© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/12 24. Februar 2012

Perspektiven aus dem Giftschrank
Zwei prächtige Bände präsentieren die verfemte „Neue deutsche Malerei“ aus der Münchner Kunstaustellung der NS-Zeit
Wolfgang Saur

Die politischen Systemwechsel im 20. Jahrhundert haben Chancen umverteilt, Akzeptanzen und Tabus je neu bestimmt. Das führte vor allem in Deutschland zu Rissen und Widersprüchen, die uns bis heute fesseln. Sachlich oft grundlose Umwertungen, Verwerfungen betreffen zumal die Zeichen der kulturellen Sphäre, der Kunst. So verfielen etwa die zwischen 1933 und 1945 belobigten Werke und Autoren nach Ende des Zweiten Weltkriegs und der nationalsozialistischen Diktatur einem bleiernen Schweigen.

Ein Tabu, das bis heute fortwirkt. Lediglich das Germanische Nationalmuseum läßt sich gequält herbei, drei Bilder der NS-Zeit auszustellen, – nicht ohne uns volkspädagogisch zu indoktrinieren. Zu sehen sind ein Porträt, ein Frauenakt und eine bäuerliche Genre-szene: die „Erntepause“ Georg Günthers (1938). Sie zeigt vier Feldarbeiter, im Schatten einer Garbe rastend. So unschuldig das Sujet, so vage auch sein Stilausdruck. Traditionelle Formgebung und Pinselführung sprechen sich im würdigen als auch banalen Sinn ganz „zeitlos“ aus. Nicht so für die Nürnberger Ankläger! Sie titelten verbissen: Das Gemälde vermittele den „Kernpunkt der nationalsozialistischen Ideologie, die Rassenlehre“. Also echot es in zahlreichen Publikationen zur NS-Kunst. Faire Kunstbücher zum Dritten Reich mit brauchbaren Bildtafeln und attraktivem Preis sind rar. Die Lücke schließt nun der Arndt-Verlag mit zwei Bänden, die sich dem Haus der Deutschen Kunst 1937–1944 und der „neuen deutschen Malerei“ widmen.

Nationalsozialistische Agitprop ist die Ausnahme

Während sich nach 1933 die öffentliche Bautätigkeit „bauaufgabenspezifisch“ entwickelte, lagen die Dinge in Malerei und Plastik komplizierter. Das verdeutlicht der Expressionismus-Streit der Jahre 1933/34, den erst Hitler persönlich beendete. Am 5. September 1934 wandte er sich gegen die Avantgarde wie auch die völkischen Sektierer (Fidus, Fahrenkrog und andere). Von da aus datiert die Norm einer idealtypischen „NS-Kunst“, die in München gezeigt werden sollte.

München, neben Dresden traditionell die deutsche Kunststadt, präsentierte das aktuelle Kunstschaffen alljährlich im Glaspalast, der 1931 abbrannte. Als Neubau entwarf Paul Ludwig Troost (1878–1934) einen klar gegliederten Kubus samt vorgeblendeter Säulenhalle mit Freitreppe. Die Architektur „erfüllte in der strengen Geschlossenheit und den monumentalen Konturen des Baukörpers, mit den (…) symmetrischen Formen und den klassisch anmutenden Kalksteinkolonnaden alle Ansprüche Hitlers an einen ‘Tempel Deutscher Kunst’“.

Der wurde am 18. Juli 1937 mit der „Großen Deutschen Kunstausstellung“ festlich eröffnet. Als düsteres Pendant diente parallel die demagogisch verzerrte Avantgardeschau „Entartete Kunst“. Deren Polarisierung sollte das Ideal einer neuen NS-Kunst plausibel machen. Das dualistische Schema war jedoch fiktiv, wie der konkrete Befund zeigt. Gleichwohl überdauerte es die Katastrophe des Dritten Reichs – mit umgekehrten Vorzeichen. „Vulgarität und Ignoranz“ wurden nun mit dem formalen Traditionalismus der NS-Kunst und jeder figürlichen Darstellung überhaupt identifiziert.

Die fortan dämonisierte „NS-Kunst“ erweist sich indes als wenig spektakulär. Formale Innovationen waren selten. Inhaltlich folgten die meisten Künstler den traditionellen Gattungen. Politische Themen blieben vor dem Krieg rar. Von einem „nazistischen Agitprop“ kann also keine Rede sein. Vielmehr dominierten in Kunst, Literatur, Theater bildungsbürgerliche Sehgewohnheiten und ein genereller Zug zum Klassischen. Gegenüber dem experimentellen Charakter der Modernen standen hier eine starke Kontinuitätsbetonung und Gemeinwohl-orientierung im Vordergrund. Im Jahr 1937 entfielen von 900 Exponaten vierzig Prozent auf Landschaften; Porträts und (meist bäuerliche) Genreszenen umfaßten 35, Stilleben und Tierbilder 10. Das politische Segment mit einigen Funktionärporträts und SA-Bildern fiel mit fünf Prozent mager aus.

Burgdorfer vollzieht die Struktur der Ausstellungen bilddokumentarisch nach. Präsentiert werden Sektionen wie: Handwerk, Industrie, Familie, Alltag, Städte und Bauwerke, Mythologie und Religion usw. Auffällig die zahlreichen weiblichen Aktdarstellungen, die einem privaten Geschmackstrend ebenso folgten wie die plastischen Männerakte im öffentlichen Raum einem politischen, so bei Thorak und Breker.

Mehr als 11.000 Werke wurden in den Jahren 1937 bis 1944 im Haus der Kunst gezeigt. Traditionell orientiert waren fast alle Künstler. Schnell erkennt man die älteren Bildmodelle, die stilbildend nachwirken. Nur wenige waren originell genug zu kreativem Umgang mit der Tradition, so Werner Peiner, Wilhelm Petersen oder Georg Kolbe. Generell herrschte – bei Künstlern wie Käufern – eine Orientierung an der altdeutschen Kunst (Dürer, Cranach) vor, an den Romantikern und schließlich der Gründerzeit. Feuerbach, Leibl und Lenbach sind allgegenwärtig, auch Makart und Menzel; daneben biedermeierliche Varianten. Nur äußerlich wurde diese gepflegte Monotonie von den gestählten Athleten Brekers mit ihren martialischen Posen durchbrochen. Den wirklich genialen Impuls erleben wir eher beim Veristen Adolf Wissel, in Werner Peiners phantastischem Realismus oder vor Willy Mellers heroischem Bildmodell.

Enorm war die öffentliche Aufmerksamkeit. 1937, im Jahr der Eröffnung, kamen 400.000 Besucher. Deren Zahl stieg kontinuierlich an und erreichte 1942 mit 850.000 den Höchststand. All dies wird faktenreich zu Papier gebracht, ist übersichtlich strukturiert und bestens lesbar. Auf dem Hintergrund der Forschung formuliert Burgdorfer umsichtig und fair seine Einschätzung. Seine beiden Bände bilden trotz Konzentration auf die Malerei ein Ganzes und komplettieren sinnfällig die thematische Verlags-Backlist zu Städten und Architekturen im Dritten Reich.

Friedrich Burgdorfer: Das Haus der Deutschen Kunst 1937–1944. Neue deutsche Malerei. Bände I + II. Arndt-Verlag, Kiel 2011, gebunden, je 158 Seiten, Abbildungen, je 25,95 Euro

Foto: Georg Günther, „Erntepause“, Öl auf Leinwand 1938, Deutsches Historisches Museum: Als nationalsozialistische Rassenlehre interpretiert

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