© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/12 16. März 2012

Es kann jeden treffen
Nach dem Zapfenstreich: Wulffs Abschied hat einen faden politischen Beigeschmack
Thorsten Hinz

Das Stahlbad der letzten Monate hat Christian Wulff nicht klüger werden lassen. Seine Abschiedsrede enthielt bloß die alten Phrasen über Vielfalt, Weltoffenheit, den Dialog der Kulturen sowie die Gefahr von rechts, die „unsere freiheitliche Demokratie“ bedrohe – „darum war die Gedenkfeier für die Opfer rechtsextremistischer Gewalt vor zwei Wochen ein so wichtiges Signal nach innen und in die Welt“. Niemals hätte dieser kleinformatige Mann zum Bundespräsidenten gewählt werden dürfen!

Dennoch erschüttern die Brutalität, Gnadenlosigkeit und Gemeinheit, mit der er aus dem Amt getrieben wurde. Die Nachstellungen und Häme finden mit seinem Auszug aus Schloß Bellevue kein Ende, als ginge es darum, ihn nach seiner politischen Kaltstellung sozial zu ächten und als Person zu zerstören. Dabei waren seine Verfehlungen harmlos. Hätte man die gleichen Maßstäbe an die Herren Rau oder Schröder angelegt, sie wären eher schlechter weggekommen. Die Protestierer, die sich zum Großen Zapfenstreich einfanden, waren außerstande, einen politischen Gedanken – etwa die Direktwahl des übernächsten Bundespräsidenten – zu formulieren und begnügten sich damit, den Staatsakt akkustisch zu zerlegen. Statt selbstbewußter Bürger sah man einen trötenden Mob, der den Daumen senkt und Blut sehen will. Das sind beunruhigende Signale aus einer Gesellschaft, die keinen Comment mehr kennt, die kein Gefühl für Fairneß, Anstand und Gnade besitzt und den Instinkten freien Lauf läßt. Wie aus deren kommunikativen Handeln eine neue Praxis der Vernunft und Humanität hervorgehen soll, bleibt schleierhaft. Das Gegenteil ist zu befürchten.

Die Diskrepanz zwischen Wulffs Verteufelung und seiner politischen wie menschlichen Harmlosigkeit erstaunt. Wie konnte ein Mann, der so durchschnittlich und Fleisch vom Fleische der politischen Klasse ist, soviel Verfolgungswut provozieren? Und welche Botschaft enthält die Affäre? Die allgemeinste Botschaft lautet: Es kann jeden Politiker treffen. Selbst die ehrlichste Harmlosigkeit schützt ihn nicht, wenn er den wirklichen, den bestimmenden Machtinteressen in die Quere zu kommen droht. Der Sturz des Bundespräsidenten war eine Disziplinierungsmaßnahme an die Adresse der politischen Klasse.

Der Theaterdonner um Hauskredite und Sylt-Urlaube hat völlig vergessen gemacht, daß Wulff tatsächlich einmal eine wichtige Rede gehalten hat. Am  24. August 2011 sprach er in Lindau am Bodensee vor den Nobelpreisträgern für Wirtschaftswissenschaften über die Währungs- und Schuldenkrise. Die verfolgte Strategie, die Krise mit immer mehr Geld zu bewältigen, erinnere an ein Domino-Spiel: „Erst haben Banken andere Banken gerettet, und dann haben Staaten Banken gerettet, dann rettet eine Staatengemeinschaft einzelne Staaten. Wer rettet aber am Ende die Retter? Wann werden aufgelaufene Defizite auf wen verteilt beziehungsweise von wem getragen?“ Damit hatte er ausgesprochen, was Deutschland blüht, wenn es sich weiter so treiben läßt.

Er fuhr fort mit einer harschen Kritik am Kurs der Europäischen Zentralbank: „Auch die Währungshüter müssen schnell zu den vereinbarten Grundsätzen zurückkehren. Ich halte den massiven Aufkauf von Anleihen einzelner Staaten durch die Europäische Zentralbank für rechtlich bedenklich. Artikel 123 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union verbietet der EZB den unmittelbaren Erwerb von Schuldtiteln, um die Unabhängigkeit der Notenbank zu sichern.“ Wulff erschien bei der Gelegenheit als das sprichwörtliche blinde Huhn, das endlich ein Korn gefunden beziehungsweise dem ein inspirierter Redenschreiber eines untergeschoben hat. Ohne es zu ahnen, sprach er damit sein politisches Todesurteil aus.

Nicht, daß man ihm die Kraft zutraute, seine Unterschrift unter die Rettungsschirmgesetze zu verweigern und einen offenen Konflikt mit Parlament und Regierung auszulösen. Doch immerhin hatte das deutsche Staatsoberhaupt zu einer ungeschminkten Lage- und Risikobeschreibung gefunden und den heimlichen Zweiflern und Kritikern, die es in Politik und Gesellschaft zweifellos gibt, institutionellen Flankenschutz signalisiert, denn bis zu dem Zeitpunkt war der Inhaber des Präsidentenamtes der Kritik noch weitgehend entzogen. Damit war Wulff objektiv zu einem Störfaktor für die internationale Hochfinanz geworden, die danach giert, die deutsche Finanzkraft abzusaugen.

Schon im Fall von Horst Köhler war vermutet worden, daß er wegen der Politik der Euro-Rettung um jeden Preis zurückgetreten war. Als Christian Wulff in die Schlagzeilen geriet, hieß es zunächst, einen weiteren Rücktritt innerhalb so kurzer Zeit könne man sich aus Gründen der Staatsräson nicht leisten. Das Argument war nur so lange plausibel, wie die Existenz des deutschen Staates unbestritten war. Im Verlauf der Schuldenkrise scheint sich eine Änderung ergeben zu haben. Nun geht es um offene Grenzen, offene Kassen und Kompetenzentzug. Parallel zur Entkernung des Staates und zu seiner symbolischen Delegitimation wurde das Staatsoberhaupt demontiert und in seiner privaten Lächerlichkeit vorgeführt. Im Streit um Büro, Dienstwagen und Ehrensold setzt sich die Demontage fort. Eine verblödete und manipulierte Journaille und ein infantiles Wutbürgertum liefern die Begleitmusik dazu.

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