© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/12 09. März 2012

Die Leichtigkeit des Seins ist dahin
Italien: Ministerpräsident Mario Monti gerät aufgrund seines rigiden Sparprogramms zunehmend in schwere See
Paola Bernardi

Es ist jetzt über hundert Tage her, seit in Italien eine Experten-Regierung unter dem 68jährigen Wirtschaftsprofessor Mario Monti eingesetzt wurde. Der freiwillige Abgang Silvio Berlusconis wurde besonders im Ausland und natürlich von der italienischen Linken gefeiert. Man bejubelte das „Ende der Show und den Anfang der wahren Politik“.

Nun hat die Realität alle eingeholt, die Zustimmung für Monti – 80 Prozent bei Beginn – sinkt kontinuierlich und liegt derzeit um die 50 Prozent. Während Ministerpräsident Monti auf dem diplomatischen Parkett triumphiert und seine EU-Partner ihn in den höchsten Tönen loben, ist die Stimmung im Lande selber gedämpft. „Die Italiener haben die Leichtigkeit des Seins“ verloren, wie ein Rom-Besucher feststellte.

Die Tageszeitungen gleichen wahren Staatsbulletins: Täglich werden seitenlang neue Steuervorhaben und neue Dekrete der Regierung abgedruckt. Italiens neuer Ministerpräsident hat ein ganzes Paket wichtiger und auch notwendiger Reformen vorgelegt – von Rentenkürzungen, über Steuern auf Immobilien und Luxusgütern, bis hin zur Verringerung von Lohnkosten.

Darunter ist auch das sogenannte Paket „Rette Italien“, mit dem das Land bis Ende 2013 eine ausgeglichene Bilanz vorlegen will. Bis jetzt wurden alle neuen Gesetze durch eine de facto große Koalition zwischen den zwei großen linken (PD) und rechten Parteien (PDL) im Parlament durchgewunken. Nur die rechtspopulistische Lega Nord unter ihren Chef Umberto Bossi übt sich in Opposition und bezichtigt die Monti-Regierung des „Raubüberfalls“ auf den italienischen Bürger.

Und in der Tat bittet die neue Technokratenregierung vor allem die unteren und mittleren Einkommensgruppen zur Kasse, also den normalen Bürger, der schon immer starkem fiskalischen Druck ausgesetzt war und keine Möglichkeit hat, Steuern zu umgehen. Das Budget einer Durchschnittsfamilie wird aufgrund der Erhöhung der neuen Zwangsabgaben um jährlich 3.160 Euro belastet, wie jetzt italienische Wohlfahrtsverbände ausgerechnet haben.

Das soziale Klima im Lande verschlechtert sich täglich. Die Demonstrationen gegen die Regierung nehmen zu. Immer mehr Geschäfte melden Konkurs an. Die Arbeitslosenquote hat mit 9,2 Prozent ihr Höchstniveau errreicht. Die Masse der unter der Armutsgrenze lebenden schwillt an. Zudem macht sich ein Klima des Mißtrauens breit: Die italienische Finanz-Polizei macht in Zivil immer wieder Kontrollen. Um die im Alltag verbreitete Steuerhinterziehung im Lande einzudämmen, kontrollieren sie täglich Bars, Restaurants und sogar Wochenmärkte. Besitzer von Luxuswagen werden ebenso angehalten wie Hausfrauen mit schweren Einkaufstaschen. Niemand darf künftig mehr eine Rechnung, die über 1.000 Euro beträgt, in bar bezahlen, das gilt auch für Touristen. So will man Geldwäsche verhindern.

„Transparenz“ lautet neben Steuererhöhung ein weiteres Schlagwort dieser Regierung: Alle Minister müssen im Internet ihre Steuererklärungen offenlegen. So deklarierte Monti jährlich 1.515.744 Euro Einkommen plus diverser Appartements. Seine Frau ist sogar noch reicher als er: Sie gab 2,7 Millionen Euro an, plus zehn Immobilien. Staunend und wütend jedoch nehmen die Italiener nun zum ersten Mal die Gehälter ihrer hohen Staatsbeamten zur Kenntnis: So verdient der Präsident der Rentenanstalt (INPS) 1,2 Millionen Euro im Jahr; und der oberste Chef der Polizei kassiert 621.243 Euro jährlich. Diese anormalen Gehälter im Vergleich zum übrigen Europa sollen nun künftig reduziert werden. Gleichzeitig mußten die Italiener auch zur Kenntnis nehmen, daß ihre Durchschnittsgehälter (23.408 Euro) nach Zypern und vor Portugal die niedrigsten in Europa sind.

Die Kritik wird immer lauter, daß der parteilose Monti zwar die Normalbürger zur Kasse bittet, vor einer gebotenen drastischen Beschneidung der Staatsausgaben jedoch zurückschreckt, weil er damit die Besitzstände besonders gut organisierter Interessengruppen, eingeschlossen die Politikerkaste, antasten müßte. Vor allem die Banken sind die Gewinner: Nicht nur, daß alle Tarife rigoros erhoben wurden, nicht nur, daß das Bankgeheimnis gefallen ist, sondern nun müssen alle Rentner (auch mit Kleinstpensionen von 300 bis 400 Euro Rente monatlich) ein Bankkonto einrichten, um so besser kontrolliert zu werden.

Währenddessen suchen die gutbetuchten Italiener ihr Heil in der Ferne. „Rette sich, wer kann“, lautet die Devise. Nie wurden so viele Wohnungen wie im letzten Vierteljahr in Berlin, München und London an Italiener verkauft. Fast täglich werden an der Grenze zur Schweiz und zu San Marino italienische Bürger erwischt, die ihr Geld – selbst in Schuhen versteckt – fortbringen wollen.

Monti, der „Wunderheiler“, wird noch lange brauchen, um das Land in ruhige Gewässer zu bringen: Noch liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei 30 Prozent, im Süden sogar bei bis zu 50 Prozent. Der Konsumverbrauch hat sich im Januar und Februar erheblich abgeschwächt. Die Furcht vor griechischen Verhältnissen ist noch lange nicht gebannt.

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