© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/12 17. Februar 2012

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Zu den neuen Bizarrerien kirchlicher Jugendarbeit gehört die „Aktion Kugelkreuz“, mit der sechzig Musiker von dreizehn „Jugendbands“ mobil machen, „gegen Rechts“ selbstverständlich. Offenbar gedenkt man, bei fehlender geistlicher Substanz, den Schülerbibelkreis endgültig durch eine Gemeindeantifa zu ersetzen. Der merkwürdige Begriff „Kugelkreuz“ bezieht sich übrigens auf das Emblem der Evangelischen Jugend, den von einem Kreuz überhöhten Kreis, der wiederum für eine Kugel steht. Die „Aktion“ verhehlt auch gar nicht, daß dieses Symbol der Evangelischen Jugend auf den Theologen Otto Riethmüller zurückgeht, den man nun als tapferen Vorkämpfer der Bekennenden Kirche präsentiert. Das mag noch angehen, aber ein Antifaschist war Riethmüller nicht. Er wandte sich zwar – wie die Mehrheit der Protestanten – gegen staatliche Übergriffe auf die Kirche während der NS-Zeit, gehörte aber nichtsdestoweniger zu den ausgewiesen nationalen Männern, die damals für die evangelische Geistlichkeit repräsentativ waren. Um das zu illustrieren, muß man nicht einmal auf die Verse zurückgreifen, die er 1933 gedichtet hat („Arbeit und Freiheit für jeglichen Stand / Kämpferland, Hitlerland / schirm dich Gottes Hand“), es genügt ein Blick auf sein wunderbares Lied „Herr, wir stehen Hand in Hand“, das ganz und gar durchdrungen war von der Idee eines bündischen und kämpferischen Christentums, zu dem dann natürlich auch das von ihm geschaffene Symbol der Evangelischen Jugend paßte und das eben kein „Kugelkreuz“, sondern einen Reichsapfel darstellt und symbolisch Bezug nahm auf die enthusiastische Reichsidee der Zwischenkriegszeit, für die die Grenze zwischen Deutschem Reich und Reich Christi mindestens durchlässig war, um nicht mehr zu sagen.

Bildungsbericht in loser Folge XVII: Zwei Meldungen an einem Tag: Erstens, Untersuchungen an kleinen Kindern, die in den USA durchgeführt wurden, haben ergeben, daß die Entwicklung des Hippocampus – ein Gehirnteil, der vor allem für unsere Gedächtnisleistung, das Gefühlsleben und die Streßbewältigung wichtig ist – durch nichts so gefördert wird wie durch mütterliche Zuwendung in den ersten drei Lebensjahren. Zweitens: Brüssel plant Maßnahmen gegen die vorgesehene „Herdprämie“ und das deutsche Ehegattensplitting, da sie Frauen daran hinderten, sich einen Beruf zu suchen.

Ernstfallvergessen: Turnschuhe trotz Winterwetter.

Seltsame Flaschenpost aus dem totalitären Zeitalter: Foto eines Aushangkastens der regimetreuen „Deutschen Christen“, kurz vor dem Zweiten Weltkrieg, darin deutlich erkennbar ein Schild mit dem Text „Zertrümmerte Fensterscheiben bringen uns nicht zum Schweigen. Die Wahrheit siegt!“

„Wenn sich die aktuelle Perspektive änderte, blieb die gelehrte Lesart davon nicht lange unberührt: Historiker leben in ihrer Gegenwart. Das entbindet sie nicht von der Pflicht zu handwerklich sauberer Arbeit an den Überresten der Vergangenheit. Aber auch sie bringt ihnen bei, daß keiner der jetzigen und der früheren Aspekte das ganze geschichtliche Leben umfaßt, jeder es nur in Bruchstücken spiegelt. Was sie leisten können und müssen, ist lebenswichtig genug: dem vielstimmigen Gespräch der vor ihnen Gestorbenen zuzuhören und es für die nach ihnen Geborenen aufzuzeichnen.“ (Arno Borst)

Gerhard Stadelmaier hat unlängst ein schönes Stück zur Mentalitätsgeschichte der Nachkriegszeit geliefert und dabei auch jene Ex-Nazis erwähnt, die es nach ’45 ins „Bigott-Christliche“ trieb. Aufgrund eigener Beobachtung sei eine Differenzierung hinzugefügt. Es gab da nicht nur eine Sorte, sondern mehrere, mindestens drei: die „Konventionellen“, die einfach versuchten, in jene Normalität zurückzukehren, die es für das Bürgertum vor dem Krieg beziehungsweise der Machtübernahme noch gegeben hatte; die „Hochmoralischen“, die sich nun ebenso entschieden zum Pazifismus bekannten, wie sie einmal den Militarismus verfochten hatten, und mit demselben Anspruch auf Autorität nicht mehr Adolf Hitler, sondern Albert Schweitzer zitierten; und schließlich die „Liturgiker“, eine seltene – „hochkirchliche“ – Variante, die formfixiert war, besonderen Wert auf den äußeren Aspekt des Gottesdienstes legte, aber aus irgendwelchen Gründen ihr Heil nicht im Katholizismus suchte. – Mir ist ein Kirchenvorsteher in Erinnerung, der bekannt für seine unbarmherzige Kritik war, sollte man, im Altarraum sitzend, die Beine nicht vorschriftsmäßig nebeneinander stellen, und irgendwann erzählte, er habe schon als „Illegaler“ zur österreichischen SS gehört und seinen Ältesten germanisch im Wald „getauft“.

„Der durchschnittliche Internetsklave wird die netzbasierte Bildung als natürlich und erstrebenswert empfinden.“ (David Gelernter, einer der Väter des Internets)

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 2. März in der JF-Ausgabe 10/12.

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