© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/12 17. Februar 2012

Strom und Rinnsal
Die allzu banale Historisierung Carl Schmitts
Günter Maschke

Es gibt eine bereits hochbetagte, aber immer noch ärgerlich fortwuchernde Mode in der Literatur zu Carl Schmitt (CS) – es sind die „CS & ...“-Aufsätze. Da finden sich, unter welchen Titeln auch immer:

CS & Voegelin, CS & Gogarten, CS & Rosenstock-Huessy, CS & Elías de Tejada, CS & Eduard Spranger, CS & Emmanuel Lévinas, CS & Oswald Spengler, CS & Wilhelm Röpke, CS & Jesús Fueyo, CS & Bertrand de Jouvenel, CS & Leo Frobenius, CS & Bert Brecht, CS & Herbert Marcuse, CS & Gonzalo Fernández de la Mora, CS & Robert Musil, CS & Karl Barth, CS & Edgar Julius Jung, CS & Albert Paris Gütersloh, CS & Giuseppe Rensi, CS & Gottfried Benn, CS & Johann Baptist Metz, CS & Thomas Bernhard, CS & René Girard, CS & Jaime Guzmán, CS & Max Scheler, CS & René Capitant, CS & Ernst Michel, CS & René Guénon, CS & Joseph Barthélemy, CS & Carlo Costamagna, CS & Hermann Broch, CS & Charles Maurras, CS & Karl Jaspers, CS & Ernst Wilhelm Nay, CS & Augusto del Noce, CS & Paul Valéry, CS & Hans Blumenberg, CS & Jacob Taubes, CS & Ramiro de Maeztu, CS & Georg Lukács, CS & Thomas Mann, CS & Belio Cantimori, CS & José Antonio Primo de Rivera, CS & Evola, CS & Pierre Linn, CS & Leopold Ziegler, CS & José Carlos Mariáteguí, CS & Walter Warnach, CS & Carré de Malberg, CS & Francis Parker Yockey. Erst bei der knappen Hälfte der Liste angekommen, brechen wir erschöpft ab – doch nicht ohne an Walter Benjamin zu denken, der weit an der Spitze marschiert.

Gewiß, ein Teil dieser Versuche, die nur Gott der Herr & Piet Tommissen gezählet haben, ist brauchbar und ein kleiner Teil sogar erhellend und nützlich. Doch das Gros dieser Texte ist nur ein Auf-der-Glatze-Locken-Drehen, ist beliebiges Assoziationsgeklingel und fades Kunstgewerbe. Häufig gibt es nur ein oder zwei sehr kärgliche Berührungspunkte zwischen Schmitt und den Autoren derartiger Erzeugnisse, die sich nicht einmal immer der gemeinsam durchlebten Epoche verdanken; häufig ließe sich die Sache in ein oder zwei Fußnotenzeilen klären. Zu siebzig bis achtzig Prozent sind diese Hervorbringungen nur das Ergebnis des so lächerlichen wie brutalen Drucks auf junge Akademiker, pausenlos zu publizieren, oder sie verdanken sich der Anschlußmanie schreiblüsterner Feuilletonredakteure. Es finden sich hier weder wirkliche Kenntnisse noch Sitzfleisch und oft nicht einmal Talent.

Wenn schon „CS & ...“, dann sollte man sich mit Autoren befassen, deren Schriften in einem engen inhaltlichen Zusammenhang mit denen Schmitts stehen, die seine Positionen & Begriffe teilen, seine Fragen weitertreiben und sogar des öfteren besser beantworten. Dazu bieten sich vor allem die deutschen Politiktheoretiker und Völkerrechtler der Zwischenkriegszeit an, bei deren Studium dem ausdauernden Leser deutlich wird, daß Schmitt keineswegs der Solitär war, der er für viele heutige Betrachter ist und daß die Ignoranz gegenüber seinem wirklichen Umfeld ihn noch rätselhafter macht, als er es ohnehin ist.

Schmitt war „nur“ der berühmt gewordene Exponent einer Gruppe, die im selben Bergwerk arbeitete. Die Analysen dieser Autoren zum Versailler Diktat, zum Völkerbund, zur damals in Schwung kommenden, moralisierenden Verschleierung der Machtpolitik qua Verrechtlichung, zur Paktomanie während des Interbellums, zur Diskriminierung des Krieges, zur Großraumfrage, zum missionarisch drapierten Machtanspruch der Vereinigten Staaten usw. erreichten nicht selten das Niveau der Schriften Schmitts und übertrafen es sogar zuweilen. Aber findet man die „CS & ...“-Aufsätze zu Paul Barandon, Carl Bilfinger, Axel v. Freytagh-Loringhoven, Otto Goppert, Hermann Jahrreiß, Hermann Lufft, Asche Graf v. Mandelsloh, Heinrich Rogge, Gustav Adolf Walz, Giselher Wirsing? Nichts, nichts, nichts!

