© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/12 16. März 2012

Kampf um die Akten
Rechtsextremismus: Drei Parlamentsausschüsse und eine Kommission gehen der Zwickauer Terrorzelle auf den Grund
Marcus Schmidt

Mehr Aufklärung war nie. Eine beispiellose Reihe von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen und Kommissionen ist derzeit dabei, mögliche Versäumnisse der Sicherheitsbehörden im Zusammenhang mit der Mordserie der sogenannten Zwickauer Terrorzelle aufzuklären.

Als drittes Gremium dieser Art setzte in der vergangenen Woche der sächsische Landtag einen Untersuchungsausschuß zu den „neonazistischen Terrornetzwerken in Sachsen“ ein. Der Ausschuß sorgte bereits im Vorfeld für Streit und zahlreiche Enthaltungen bei der Abstimmung, da ihm auch Abgeordnete der im Landtag vertretenen NPD angehören werden. Bereits Ende Januar hatte der Thüringer Landtag einen Untersuchungsausschuß eingesetzt, der ein mögliches Fehlverhalten der Thüringer Sicherheits- und Justizbehörden im Zusammenhang mit den aus dem Freistaat stammenden Terroristen beleuchten soll. Auch die Arbeit des zu Beginn des Jahres konstituierten Untersuchungsausschusses des Bundestages nimmt mittlerweile Fahrt auf.

Neben den parlamentarischen Gremien hat zudem eine Bund-Länder-Kommission die Arbeit aufgenommen, die laut Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) eine Strukturanalyse der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern erstellen soll. Ihr gehören neben Berlins ehemaligem Innensenator Ehrhart Körting (SPD) sein früherer Hamburger Amtskollege und Ex-Chef des Landesamtes für Verfassungsschutz Heino Vahldieck (CDU), der Passauer Strafrechtler Eckhard Müller und der frühere Bundesanwalt Bruno Jost an.

Angesichts dieser Flut an Gremien und der unvermeidbaren Überschneidungen bei den anstehenden Untersuchungen werden die Fragen lauter, welche konkrete Aufklärung diese Ausschüsse und Komissionen tatsächlich leisten können. Zumal es ja nicht um direkte Ermittlungen zur Terrorzelle geht – dafür ist nach wie vor die Generalbundesanwaltschaft verantwortlich –, sondern „lediglich“ um mögliche Patzer der Sicherheitsbehörden. Hinter den Kulissen sind zudem längst Kompetenzstreitigkeiten entbrannt. So würde der Vorsitzende des Bundestagsuntersuchungsausschusses, Sebastian Edathy (SPD), nur zu gerne auch auf die Akten der Länderbehörden zugreifen und kritisierte, daß der Ausschuß vier Wochen nach der ersten Anforderung noch keine einzige Akte bekommen habe.

Die Länder, allen voran Nieder-sachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU), verweisen dagegen auf die Rechtslage und halten sich mit der Weitergabe von Akten zurück. Demnach sei der Bundestag für die Kontrolle der Bundesbehörden und die Landesparlamente für die Überwachung der Landesbehörden zuständig. „Der Bundestag kann nicht Versäumnisse der Länder aufklären“, machte Schünemann bereits im Februar deutlich. Zudem würde es den Untersuchungsausschuß des Bundestages überfordern, wenn er auch sämtliche relevanten Akten der Länderbehörden durcharbeiten müßte. „Dann haben wir in zehn Jahren kein Ergebnis“, warnte Schünemann. Aber selbstverständlich werde man bei Bedarf ausführliche Aktenberichte weitergeben.

 Daß die Mitglieder des Bundestagsausschusses ihre Arbeit nicht nur auf die konkrete Aufklärung beschränken wollen, wurde in der vergangenen Woche bei der ersten öffentlichen Sitzung des Gremiums deutlich, die den Opfern der Mordserie gewidmet war. Hierzu war die „Ombudsfrau der Bundesregierung für die Opfer und Opferangehörigen der Zwickauer Zelle“, Barbara John, als Sachverständige geladen. Die langjährige Berliner Ausländerbeauftragte nutzte die Gelegenheit, um als Ergebnis ihrer bisherigen Arbeit eine unabhängige Beschwerdestelle für polizeiliches Fehlverhalten zu fordern. Hintergrund sind die Erfahrungen von Angehörigen der Opfer, die vor dem Aufdecken der Terrorserie teilweise selbst von der Polizei verdächtigt worden waren. Ihre Forderung, die Polizeiausbildung auf die Realitäten im „Einwanderungsland Deutschland“ abzustimmen, traf vor allem beim Grünen-Abgeordneten Wolfgang Wieland auf Zustimmung. Er stellte die Frage nach der „interkulturellen Kompetenz“ der Polizei und thematisierte das noch „sehr deutsche“ Aussehen der Polizei. Es sei notwendig, „daß sich hier was ändert“, forderte Wieland.

 

Zwickauer Terrorzelle

Der Zwickauer Terrorzelle, die sich nach Angaben der Ermittler selbst den Namen „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) gegeben hatte, wird für die Ermordung von neun türkischen und griechischen Kleinunternehmern sowie einer Polizistin in den Jahren 2000 bis 2007 verantwortlich gemacht. Neben Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die sich am 4. November 2011 das Leben genommen haben, wird die inhaftierte Beate Zschäpe der Terrorzelle zugerechnet.

Im Zuge der Ermittlungen der Mordserie wurden auf Veranlassung der Generalbundesanwaltschaft bislang fünf weitere Personen unter dem Vorwurf der mutmaßlichen Unterstützung der Gruppe verhaftet. Unter den inhaftierten Personen befindet sich auch der ehemalige stellvertretende NPD-Chef von Thüringen, Ralf Wohlleben, dem zur Last gelegt wird, an der Beschaffung der Waffe beteiligt gewesen zu sein, die für die Mordserie verwendet wurde.

Frühestens im Herbst ist nach Angaben der Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe mit einer Anklageerhebung zu rechnen.

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