© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/12 02. März 2012

Der Flaneur
Bier oder Bionade
Josef Gottfried

WG-Party mit Buffet. Jeder bringt was mit: Knoblauchbutter, Baguette, ein Buchweizengrießgericht und leckerer Nachtisch mit Mascarpone. All das spülen wir mit Modebier herunter, 0,33 Liter, zwischendurch eine Bionade, damit ich nicht so schnell betrunken bin. Satt und angeheitert setze ich mich auf einen bunt bemalten Stuhl, und ich habe überhaupt keinen Zweifel daran, daß ich schlauer und stärker als die meisten hier bin. Ganz und gar keinen Zweifel!

Zuerst lehne ich mich zurück und schlage die Beine übereinander. Und zwar breitbeinig, so, daß der Knöchel meines rechten Fußes auf meinem linken Knie liegt. Wie gern ich mich habe! Dann beuge ich mich nach vorn und setze die Füße wieder nebeneinander.

Die Menge der Feiernden wird unübersichtlich, außer „Smalltalk“ brauchte ich keine Gespräche zu führen, bis sich plötzlich zwei Frauen zu mir gesellen. Beide sind klein, dünn, hübsch, selbstbewußt und irgendwie aufgebracht. Aha, denke ich. Man kennt sich flüchtig, irgendwie ist man sich auch sympathisch, die eine studiert katholische Theologie, die andere promoviert in Philosophie.

Sie wüßten ja ungefähr, wie ich so ticke, darum wollten sie jetzt gerne mit mir diskutieren. Aha, denke ich wieder. Die eine sitzt schräg links, die andere schräg rechts vor mir, zwei redegewandte, intelligente, katholische Frauen, links: Frauenpriestertum, rechts: Wiederverheiratete, links: Homosexualität, rechts: Bußsakrament, links: Zölibat, rechts: Ob denn Liebe wohl Sünde sein könne.

Dann kommt ein Jüngling dazu, sanft und liebevoll diskutiert er mit. Offensichtlich hatte ich zuwenig Bionade und zuviel Modebier, mir fehlt die Gewandtheit zur Gegenrede. Am Ende wird es heißen, daß ich ja doch ganz nett sei. Sie werden mich dann zum Abschied umarmen wollen, und ich werde es zulassen.

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