Wo es um gelegentliche Kontakte, rudimentäre Entsprechungen, sich auf einzelne Probleme beziehende Übereinstimmungen, punktuelle Bezugnahmen geht, da kann keiner die Tinte halten. Doch wo sich eine enge, strukturelle Verwandtschaft bequem finden läßt, da wird geschwiegen. Einer der Gründe liegt darin, daß mit den Problemen, vor denen das gedemütigte Deutschland der Weimarer Zeit stand und mit dem Machtanspruch des Dritten Reiches die Themen der Großen Politik faßbar wurden und daß sich die damit verbundenen Fragen den harmlosen Ich-bin-klein-mein-Herz-ist-rein-Theorien eines vermutlich definitiv unterworfenen Landes gar nicht stellen.

Politikwissenschaft ist im heutigen Deutschland vor allem eine Demokratie- und Umerziehungslehre, Völkerrecht, vor allem eine ungenießbare Mischung aus moralsaurem Pazifismus & Servilität gegenüber dem Pan-Interventionismus raumfremder Mächte. Die damaligen Autoren bezahlen ihre Überlegenheit gegenüber dem Gros der heutigen Literatur damit, daß man sie gründlich vergißt – meist kennt man nicht einmal mehr ihre Namen. Diesem Schicksal ist nur Carl Schmitt entronnen, der jedoch den Verlust seiner engsten „Verwandten“ erfahren mußte. Der Unwille und die Unfähigkeit, die „große Politik“ zu verstehen, produzieren die Bücherberge der Gegenwart; allenfalls reicht es zu einem europäischen Vasallen-Idyll : vor den Märkten zittern und sich an die im Niedergang befindlichen Vereinigten Staaten klammern.

Betrachtet man Schmitts Gesamtwerk und die Literatur dazu, so fällt einem die geradezu ungeheuer zu nennende Disproportion zwischen dieser Literatur und Schmitts Gesamtwerk auf. Sicherlich gibt es in diesem Werk Wichtiges, weniger Wichtiges und sogar Unwichtiges, aber daß von den etwa 400 Büchern zu Schmitt sich gerade einmal drei oder vier dem Völkerrecht und den Internationalen Beziehungen widmen, ist ein Armutszeugnis allererster Klasse. Nirgendwo ist die heute so eifrig beschworene Aktualität Schmitts größer, nirgendwo so mit Händen zu greifen und während auf dem eurasischen Schachbrett die Einkreisung des um seinen Großraum kämpfenden Rußland versucht wird, zweigt sich aus dem unüberblickbaren Strom der Schmitt-Literatur ein schüchternes Rinnsal ab, das mit Ach und Krach für einen vorstädtischen Park taugt.

Der Kampf zwischen Land und Meer tritt in ein neues, vielleicht mit einem neuen Weltkrieg schwanger gehendes Stadium, und da befassen wir uns mit der wer-weiß-wievielten „CS & ...“- Belehrung!

 

Carl Schmitt und kein Ende Notizen von Günter Maschke

„Er zieht an, stößt ab, interessiert und ärgert, und so kann man ihn nicht loswerden“, meinte Goethe über Stendhal in einem Brief an Carl Friedrich Zelter am 8. März 1818 und Paul Valéry bemerkte einmal: „Man findet kein Ende mit Stendhal. Ich weiß kein größeres Lob!“

Das gleiche ließe sich von Carl Schmitt sagen, der mich seit 1971 beschäftigt, mit dem ich 1979 Freundschaft schloß und von dem ich einige Schriften edierte. Je mehr ich mich mit diesem Avancierriesen befasse, desto kritischer werde ich gegenüber vielen Details und desto mehr bewundere ich ihn im Ganzen. „Gran finura, pero falta de solidez – Große Feinheit, aber Mangel an Solidität“ pflegt ein gemeinsamer spanischer Bekannter zu sagen, ein Urteil, dem ich mich anschließe.

Hier droht ein lebenslänglicher Spagat, indessen meine Sammlung an Erinnerungen, Thesen, Überlegungen, Kenntnisnahmen von Büchern und Aufsätzen, von Anekdoten, Apologien und Polemiken erbarmungslos anwächst. Aus dieser rohen, verworrenen Masse von Notizen sei in der JUNGEN FREIHEIT, in halbwegs überschaubaren Zeitabständen, einiges mitgeteilt, – mag man es Potpourri oder Kaleidoskop heißen. Einem unerschöpflichen und mindestens zweideutigen Denker darf man sich auch über Einzelheiten nähern, selbst wenn diese unter dem Fluch der Romantik stehen; unter dem irrlichternden Schein des Unendlichen.

 

Günter Maschke, Jahrgang 1943, lebt als Schriftsteller und Privatgelehrter in Frankfurt am Main. Er gilt als einer der profundesten Kenner und Interpreten des Werkes des Völkerrechtlers Carl Schmitt.

Foto: Das Antlitz Carl Schmitts über dem Stuhlkreis des UN-Sicherheitsrates: Ungenießbare Mischung aus moralsaurem Pazifismus und einer Servilität gegenüber dem Pan-Interventionismus raumfremder Mächte

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