© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/12 09. März 2012

Das Ende von „Britannia rules the waves!“
Mit dem Flottenabkommen von Washington 1922 mußte England zugunsten der USA die Rolle als seebeherrschende Macht abgeben
Rolf Bürgel

Nach den Vorstellungen von US-Präsident Woodrow Wilson sollte der Erste Weltkrieg ein „war to end war“ sein. Doch die Realität sah anders aus. In der Sitzung des Deutschen Reichstages am 27. Januar 1921 sagte der Zentrumsabgeordnete Joseph Ersing: „Die Ironie will, daß in derselben Stunde, in der der Gedanke des Völkerbundes geboren wurde, ein Wettrüsten der Völker von nie gekanntem Umfange einsetzt.“ Das betraf vor allem die USA und Japan, die bereits während des Krieges umfangreiche Flottenbauprogramme beschlossen hatten.

Und doch gelang das Wunder, daß die übriggebliebenen Seemächte USA, Japan, England, Frankreich und Italien im Februar 1922 in Washington ein Abkommen unterzeichneten, in dem die künftige Stärke ihrer Flotten vertraglich fixiert wurde. Wie war es möglich, in nur wenigen Monaten ein Abkommen zu schließen, das die europäischen Großmächte vor 1914 in Jahren nicht zustande gebracht hatten? Wie sah der Vertrag aus und wie ist er aus heutiger Sicht zu bewerten?

Durch den Ersten Weltkrieg war die europäische Ordnung vollständig zusammengebrochen. Sieger waren zwei außereuropäische Mächte: die USA und Japan, zwei Staaten mit politischen Vorstellungen, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Es ging vor allem um China. Japan hatte im Schatten des Krieges in Europa seine 1905 begonnene Expansion in Richtung China ungemindert fortgesetzt. Die USA hingegen verfolgten in China eine Politik der „offenen Tür“, womit allen Mächten dort gleiche wirtschaftliche Chancen eröffnet werden sollten. So drohte im Fernen Osten, kaum daß der Krieg in Europa zu Ende gegangen war, ein neuer gefährlicher Konfliktherd, der dadurch verschärft wurde, daß Japan versuchte, sein politisches Vorgehen militärisch durch den Bau einer Flotte abzusichern, die stark genug sein sollte, um die USA von einem Angriff abzuschrecken. Es war sozusagen der deutsche Risikogedanke auf japanisch. Ein neues Flottenwettrüsten lag also in der Luft.

Aber auch England verfolgte in Ost-asien eigene imperiale Interessen. Es war zwar aus dem Krieg als weiterhin stärkste Seemacht hervorgegangen, konnte sich aber an einem neuen Wettrüsten infolge seiner wirtschaftlichen und finanziellen Schwäche nicht beteiligen. Es zeugt von Pragmatismus, wenn die London bei dieser Sachlage den USA die Einberufung einer Konferenz zur vertraglichen Klärung dieser Fragen vorschlug. Bezeichnenderweise wollte England nicht selbst als Initiator auftreten, eine Haltung, wie sie England vor 1914 auch gegenüber Deutschland eingenommen hatte. US-Präsident Warren Harding – Wilson war 1920 abgewählt worden – stimmte dem britischen Vorschlag zu und lud Vertreter Englands, Japans, Frankreichs und Italiens zu einer Konferenz nach Washington ein, die am 12. November 1921 erstmals zusammentrat.

Die Konferenz begann mit einem Paukenschlag. US-Staatssekretär Charles Hughes legte ein fertiges, bis in die Details ausgearbeitetes Programm vor. Nach dem sollten die Flottenstärke der USA und Großbritanniens auf jeweils maximal 500.000 Tonnen, die Flotte Japans auf 300.000 Tonnen und die Frankreichs und Italien auf jeweils 175.000 Tonnen begrenzt werden. In der Größe der Schiffe sowie im Geschützkaliber sollte es feste Obergrenzen geben. Für einen Zeitraum von zehn Jahren durften keine neuen Großkampfschiffe gebaut werden. Dazu sollten die USA dreißig Großkampfschiffe mit einer Gesamttonnage von 845.750 Tonnen, England und Japan zusammen 36 Schiffe mit 1.032.303 Tonnen verschrotten. Zur besseren Kontrolle waren die zu verschrottenden Einheiten namentlich aufgeführt.

Bei den Japanern stieß das Vorhaben auf erheblichen Widerstand. Sie fühlten sich deklassiert und empfanden – völlig zu Recht – das ganze Abkommen als gegen sich gerichtet. Der amerikanische Präsident wußte, daß er Japan entgegenkommen mußte, sollte der Vertrag nicht scheitern. Darum sollte er durch die sogenannte „Non-Fortification-Klausel“ ergänzt werden. Sie besagte, daß die Pazifikmächte auf ihren Inselbesitzungen keine befestigten Stützpunkte unterhalten durften. Der gesamte Pazifik wurde damit zu einer entmilitarisierten Zone. Das gab Japan den nötigen Sicherheitsabstand zu seinem Hauptrivalen USA. Ausgenommen waren für Japan dessen Mutterinseln, für die USA Hawaii und für England Singapur.

Am 6. Februar 1922 wurde der Vertrag in Washington unterzeichnet und zwar in der von den USA vorgelegten Form. Einen Schönheitsfehler gab es. Der Vertrag bezog sich nur auf Schlachtschiffe, Schlachtkreuzer und Flugzeugträger und ließ kleinere Einheiten wie Kreuzer, Zerstörer und U-Boote außen vor. Zusätzlich wurden noch zwei weitere Verträge unterzeichnet. In einem Vier-Mächte-Abkommen verpflichteten sich die USA, England, Japan und Frankreich, gegenseitig ihre Besitzungen im Fernen Osten zu respektieren. Damit sollte die Aufhebung der britisch-japanischen Allianz aus dem Jahr 1902 – die den Amerikanern besonders ein Dorn im Auge war und die Japan aber sehr gern fortgesetzt hätte – kaschiert und Japan so ermöglicht werden, das Gesicht zu wahren. In einem dritten Vertrag bekräftigen die USA, England, Japan, Frankreich, Italien, Niederlande, Belgien, Portugal und China die Politik der „offenen Tür“ mit der Bestätigung der territorialen Integrität Chinas.

Wie stellt sich „Washington“ aus heutiger Sicht dar? Der Vertrag war nicht so sehr Ausdruck des Willens zu Rüstungskontrolle und Abrüstung, sondern diente mehr machtpolitischen Interessen, vor allem der USA, auf deren massiven Druck hin der Vertrag auch nur zustande gekommen war. Japan war durch die Beschneidung seiner militärischen Stärke auch politisch zurückgedrängt worden. Eine Allianz zwischen England und Japan existierte nicht mehr. England hatte der US-Flotte volle Parität zuerkennen müssen, ein Zugeständnis, daß England der deutschen Flotte nie gemacht hätte. Und das alles zum diplomatischen Nulltarif. Denn die geplanten Flottenbauprogramme, die ohnehin nur schwer durch den Kongreß zu bringen gewesen wären, konnten gestrichen werden.

Die politischen Probleme zwischen Japan und den USA wurden indes nicht gelöst, sondern nur überdeckt, was in den folgenden Jahren – besonders, nachdem der Schlachtschiffbau ab 1937 wieder freigegeben war – direkt nach Pearl Harbor führte.

Foto: „Uncle Sam’s Big Fighting Ships”, Poster mit der US-Flotte vor der New Yorker Freiheitstatue um 1917: Das Abrüstungsabkommen diente letztlich der Steigerung machtpolitischer Interessen der USA

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