steigende Umfragewerte für Merkel gekontert haben.

Der Berliner Kreis will nun beraten, wie es weitergeht. Angeblich bekommt man viel Zuspruch von der CDU-Basis. Die Handwerker der Macht in Adenauer-Haus, Kanzleramt und Fraktionsführung fühlen sich durch den versprengten Rest deutscher Konservativer in ihren Kreisen gestört. Der Termin bei Gröhe war bestenfalls ein Besuch bei einem entfernten Verwandten, mit dem man außer dem Namen nicht mehr viel gemeinsam hat.

Foto: CDU-Chefin Angela Merkel, Hessens Fraktionschef Christean Wagner: Handwerker der Macht

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