© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/12 17. Februar 2012

Wo steckt Mehmet?
Kriminalität: Das Geschäft mit der illegalen Einwanderung blüht / In Freiburg findet ein Prozeß gegen eine internationale Schleuserbande statt
Ronald Gläser

Im Spätherbst 2008 kommt es in Stuttgart zu einem Geheimtreffen in einem Hinterzimmer. Abdul Rahman Hama, Spitzname Mehmet, ist extra nach Deutschland gereist, um neues Personal anzuheuern. Mehmet ist eine Art Handelsreisender in Sachen Schleusungskriminalität. Der mysteriöse Mann aus dem Nahen Osten überzeugt seine Zuhörer schnell: Mit dem Versprechen auf saftige Profite gewinnt er sie für eine Zusammenarbeit.

Seine Zuhörer sind kleine Unternehmer, meistens aus Nordrhein-Westfalen. Spediteure mit einem oder zwei Lkw. Und alle in Zahlungsschwierigkeiten. Wenig später setzt sich ein Lkw von Griechenland nach Italien in Bewegung. An Bord sind neben der handelsüblichen Ware auch mehrere illegale Einwanderer. Sie verstecken sich in Hohlräumen, die bei Routinekontrollen durch den Zoll oder die Polizei nicht bemerkt werden.

Gesteuert werden die Transporte von Mehmet, der aus der Türkei oder anderen Nahoststaaten die Fäden spinnt. Mit wechselnden Mobiltelefonen erteilt er seinem Führungspersonal in Deutschland und den Niederlanden Anweisungen: „Den Sattelschlepper nach Bagdad schicken.“ „Ein Schafstransport nach Griechenland, bitte.“ So lauten die Anweisungen. „Schafe“, das ist das Codewort für „Kunden“.

Staatsanwalt Wolfram Triller runzelt die Stirn. Er hat alle Fakten zu Mehmets Bande in mühsamer Kleinarbeit zusammengefügt. Jetzt führt er die Anklage gegen sieben von Mehmets Bandenmitgliedern. „Die Organisation hatte einen hierarchischen Aufbau“, sagt er und nennt die Anklagepunkte: Beihilfe zur gewerbsmäßigen und bandenmäßigen Einschleusung von Personen ins Gebiet der Europäischen Union in vielen Fällen. Es ist einer der größten Prozesse dieser Art in Baden-Württemberg seit Jahren. Über 4.800 Fälle von illegalen Einschleusungen hat die Polizei laut Kriminalstatistik 2010 registriert.

Die Angeklagten sitzen regungslos im Großen Saal des Landgerichts Freiburg. Die meisten von ihnen sind in U-Haft. Der Hauptangeklagte Yaser K. zum Beispiel. Der 46jährige ist 1989 nach Deutschland gekommen und hat in einer Textilfabrik gearbeitet. In den neunziger Jahren machte er sich selbständig, gründete ein Fuhrunternehmen, die Transmobil GmbH.

2008 geriet sein Unternehmen in den Strudel der Wirtschaftskrise. Sagt er zumindest. Die Tatsache, daß alle Angeklagten unisono ihre Taten damit begründen, 2008/09 von der Krise auf dem falschen Fuß erwischt worden zu sein, macht die Sache nicht eben glaubwürdiger. An dieser Stelle benutzen sie in der Verhandlung vor dem Freiburger Landgericht alle dieselbe Wortwahl. Es klingt wie abgesprochen.

Und auch sonst haben die Angeklagten viele Gemeinsamkeiten: Sie sind alle türkischer Herkunft und leben traditionell. Die Frauen tragen Kopftuch, die Männer kümmern sich ums Geschäft. Die meisten brauchen einen Dolmetscher, obwohl sie zum Teil seit Jahrzehnten in Deutschland leben.

Der Angeklagte Selahattin K. (44), seit zwanzig Jahren in Deutschland, gehört zu denen, die es mit einer Aussage auf deutsch versuchen. Er hat 2000 in einer Transportfirma angefangen. 2005 hat er sie übernommen. 2007 war er pleite. Seiner Familie hat er dies alles verschwiegen: „Ich ging ein Jahr weiter zur Firma, trank Tee. Kamen Freunde zu Besuch.“ K.s Anwältin: „Mein Mandant will damit sagen, daß es lange gedauert hat, bis er realisiert hat, daß seine Firma am Ende war.“ Zu dieser Zeit war K. längst Hartz-IV-Empfänger.

