© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/12 16. März 2012

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Nichtzahlertarif
Paul Rosen

Unzählige ältere Witze beginnen mit der Floskel: „Kommt ein Mann zum Arzt ...“. Heute ist es an der Zeit, der langen Liste einen Eintrag hinzuzufügen: „Kommt ein Mann zum Arzt. Fragt der Doktor: Wo sind Sie versichert? Antwort des Patienten: PKV-Nichtzahlertarif.“ Das ist allerdings kein Witz, sondern Realität im Berliner Politikbetrieb. So trug der Verband der privaten Krankenversicherung (PKV), der Dachverband der privaten deutschen Versicherungsgesellschaften, im Gesundheitsausschuß des Bundestages diesen „Nichtzahlertarif“ als neue Option vor. Vielen verschlug es die Sprache. Man stelle sich nur vor, der Mieterbund würde einen Nichtzahlertarif für seine Mitglieder fordern, der Arbeitgeberverband einen Gehaltsnichtzahlertarif in Aussicht stellen und Gäste vom Wirt einen Nichtzahlertarif verlangen. „Deutschland – Freibierland – wunderbar“, würden Biertrinker und Schnapsdrosseln singen, während nüchterne Zeitgenossen schnell zu der Auffassung gelangen würden, daß so was nicht lange gutgehen kann.

Im Fall der privaten Krankenversicherung sieht es so aus, daß die Versicherungsgesellschaften rund 150.000 Kunden haben, die ihre Beiträge nicht bezahlen können oder wollen. Man muß aber andererseits auch die Verantwortung der Versicherungsgesellschaften sehen, die viele Neukunden erst mit Fast-Nichtzahlerarifen von unter 200 Euro im Monat geworben haben und später massiv die Beiträge erhöhten, so daß die nicht sonderlich gut betuchte Klientel (zum Beispiel selbständige Taxifahrer) nicht mehr zahlen konnte.

Politiker haben die Situation mitverursacht. Früher war die Nichtzahlung des Beitrages ein Kündigungsgrund für den Versicherer. Dem Versicherten blieb nur der Weg in die gesetzlichen Kassen oder zum Sozialamt. Heute ist der Weg zurück in die keineswegs preiswerten gesetzlichen Kassen versperrt, und die privaten Versicherer dürfen säumigen Zahlern keine Kündigung mehr schicken. Denn in Deutschland gilt seit Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) eine allgemeine Krankenversicherungspflicht.

Die privaten Gesellschaften werden ganz schön in die Klemme geraten, wenn der Trend weiter zunimmt. Schon jetzt soll der Schaden bei 550 Millionen Euro liegen. Mit dem Nichtzahlertarif wollen sie von jedem nicht zahlenden Versicherten wenigstens 100 Euro kassieren und dafür im Gegenzug nur akute Schmerz- und Wundbehandlungen zahlen.

Das ist natürlich keine Lösung, denn was nutzt die Pflicht, wenn der finanzielle Schutz löchrig ist. Erinnert werden muß daran, daß SPD und Grüne eine „Bürgerversicherung“ einführen wollen. Hinter dem schön klingenden Namen verbirgt sich eine Zwangsversicherung wie in der DDR. Die von Schmidt eingeführte Versicherungspflicht war nur der erste Schritt zu diesem Ziel. Und die vor Politikern vom Nichtzahlertarif schwärmenden Privatversicherungen merken nicht, daß ein Teil dieser Politiker sie möglichst morgen schon mit der Bürgerversicherung enteignen möchte, um an die Milliarden-Rücklagen der Versicherungswirtschaft zu kommen. Um damit wieder schöne Geschenke zu verteilen.

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