© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/12 02. März 2012

CD: Edward Elgar
Verherrlicher des Empire
Sebastian Hennig

Edward Elgars Konzertouvertüre „In the South (Alassio)“ beginnt mit Walküre-Klängen. Hypnotisch gewaltig donnert und treibt die Musik voran, um dann in lyrische Stimmungen zu zerfließen. Später stampft es wieder walkürlich. Der Komponist brachte diese sinfonische Dichtung vom Ita-
lienurlaub mit. Die Musik ist ganz jener Wagner-Ekstase verfallen, die den Altersgenossen Houston Stewart Chamberlain nach eigener Auskunft zum Erlernen der deutschen Sprache nötigte und zuletzt völlig in den Bann des Bayreuther Scheichs brachte. Doch wirkt Elgars Musik letztlich so plakativ, wie die seinerzeit von den Kurkapellen filetierten Bruchstücke aus Wagners Riesenwerk geklungen haben mögen.

Die in zeitlicher Nähe entstandenen „Introduction and Allegro“ für Streicher sind ein farbiges Riff, in dem es wie große Anemonen nach einem ferngelenktem Plan pulsiert, während seltsame farbige Fische vorüberziehen. Streichquartett und Streichorchester zelebrieren in edler Verschränkung ein Concerto grosso im alten Stil. Allein fehlt hier jene originelle Einfärbung, wie sie beispielsweise die Suite für Streichorchester des Zeitgenossen Leos Janacek kennzeichnet. So einen Ton trotziger nationaler Eigenart hätten der britischen Musik allenfalls die Schotten, Iren oder Waliser beilegen können, die ja eigentlich Inlandskolonisierte waren. Die Schattenseite imperialer Omnipotenz besteht wohl im Fahrenlassen des Eigensten. Der schlichte Volkston, die Lieder der Heimat, die den politisch Unterlegenen eine Quelle des Trostes ist, macht den Reiz und die Eigenständigkeit der wagnerianischen Verzweigungen nach Nord- und Osteuropa, Finnland, Norwegen, Rußland und Böhmen aus. Diese britische Spielart bleibt seltsam eigenschaftslos, ohne dadurch universell zu sein. In der englischen Musik spiegelt sich das Schicksal der englischen Sprache, deren Wurzel tot ist, während ihre kuriosen Derivate weltweit kursieren.

Aber Elgar ist dennoch ein musikalisches Genie im besten Sinne, das sich mit Märschen und Tänzen empordiente und schließlich als Sir zum hymnischen Verherrlicher des Empire wurde. Den Durchbruch besorgte der Wagner-Dirigent Hans Richter mit der Uraufführung der „Enigma-Variationen“ von 1899. Schon darauf erklangen sie in Deutschland, Rußland, und zehn Jahre später dirigierte sie Gustav Mahler in New York.

Diese Variationen über ein eigenes Thema gelten seinen Eleven, Freunden und Begleitern. Jedes Thema trägt die Initialen eines persönlichen Freundes. Und wie durch die spiegelnde Metallröhre eines Kaleidoskops variieren die musikalischen Miniaturen seine Sicht auf die Bratschenschülerin Ysobel, den Freund Arthur Troyte Griffith, Elgars Frau Caroline Alice und weitere Vertraute. Das Ganze ist so wohlklingend wie rätselhaft für uns Uneingeweihte. Es gibt reichlich Lautmalerei und illustrierende Zitate aus anderen Werken, die private Historiographie markieren: die stotternde Freundin, das Gewitter, die Bulldogge des Organisten und der Verleger als Nimrod. Die Lady Mary Lygon wird mit einem Mendelssohn-Zitat aus „Meeresstille und glückliche Fahrt“ zum australischen Gouvernement ihres Gatten geleitet. Hier musiziert vom Radio-Sinfonieorchester des SWR unter Roger Norrington.

Edward Elgar, Enigma Variations SCM Hänssler, 2011 www.haenssler-classic.de

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