© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/12 24. Februar 2012

„Eine Spaltung des Landes will kaum jemand“
Syrien: Angesichts einer höchst inhomogenen Oppositionsbewegung sitzt Präsident Baschar al-Assad weiterhin fest im Sattel
Marc Zöllner

Die Videos des Danny Abdul Dayem halten die Welt schon seit langem in Atem. Über mehrere Monate brach der junge Syrer tagtäglich in die Straßen seiner Heimatstadt Homs auf, um seinen Zuschauern auf dem Internet-Videoportal Youtube die Grauen des Bürgerkriegs hautnah zu präsentieren. Über den Blutzoll, welchen die seit Mitte letzten Jahres belagerte Hochburg der syrischen Opposition zu erdulden hat, vom Widerstand seiner Landsleute gegen Präsident Baschar al-Assads Truppen und auch vom Ausweiten der Kämpfe in die Landeshauptstadt Damaskus.

Um der Rebellenbewegung Unterstützung zukommen zu lassen, forderte die türkische Regierung nun eine internationale Anerkennung der aus Deserteuren rekrutierten „Freien Syrischen Armee“ (FSA), des militärischen Armes der syrischen Opposition. Man befürchte „ein zweites Sarajevo an unserer Grenze“, ließ Ankaras Außenminister Ahmed Davutoğlu bei einem Treffen in Washington verkünden. Auch in den USA werden Stimmen lauter, die syrischen Rebellen offensiver zu unterstützen. Der republikanische Senator John McCain, frühzeitig bereits eifriger Verfechter einer militärischen Zusammenarbeit mit der FSA, berief sich darauf, daß „Menschen, die massakriert werden, das Recht auf Selbstverteidigung“ verdienten. Er „befürworte es“, so McCain, „der Opposition Waffen zukommen zu lassen.“

Daß Assads Zeit vorüber ist, dessen sind sich die Analysten von Washington bis Doha (siehe Seite 12) bewußt. Eine militärische Intervention zugunsten des syrischen Widerstandes jedoch möchte niemand so recht wagen. Zu unklar ist, wer sich wirklich hinter den Truppen der Freien Syrischen Armee verbirgt, zu unpräzise die politischen Zielsetzungen, Strukturen und Einflußbereiche der Oppositionsparteien. Formal ein Einparteienstaat, jener der nationalistisch und sozialistisch orientierten Baath-Partei Baschar al-Assads, existieren offiziell lediglich elf in der Nationalen Progressiven Front zusammengeschlossene, baathhörige Blockparteien.

Aufgrund umfangreicher Verbote und Verfolgungen ihrer Anhänger konnten sich oppositionelle Parteien lediglich im Untergrund sowie im Exil herausbilden. Ergebnis: Die Opposition ist gespalten. Neben unzähligen unabhängigen Mitgliedern finden sich allein mehrere Dutzend Parteien, unter ihnen die Muslimbrüder sowie ethnische Parteien der Assyrer und der Kurden, im Syrischen Nationalrat, welcher von sich behauptet, über sechzig Prozent der syrischen Opposition zu repräsentieren. Ihm gegenüberstehend: das Nationale Koordinationskomitee für den Demokratischen Wandel, ein formelles Bündnis zumeist linksgerichteter Parteien aus dem arabischen sowie kurdischen Umfeld.

„Die politische Lage ist ziemlich verworren“, konstatiert dementsprechend auch der kurdisch-syrische Schriftsteller Younes Bahram gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Parteien wie die Demokratische Unionspartei (FYP), jener nach Syrien reichende politische Arm der Kurdischen Arbeiterpartei PKK, besäßen trotz der Inhaftierung von über 4.000 ihrer Mitglieder zwar immer noch gravierenden Einfluß auf sämtliche ethnischen Gruppen und Schichten des Landes, doch selbst eine kurzfristige Stabilität nach dem Sturz al-Assads könnten sie nicht garantieren. „Wie im Irak werden die Baathisten und die Hisbollah auch Syrien in einen Bürgerkrieg reißen“, so Bahram. „Eine generelle Spaltung des Landes möchte jedoch kaum jemand in Syrien. Nicht einmal den Krieg selbst.“

Auch Danny nicht. Der junge Youtube-Blogger hat das Land verlassen, letzte Woche bereits, aus Angst, das Schicksal jener teilen zu müssen, von welchen er die Monate über couragiert berichtete.

Vor der Fraktion der Liberalen im Europäischen Parlament prangert der perfekt Englisch sprechende Danny nun die Taten des Assad-Regimes an und trägt aus dem Exil dafür Sorge, daß seine Reportagen aus Homs in den Sozialen Netzwerken weiter virale Verbreitung erfahren. Auch eine Art der Opposition, meint Dayems Fangemeinde.

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