© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/12 24. Februar 2012

Spiel mit dem Feuer
Katar: Das kleine Emirat wird infolge seiner Rolle in der Arabellion zunehmend zum Führungsland der Araber
Bodo Bost

Kein anderer Staat der Erde konnte in den letzten Jahren seine internationale Bedeutung derart rasant ausbauen, wie das kleine Emirat Katar. Dies erkennt man nicht nur an der Entwicklung der Bevölkerungszahl, die von 47.000 im Jahr 1950 auf 1, 7 Millionen angestiegen ist. Der Einflußzuwachs ist vor allem daran zu erkennen, daß die Halbinsel am Persischen Golf, auf der vor 20 Jahren Fußball noch ein Fremdwort war, von der Fifa den Zuschlag zur Ausrichtung der Fußball-WM im Jahre 2022 erhalten hat.

Das Land, in dem selbst nur 300.000 Katarer leben – der Rest sind Ausländer –, spielt auch politisch innerhalb der Arabischen Liga eine zunehmend bedeutendere Rolle, die sich mit der Fortdauer der Arabellion noch erweitern könnte. Wenn man nach Gründen für dieses erstaunliche Phänomen fragt, ergibt sich neben dem Ölreichtum des kleinen Emirats die Bedeutung des Medienstandortes Doha, der Hauptstadt von Katar. Die strikte Emanzipation vom großen Bruder Saudi-Arabien und der damit verbundene Aufstieg Katars zum global player ist eng verbunden mit der Gründung des Satellitenkanals Al Jazeera, des mit Abstand größten und einflußreichsten arabischen Medienunternehmens, im Jahr 1996.

Der Ausbruch des Arabischen Frühlings war nicht nur den sozialen Computernetzwerken von Facebook, Twitter und Co. zu verdanken, mindestens einen ebensogroßen Anteil hatte Al Jazeera. Im Unterschied allerdings zur Facebook-Generation, die gerade um die Früchte ihres „Erfolges“ in Ägypten. Libyen und Tunesien gebracht wird, läßt sich Al Jazeera und damit dessen Eigentümer Scheich Hamad bin Khalifa Al- Thani, der Emir von Katar höchstselbst, die Rendite am Erfolg der Aufstände in diesen Ländern und auch des erwarteten Erfolges des Aufstandes in Syrien wohl nicht nehmen.

In Doha sitzt nämlich nicht nur der Fernsehsender Al Jazeera, sondern auch mit Scheich Yussuf al Qaradawi das geistige Oberhaupt der Muslimbrüder, die spätestens nach ihrem Wahlerfolg in Ägypten, dem Heimatland Al-Qaradawis, die Geschicke des Arabischen Frühlings bestimmen. Auch Qaradawi hat es Al Jazeera zu verdanken, daß sein Einfluß via medialer Rechtsgutachten (Fatwas) in der gesamten islamischen Welt unangefochten ist. Wöchentlich trat er bis vor kurzem in der Sendung „Die Scharia und das Leben“ auf und beantwortete Fragen von Zuschauern aus allen Teilen der Welt zur islamischen Lebensführung.

Überhaupt genießen in dem kleinen Golfstaat Meinungsflüchtlinge aller Couleur politisches Asyl: Saddam Husseins ehemaliger Außenminister Nadschi Sabri ebenso wie aus Ägypten emigrierte Muslimbrüder, Hamas-Funktionäre oder sozialistische Ex-Politiker aus dem Südjemen. Das Emirat genießt in Sachen Liberalität und Toleranz eine Vorreiterrolle, politische Gefangene gibt es dort nicht, aber dafür ein „Zentrum zum Schutz verfolgter Journalisten“.

Nachdem mit Ägypten und Syrien die Schwergewichte der Arabischen Liga in den Strudel von Volksaufständen geraten waren, war es das kleine Katar, das die Rolle des Vermittlers und Meinungsführers der Arabischen Liga übernahm. Zum ersten Mal war dies im Falle Libyens offenbar geworden. In Libyen war Katar das einzige arabische Land, das den Einsatz der Nato aktiv unterstützt hat.

