© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/12 17. Februar 2012

Pankraz,
Helmut Dietl und das Baby Schimmerlos

Eigentlich wollte sich Pankraz, nachdem er den Trailer gesehen hatte, den Film „Zettl“ von Helmut Dietl ersparen. Dann aber geschah etwas recht Interessantes: Der Drehbuchschreiber Benjamin von Stuckrad-Barre erhob Unterlassungsklage gegen die Boulevardzeitung Berliner Kurier; die habe ihn mit ihrer Kritik am Film schwer beleidigt. Die Zeitung reagierte bisher nicht, Pankraz aber machte sich seufzend zum „Zettl“-Besuch auf.

Um es gleich zu sagen: Der Film taugt wirklich nichts, er wurde zu Recht von der Presse übereinstimmend mit Hohn übergossen. Der Kurier machte freilich, mehr als die anderen Zeitungen, speziell Stuckrad-Barre für das Desaster verantwortlich. Das wirre Durcheinander, so schrieb er, sei wohl eine Folge von Stuckrad-Barres einstigem (und von diesem auch vielfach öffentlich einbekanntem) Drogenkonsum. Kokain könne zwar kurzfrstig die Leistung erhöhen, langfristig hinterlasse es jedoch schwere Hirnschäden.

Das mag stimmen oder nicht, fest steht aber auch, daß der Durchfall von „Zettl“ keineswegs exklusiv die Folge von irgendwelchen Drehbuch-Erweichungen ist. Es handelt sich bei dem Film vielmehr um einen Kollektivunfall mit vielerlei Ursachen und Anlässen. Hauptursache indessen ist eindeutig das Fahrzeug, das man benutzte und in dem alle Beteiligten saßen: ein angeberisch aufgemotzter Oldtimer, mit dem man allen Ernstes glaubte, an einem heutigen Hochleistungsrennen teilnehmen zu können.

Zettl“ ist ein Oldtimer namens „Kir Royal“, und „Kir Royal“ war jene sechsteilige, von Helmut Dietl und Patrick Süskind geschaffene TV-Gaudi-Serie von 1986 über die Münchner „Schickeria“ und den ihr zugeordneten Klatschkolumnisten Baby Schimmerlos, die heute Kultstatus genießt und an die „Zettl“ in vielen Szenen auch direkt anschließt. Man wollte erklärtermaßen eine Fortsetzung von „Kir Royal“, seine Ausweitung ins Berlinisch-Haupstädtische, wo sich nicht nur lokale Schickeriagrößen, sondern leibhaftige Politiker von heute wiedererkennen sollten.

So etwas mußte wohl von Natur aus schiefgehen, und es ist eben auch monumental schiefgegangen, was beileibe nicht nur an einzelnen Beteiligten liegt. Sicherlich, Stuckrad-Barre ist kein Süskind, „Bully“ Herbig reicht nicht an seinen Vorgänger Franz Xaver Kroetz heran. Viel wichtiger aber ist eine umgekehrte Perspektive: Die „Kir Royal“-Serie ihrerseits reicht bei weitem nicht an das heran, was heute eine vergleichbare, auf die Hauptstadt Berlin und ihren Politbetrieb gemünzte Gaudi-Serie leisten müßte.

Mit heutigen Augen betrachtet, wirkt „Kir Royal“ eher hinterwäldlerisch. Schon in der zweiten Folge wird die Gaudi putzig in Richtung antike Tragödie abgebogen. Während Kolumnist Schimmerlos einer berühmten Schauspielerin den Bauch abtastet, um zu prüfen, ob sie schwanger ist, verzehrt sich sein armes Mutterl gerade vor Sehnsucht nach ein bißchen sohnlicher Zuneigung. Einsam stirbt sie in der Sozialwohnung, und als Schimmerlos, der inzwischen zu einer rauschenden Party abgewandert ist, die Nachricht erhält, läßt er, ohne sich zu schämen, die männliche Zähre rinnen.

Die Serie, laut damaligem Programmheft eine scharfe Satire auf „Pressehaie“, wächst sich zu einer Art Hohelied für Schimmerlos und seinesgleichen aus. Schon in der ersten Folge erwies dieser sich ja als ganz toller Hecht, widerstand herkulisch einem Parvenü, der ihn mit Tausendmarkscheinen geradezu überschüttete, um endlich einmal in die Klatschspalte zu kommen – und nur der Umstand, daß schließlich die Zeitungsverlegerin persönlich mit ihm, Schimmerlos, ins Bett ging, erweichte ihn.

In der nächsten Folge dann läßt er sich durch nichts davon abbringen, jene Schwangerschaft ins Blatt zu bringen, trotzt deshalb sogar Morddrohungen, und der Zuschauer realisiert ehrfurchtsvoll: Dieser Mann ist ja ein Held! Weder Tausendmarkscheine noch Schlagringe und nicht einmal ein einsames Mutterl können ihn von seinem Motto abbringen, das da lautet: „Wer reinkommt oder wer draußen bleibt, bestimme ich!“ O du heiliger Schickeria-Märtyrer!

Heute kann man – natürlich vor allem in Berlin – über derlei Hagiographien nur brüllend lachen, „Zettls“ Protagonisten mögen sich noch so abgebrüht aufführen, hinter all ihrem Gezappel lugt unübersehbar das Alttiroler Bauerntheater hervor. Wer sich heute im Journalismus als recherchierender Bauchbetatscher betätigt, der ist kein Held, nicht einmal ein eingebildeter, er ist nichts weiter als ein Funktionsrädchen im politisch-medialen Komplex, voll akzeptiert, wenn auch meistens unterbezahlt.

Apropos Bauchbetatschen: Was haben denn Dietl & Stuckrad-Barre für einen antiquierten Begriff von moderner Öffentlichkeit und Privatsphäre? Sie enthüllen unentwegt Sachen, die längst offen zutage liegen und keinen mehr interessieren. Sie sollten Mark Zuckerberg lesen. „Die Privatsphäre“, verlautbarte der kürzlich unter allgemeinem Beifall, „ist ein Relikt aus alten, längst vergangenen Tagen. Privatsphäre und moderner Journalismus schließen sich gegenseitig aus.“

Der Mann hat zweifellos recht, und er relativiert damit ziemlich gründlich das medienfüllende Klagen über unerlaubte Datenspeicherungen und Datenverknüpfungen. Solche Angriffe sind von den Angegriffenen zuallermeist selbst arrangiert. Die Schimmerlos und Zettl von heute „enthüllen“ diesen Betrieb nicht, geschweige denn daß sie ihn tapfer kritisierten, sondern sie bedienen ihn nur, und zwar im Sold von politischen Hintermännern, welche damit ihre Machtspielchen betreiben.

Längst liegt über alledem freilich der Ruch von Langeweile, denn so machen’s ja inzwischen alle! Jedermann kann heute via Internet mit seinen kleinen Sauereien die Kanäle vollstopfen. Mag sein, daß so etwas auf Dauer nur unter Drogeneinfluß aushaltbar ist, doch wer darüber eine sarkastische Filmgaudi produzieren will, der muß wohl drogenfrei ans Werk gehen.

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