Das Arbeitsamt hat ihm eine Psychotherapie vorgeschlagen. Keine gute Idee: „Ja, da waren wir da. Aber die haben so komisch mit meiner Frau und mir gesprochen, da bin ich weggegangen von dem Psychotheramist.“ Zwar seien die Psychologen „auch Türken“ gewesen, aber sie hätten keinen Draht zueinander gefunden.

K. konnte seinen Sprit nicht mehr bezahlen oder die Versicherung. Steuerschulden hier, Leasingschulden dort. Insgesamt 200.000 Euro. Die Zwei-Mann-Firma mußte offiziell zumachen. Aber inoffiziell hat K. eine neue Einnahmequelle gefunden: K. schließt sich Mehmets Bande an.

Dieser gehört auch der Angeklagte Azem U. (55) an. Auch er ist in der Türkei geboren und zur Schule gegangen. 1980 kam er nach Deutschland. Er arbeitete bei einer Transportfirma bis 1994. Dann gründete er ein eigenes Fuhrunternehmen, das er bis zum Jahr 2000 führte. U. hatte einen Fuhrpark von drei Lkw, mit denen er türkischen Rückkehrern behilflich war, die ihre Wohnungen in Deutschland auflösten und ihren Hausstand in die Türkei verlegten.

Aber es gab zu wenige Rückkehrer. 2000 bis 2002 arbeitete U. nur noch „in Europa“, wie er sagt, also nicht mehr in der Türkei. Dann war er insolvent und mußte als Fahrer bei anderen Transportfirmen anheuern. 2007 gründete er eine neue Firma, die er aber bald wieder verkaufte, und 2008 mit einem Strohmann noch eine, die zwischen Spanien und Deutschland verkehrte.

Mit verschiedenen Lkw transportieren sie immer mehr illegale Einwanderer aus dem Nahen Osten, zum Beispiel aus Syrien, in den Schengen-Raum. Es geht über die Türkei und Bulgarien oder Griechenland und Italien nach Norden. Mehrere Scheinfirmen und amtliche deutsche Kennzeichen sollen „an der Grenze eine seriösen Eindruck erwecken“, heißt es in der Anklage.

Die Anfänge der Organisation reichen zehn Jahre zurück. Aber erst mit dem Treffen im Herbst 2008 werden die Aktivitäten stark ausgeweitet. Jetzt schließen sich in kurzer Zeit mehrere türkische Fuhrunternehmer der Gruppe an, die alle unter Mehmets Kommando arbeiten. Es fließen fünfstellige Summen. Das Geschäft kommt in Fahrt.

Im Sommer stößt der deutsche Fuhrunternehmer L. zu der Bande. Er ist der einzige Nichttürke und wurde in einem getrennten Verfahren bereits zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig. Sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft haben Berufung eingelegt.

L. kennt Mehmet seit 2000, transportiert für ihn Baumaschinen und Lastkraftwagen von Deutschland nach Griechenland. Als er in Schwierigkeiten steckt, sucht er nach einer besseren Geldquelle. Die Lösung: Ein Versicherungsbetrug soll her. Noch lukrativer erschien ihm dann aber der Einstieg in Mehmets Schleusergeschäft.

Das ist im Juli 2009 voll im Gang. Immigranten werden mit den Lkw der Bande durch halb Europa gefahren. Zuweilen müssen sie die grüne Grenze passieren. Im Juli 2009 läßt L. einen Lkw mit Kunststoff-Fensterrahmen von Frankreich über Österreich nach Sofia fahren. In Bulgarien werden die Kennzeichen gewechselt. Dann soll der Laster Flüchtlinge im türkisch-bulgarisch-griechischen Grenzgebiet aufnehmen, die in einem alten Bauernhof auf ihren Transfer warten, und in die EU bringen. Zweimal geht das Unterfangen gut. Bei der dritten Fahrt wird der Wagen von der griechischen Polizei gestellt. Mit sage und schreibe 113 Personen an Bord, denen der Sauerstoff auszugehen droht. Pro Person haben sie 3.000 US-Dollar für die illegale Passage gezahlt.

Ebenfalls im Juli 2009: Mehmet beordert eine Zugmaschine von Istanbul in den Irak und von dort nach Athen. Getarnt als Gurkentransporter und mit einem gefälschten Fahrzeugschein versehen wird der Wagen nun für Schleuserfahrten von Griechenland nach Italien eingesetzt. In einem Hohlraum verstecken sich die blinden Passagiere. Als der Wagen im August 2009 auffliegt, befinden sich dort 44 Personen aus Asien und Afrika, darunter Bangladescher, Palästinenser, Türken, Iraker.