Im Falle Syriens ist die Rolle Katars noch entscheidender. Hier schien es lange undenkbar, daß die Arabische Liga Aktionen gegen das einstige Führungsland des arabischen Widerstandes gegen Israel unternehmen könnte. Doch der Emir von Katar und dessen umtriebiger Außenminister Hamad Bin Jassim Bin Jabr Al-Thani machen keinen Hehl daraus, mit arabischen Truppen intervenieren zu wollen, und haben die Arabische Liga, die anders als die EU über keine von Regularien getragene Führungsstruktur verfügt, entsprechend umgestimmt. Seit Wochen bestimmt nun Doha, wer an der Spitze der Beobachter der Liga die Lage in dem Land in vorderster Linie in Augenschein nimmt und dadurch auch Einfluß ausüben kann.

Parallel dazu bemühte sich Katar nach Meldungen der arabischen Zeitung Asharq Al-Awsat auch darum, den Führungsmitgliedern der radikal-islamischen Palästinenserbewegung Hamas um deren Führer Chaled Maschaal einen Umzug von Damaskus nach Jordanien zu ermöglichen. Er hatte mehr als Erfolg. Ende Januar empfing Jordaniens König Abdullah II. den Führer der Hamas. Selbst ein Umzug nach Katar ist nun im Gespräch. Damit hat Syrien seinen letzten Verbündeten im sunnitischen Islam verloren.

Auf der anderen Seite wurde Katar auch im Afghanistankonflikt aktiv. Ergebnis: Die radikal-islamischen Taliban in Afghanistan haben Anfang Januar die Eröffnung einer offiziellen Auslandsvertretung im Golfemirat Katar angekündigt. Über das Büro sollen Friedensgespräche in Gang gebracht werden. Die Taliban haben mit den Behörden in Doha eine entsprechende vorläufige Vereinbarung erzielt, erklärte Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid in Kabul im Januar selbstbewußt. Die Eröffnung eines Verbindungsbüros im Ausland gilt in der EU und den USA als Voraussetzung für den Beginn von Friedensgesprächen mit den Aufständischen. Doch noch zögert Kabul und fordert bilaterale Gespräche mit Katar. Einen Eröffnungstermin für die Taliban-Vertretung gibt es daher noch nicht.

Bereits in der Vergangenheit hatte sich Katar zudem als Schlichter im Nahostkonflikt, dem Dauerkonflikt der Region, versucht. Als einziges Land auf der Arabischen Halbinsel, wo im Nachbarland Saudi-Arabien Juden nicht einmal den Boden des Landes betreten dürften, konnte Israel in Katar zunächst eine Handelsmission und danach 2008 eine Botschaft eröffnen. Mit der Schließung der Botschaft nach Beginn des Gazakrieges 2009 mußte sich Katar jedoch eingestehen, daß auch sein Potential als Vermittler und Friedensstifter begrenzt ist. Entsprechend legt auch Nahostexperte Guido Sternberg in einem Papier der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) die Finger auf die Wunde. Wird das starke Engagement Katars in der Syrienfrage den Interessengegensatz zwischen Doha und Assad-Unterstützer Teheran verstärken? „Angesichts des Kräfteverhältnisses zwischen den beiden Nachbarn“ so Sternberg „ist dies eine höchst riskante Politik.“

Auch die Unterstützung islamistischer Organisationen sorgt im Westen für Unbehagen. Kein Wunder. Offiziell ist auch in Katar der Islam – mit einer streng wahhabitischen Ausrichtung wie in Saudi Arabien – Staatsreligion und das islamische Recht, die Scharia, die Quelle aller Gesetzgebung. Die Weitergabe des christlichen Glaubens an Muslime ist strikt verboten. Dennoch gilt Katar auch in religiöser Hinsicht als der liberalste aller Golfstaaten. So wurde im Jahr 2007 am Stadtrand von Doha ein Gebäudekomplex mit einer katholischen Kirche, der St. Mary’s Church mit Platz für 2.700 Personen eingeweiht. Das Bauland für diesen Komplex, der auch Gottesdiensträume für viele andere Konfessionen enthält, war vom Emir von Katar auf Pachtbasis zur Verfügung gestellt worden. Islamvertreter hatten den Kirchenbau kritisiert, die Regierung Katars sprach dagegen von positiven Signalen für die Außenwelt.

Foto: Scheich Hamad Bin Khalifa Al-Thani, Emir von Katar (M.), beim Gebet in der neu errichteten Muhammad-Ibn-Abdul-Wahhab-Moschee: Nicht immer gelingt der Spagat zwischen der Vermittler- und Führungsrolle

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