© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/12 09. März 2012

Gegen die Gorillas
Slowakei: Kurz vor den Parlamentswahlen kämpfen alle Parteien mit schweren Korruptionsvorwürfen
Carl Gustav Ströhm jr.

Am Freitag wird Lucia Gallová wieder auf die Straße gehen. Sie hat genug vom, wie sie sagt, „korrupten Parteienstaat“ in der Slowakei. Die junge Frau mit dem einnehmenden Lächeln gilt als eine der wichtigsten Organisatoren der sogenannten „Anti-Gorilla-Demonstrationen“. Ende Februar wurde die 26 Jahre alte Aktivistin sogar kurzzeitig von der Polizei festgenommen. Sie soll, so der Vorwurf der Behörden, einen Polizeieinsatz behindert haben. Gallová ist eine Symbolfigur für die zunehmende Politikverdrossenheit unter den vor allem jungen Slowaken. Kurz vor den vorgezogenen Parlamentswahlen am 10. März wird der Wahlkampf von immer neuen Korruptionsvorwürfen erschüttert.

Unter dem Codewort „Gorilla“ hatte der slowakische Geheimdienst 2005 und 2006 eine Abhöraktion durchgeführt, die zahlreiche Politiker der Bestechung und Vorteilsnahme überführte. In die Öffentlichkeit gelangten die brisanten Aufzeichnungen jedoch erst Ende des vergangenen Jahres. Im Mittelpunkt steht dabei die slowakische Investorengruppe Penta. Diese soll sich durch Bestechungen zahlreicher Politiker Großaufträge wie den Bau des Preßburger Flughafens gesichert haben. Vor allem die Regierung unter dem ehemaligen Premierminister Mikulas Dzurinda und seine christlich-soziale Partei (SDKU), die das Land von 2002 bis 2006 regierte und durch großangelegte Reform- und Sparvorhaben in die Europäische Union führte, stehen in der Kritik.

Doch auch die Opposition scheint in die Bestechungen verstrickt zu sein. Der Chef der Linksnationalisten (SMER), Robert Fico, von 2006 bis 2010 Premier der Slowakei, wird beschuldigt, öfter ein Gast von Penta gewesen zu sein. Das Pikante: Während seiner Regierungszeit wurden die Ermittlungen gegen Penta eingestellt, und die Akten der Abhöraktion „Gorilla“ verschwanden vorerst in den Archiven. Nötig wurden die Parlamentswahlen nach der ersten gescheiterten Abstimmung zum EFSF-Rettungsschirm. Premierministerin Iveta Radicova (SDKU) hatte nach dem Rückzug der liberalen SaS unter Richard Sulik die Mehrheit im Parlament verloren. Der EFSF wurde mit den Stimmen der linken Opposition schließlich trotzdem beschlossen.

Seitdem ist der Frust unter der Bevölkerung weiter gestiegen. So fordern die Demonstranten mittlerweile die Auflösung der großen Parteien und ein Anti-Korruptionsgesetz. Fast jeden Tag werden weitere Namen enthüllt. Auch Richard Sulik gerät dabei unter Druck. 2005 soll er den Kontakt zu einer Penta-Mitarbeiterin gesucht haben, um, laut seiner Version, „verräterische Elemente in der damaligen Koalition“ auszumachen. Der Parteichef der SaS gab zu, einen „großen Fehler“ begangen zu haben und entschuldigte sich öffentlich. Jüngsten Umfragen zufolge konnte Sulik damit jedoch bei den Wählern nicht punkten und muß um die Überwindung der Fünf-Prozent-Hürde kämpfen. Auch die Christdemokraten, die 2010 mit 15,4 Prozent noch zweitstärkste Kraft wurden, und die rechtsnationale SNS kämpfen um den Wiedereinzug in das Parlament. Die linke SMER verharrt im Umfragehoch. 44 Prozent prognostizieren die Demoskopen ihr derzeit.

Eine Mitte-Rechts-Regierung rückt damit in weite Ferne. Die Anhänger der Anti-Gorilla-Bewegung setzen ihre Hoffnung derweil eher in die Partei „99 Prozent“. Angelehnt an den Ruf der sogenannten Occupy-Bewegung verspricht die 2011 gegründete Formation mehr Gleichheit, einen höheren Mindestlohn und niedrigere Steuern. Daß die Korruptionsskandale wirklich vollumfänglich aufgeklärt werden, glaubt allerdings niemand. Entsprechend gering fallen die Erwartungen an die kommende Regierung aus, die immerhin die schwerste Krise des politischen Systems in der Slowakei bewältigen muß.

Foto: Preßburg: Seit Wochen demonstrieren jede Woche Tausende Menschen vor dem Parlament gegen das politische System

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