Im Dezember 2009 kauft der Hauptangeklagte Yaser. K. bei russischen „Geschäftsfreunden“ einen Citroën-Sattelzug, der dann präpariert wird und zweimal zum Transport von Griechenland nach Italien zum Einsatz kommt. Als der Lkw schließlich bei Patras von griechischen Behörden erwischt wird, haben sich 43 Personen in dem Fahrzeug versteckt. Tausende von Euro gehen der Bande durch die Lappen.

Die Rückschläge haben die Motivation der Bandenmitglieder nicht beeinträchtigt. Vielmehr drehen sie an ihrer Gewinnmarge. Der Hauptangeklagte Yaser K. senkt die Honorare für Fahrer von 700 Euro pro Tour auf 150 Euro. Außerdem kauft er in Frankfurt am Main einen neuen Lkw. Bei dem Verkäufer gibt er sich als Russe aus. In Sofia wird das Fahrzeug umgebaut. Präpariert.

Trotzdem fliegen die Wagen auf. Reihenweise. Im April wird einer von der Polizei angehalten und erfolgreich durchsucht. Und im Monat darauf ist der nächste Transport dran, bei dem unter anderem Pakistanis, Iraker, Eritreer und Afghanen geschleust werden sollten. Nun bricht die Gruppe aufgrund innerer Streitigkeiten auseinander. Schon seit geraumer Zeit gab es Mißtrauen zwischen Mehmet und seinem „Stellvertreter“ in Deutschland, dem Hauptangeklagten Yaser K.

Den Untergebenen dämmert, daß Mehmet sie um einen Teil des gemeinsam erwirtschafteten Gewinns prellen will, heißt es in der Anklage. Weil keine weiteren Zahlungen mehr zu erwarten sind, melden sie einen ihrer Lkw kurzerhand gestohlen und kassieren von der Zürcher Versicherung 18.000 Euro.

Nach und nach gehen nun die Mitglieder der Gruppe der deutschen Justiz ins Netz. Yaser K. sitzt in Stammheim und wartet auf das Ende des Prozesses. Für zwei Mitglieder der Gruppe ist es schon so gut wie gelaufen, nachdem sie ein Geständnis abgelegt haben. Sie warten nur noch auf das Urteil. Gegen die anderen fünf wird noch weiterverhandelt.

Mehmet hingegen ist untergetaucht. Der Mann, der als Bauingenieur im Irak gearbeitet haben soll, bevor er ins Schleusergeschäft einstieg, wird von deutschen Sicherheitsbehörden im Nahen Osten vermutet. Und vielleicht klingelt gerade irgendwo in Europa ein Handy, und Mehmet erteilt neuen Gewährsmännern seine Anweisungen.

 

Mehmet-Bande im Visier der Polizei

Der Fall der Mehmet-Bande ist nicht der einzige, der die baden-württembergische Justiz beschäftigt. Im November wurde eine Bande von Pakistani ausgehoben, die von Sigmaringen und Griechenland aus ein Schleusernetz betrieben hat. Die Verdächtigen haben bis zu 19mal Landsleute nach Deutschland geschleust. Die Verdächtigen schweigen. Daher ist noch unklar, wann die Staatsanwaltschaft Stuttgart Anklage erheben wird. Fest steht, daß mit illegaler Einreise viel Geld zu verdienen ist. 2.500 bis 3.000 Euro kostete eine Passage.

Die Polizei in Baden-Württemberg arbeitet eng mit der Bundespolizei zusammen. Diese erhält Hinweise von ausländischen Polizeidienststellen, wenn es einen Schleusungsfall gibt, der irgendwie mit Deutschland zusammenhängt, also wenn beispielsweise ein deutsches Fahrzeug involviert war.

Nur so konnte die Mehmet-Bande überführt werden – durch Amtshilfe. Bundespolizei und Landespolizei unterhalten eine Gemeinsame Ermittlungsgruppe (GES). Diese hat eins und eins zusammengezählt und schließlich die Gruppe überführt.

Fotos: Tatwerkzeug Lkw: Bis zu 113 Personen wurden in einem Fahrzeug von der Bande untergebracht – unter lebensgefährlichen Bedingungen, wie die griechische Polizei feststellen mußte, nachdem sie den Wagen gefilzt hatte; Gefangenentransport: Hauptangeklagter Yaser K. verläßt nach der Anklageerhebung das Landgericht

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