© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/12 24. Februar 2012

„Kloppermusik mit ordentlich Dampf“
Die Chemnitzer Rockband Kraftklub trifft die mitteldeutsche Tonlage / Rebellion gegen Abwanderung und bekiffte Eltern
Paul Leonhard

Wo gibt es denn so was? Daß man nicht nach Berlin will. Wo doch die deutsche Hauptstadt so hip ist. Wer so empfindet, muß ein ausgewiesener Provinzler sein. Und das sind die fünf Jungs von Kraftklub nicht, die „Ich will nicht nach Berlin“ singen und damit Erfolg haben. „Wir kommen aus einer internationalen Metropole namens Karl-Marx-Stadt, bekannt auch als Chemnitz“, stellt Sänger Felix Brummer (mit bürgerlichem Namen: Kummer), 22 Jahre jung, die Band zu Beginn der Konzerte vor.

Übrigens in bravem Hochdeutsch und nicht jenem westsächsischen Slang, der dem übrigen Deutschland die Ohren klingeln läßt. Weniger brav sind die Texte. Kraftklub „ist Sex auf deutsch“. Der punkige Indie-Rock mit Sprechgesang kommt an, auch die Texte. Mit ihrem am 20. Januar erschienenen ersten Album „Mit K“ ging es steil nach oben auf Platz eins der Charts. Kraftklub ist das Gewächs einer lebendigen Kulturszene. Mehr als 120 Musikgruppen der unterschiedlichsten Richtungen weist die Chemnitzer Bandliste auf. Treffpunkt und Schmelztiegel ist das „Atomino“. Kraftklub-Sänger Felix Brummer trägt das Logo des Klubs als Tattoo auf dem Unterarm.

Hier trat er als Rapper Bernd Bass auf, während sein Bruder Till sowie Max Marschk, Karl Schumann und Steffen Israel das Indie-Quartett Neon Blocks bildeten. Beim Splash-Festival 2009 waren sie erstmals zusammen zu hören und weil es funktionierte, entstand Kraftklub. „Kloppermusik mit ordentlich Dampf, die bollert, knallt, scheppert und deutsche Texte hat“, so Felix Brummer. Schnell stellen sich Erfolge ein. Die Band gewinnt den „New Music Award“ 2010, tourt als Vorgruppe mit den Beatsteaks, Fettes Brot und Casper durch die Republik. Beim Bundesvision Song Contest landen sie auf dem fünften Platz, sorgen mit „Ich will nicht nach Berlin“ und Ganzkörperbemalung für mediale Aufmerksamkeit.

Im August 2011 erscheint ihre erste Single „Zu Jung“. Auf dem Videoclip sieht man fünf in Collegejacken gekleidete Rentner, die Jugendliche, Obdachlose, Ausländer, Frauen terrorisieren, Autos zertrümmern, Rock’n’Roll singen und sichtlich ihren Spaß haben. Dazu ertönen Zeilen wie „Unsere Eltern kiffen mehr als wir/Wie soll man rebellieren?“

Das Feuilleton zeigt sich erschüttert. Die Songs „klingen wie geschütteltes Dosenbier, die billige Discounter-Variante“, mokiert sich der Stern. Aus Sicht des Berliner Tagesspiegel offenbaren die Musiker „einen bizarren Minderwertigkeitskomplex“. Kraftklub sei ein Fall für den Therapeuten, eine Band, die „gefangen in der Pseudodynamik des Jammer-Rocks sich auch noch darüber beklagt, daß sie eben unwillig ist, sich dem Treck in die Hauptstadt anzuschließen“. Dabei handeln die Texte vom Empfinden vieler junger Menschen in Mitteldeutschland, wo eine ganze Generation abgewandert ist. „Du bist weg, ich bin hier, und du studierst jetzt in Frankfurt am Main“, heißt es in „Wieder Winter“. Es sei nicht cool, in Chemnitz aufzuwachsen, räumt Felix Brummer in einem Interview ein. Die Stadt habe den höchsten Altersdurchschnitt in Deutschland: „Wenn du auf der Straße bist, begegnen dir entweder gar keine Menschen, oder die sind über 50.“

Aber es gibt auch Menschen, die in der Stadt etwas auf die Beine stellen. Dazu gehören die fünf Musiker, die Popmusik machen, Spaß haben und rauf auf die Bühnen wollen. Mehr als 100 Konzerte waren es 2011.

Auch in Berlin rufen sie: „Wir kommen aus Karl-Marx-Stadt, hallo/Wir sind deine neue Lieblingsband“. Im Video ist der Berliner Fernsehturm zu sehen. Und hinter den Musikern steht ein grüner Hubschrauber, auf dessen Bug ein roter Stern prangt. Fluchtbereit. Denn: „Wir sind Chemnitzer, wir halten uns nur zeitweise in dieser Pseudowelt auf.“

www.kraftklub.to

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