© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/12 16. März 2012

Über die Linien hinweg
Gegen die Langeweile in der posthistorischen Welt: Der anregende Briefwechsel zwischen Jacob Taubes, dem Religionsphilosophen, „Erzjuden“ und „Wunderrebbe“ und dem Staatsrechtler Carl Schmitt
Gregor Craemer

Ende Januar erschien im Tagesspiegel eine Doppelbesprechung, die keine war. Denn über die beiden Editionen der Briefwechsel des 1987 verstorbenen Berliner Religionsphilosophen Jacob Taubes – mit seiner Frau Susan und mit Carl Schmitt – brachte der überforderte Rezensent lediglich ein ellenlanges Referat der faden Ehekorrespondenz, während er den brisanten Austausch mit CS in einer Zeile als „ominöses Verhältnis“ zu dem „hochgradig antisemitischen Staatsrechtler“ verschwinden ließ. Es ist im Lizenzorgan des alten West-Berliner Juste Milieu eben immer noch Verlaß auf die unumschränkte Herrschaft der „Lemuren des Geistes“ (Taubes).

Es hätte den Horizont einer darob verstörten Tagesspiegel-Leserschaft aber wohl auch weit überschritten, selbst nur aus Zitaten zu erfahren, wie verehrungsvoll der Rabbinersohn und „Erzjude“ Taubes mit dem verfemten „alten Partisanen“ verkehrte. Und ganz unerträglich wäre es gewesen, etwas über Taubes‘ Urfreundschaft mit dem gemeinhin als „rechtsradikal“ denunzierten Armin Mohler oder über den Versuch des fleißig zu hohen Festtagen nach Jerusalem reisenden „Wunderrebben“ zu erfahren, den „deutschen Dissidenten“ Hans-Dietrich Sander 1978 als Dozenten an der FU Berlin zu etablieren. Und welche Wirkung auf eine hysterisierte Öffentlichkeit müßte heute Taubes Provokation auslösen, Rechtsintellektuelle als eine seltene Spezies unbedingt erhalten zu wollen, „damit wir uns in der posthistorischen Welt nicht langweilen“?

Auch den drei eher linksliberalen Herausgebern, Herbert Kopp-Oberstebrink, Thorsten Palzhoff und Martin Treml, merkt man an, wie suspekt ihnen diese noch gar nicht lange versunkene Welt ist, die sie mit ihrer Edition von 47 zwischen Schmitt und Taubes gewechselten Briefen, mit zehn Schreiben von Taubes an Mohler und etlichen Fundstücken aus dem „Schmittisten“-Netzwerk (Mohler, Sander, Piet Tommissen oder Ernst-Wolfgang Böckenförde) vergegenwärtigen. Inhaltlich dreht sich bei der „über den Linien hinweg“ ermöglichten Begegnung zwischen dem in seiner sauerländischen „inneren Opposition“ verharrenden Schmitt und dem ruhelos zwischen Berlin, Paris und Jerusalem pendelnden Ahasver-Ordinarius alles um „politische Theologie“, mit Schwerpunkt auf den englischen Staatstheoretiker und Philosophen Thomas Hobbes.

Das klang schon damals, im Schatten des RAF-Terrors und des „deutschen Herbstes“ im Jahr 1977, reichlich esoterisch und zeitenfern. Tatsächlich bietet der Briefwechsel die vom greisen CS hinreichend bekannte larmoyante Manier, skrupulös und zitatenselig raunend mehr zu schweigen, als zu sprechen. Wie erfrischend ist dagegen das Diktum des burschikosen Mohler, der das Gejammere des sich infolge seiner „NS-Verstrickung“ zu Unrecht verfolgt wähnenden Alten post mortem souverän abfertigte: „Hätte die SS ihm nicht den Weg blockiert, so hätte C. S. bis zum Ende mitgemacht.“

Jedenfalls hinterlassen die mitunter zu sparsam kommentierten Episteln den ersten Eindruck, zwei bibelfeste Intellektuelle, die über die religiösen Untergründe abendländischer Geschichte spekulieren, verlieren sich in Bildungshuberei. Aber eine zweite Lektüre, im Lichte der beigefügten Materialien zu der von Taubes dirigierten Forschungsgruppe Politische Theologie und Hermeneutik, die dem Wissenschaftssenator Peter Glotz (SPD) unterbreiteten Überlegungen für ein Berliner Hobbes-Kolloquium im 300. Todesjahr 1979 sowie Reflexionen zur „Aktualität von Thomas Hobbes“ (1983), erweichen die hermetischen Verpanzerungen. Taubes muß dafür nur auf die 1979 im Iran die Macht ergreifende islamistische Theokratie hinweisen oder auf das Problem der erstarkenden indirekten Gewalten, der Hobbesschen potestas indirecta, die im Zeitalter der Globalisierung den schwächelnden Staat in die Zange nehmen, damit man erkennt, daß die Klassiker studiert werden, um das „Abc der Politik post Christum natum“ zu entziffern und nach „politischen Orientierungen in unserer Gegenwart“ zu fahnden, ohne billige Aktualisierung zu bieten.

Inmitten der von ihm verachteten „vulgärmarxistischen Sozialwissenschaften“, die nach 1968 in der „marxoiden Atmosphäre“ deutscher Universitäten Triumphe feierten, errichtete Taubes in seinem FU-Institut für Hermeneutik ein Gegenlager, das, zusammen mit den Lehrstühlen von Ernst Nolte und Karlfried Gründer sowie mit dem des 1978 sich schon zurückziehenden Germanisten Wilhelm Emrich, für einige Jahre als „der hellste Ort in Deutschland“ galt. Gleichwohl war es nur ein winziges gallisches Dorf, dessen widerständiges Potential der gegen die „linksliberale Tyrannei“ angetretene Taubes nicht einmal angemessen ausschöpfte, weil der mitunter nervige Wind- und Projektmacher zwar stets darauf bedacht war, einen Zipfel kulturpolitischer Macht zu erhaschen, er sich dabei aber in tausend Initiativen verzettelte und dem Jongleur die meisten Bälle entglitten.

Was in dieser Edition vermißt wird? Materialien zu Taubes’ akademischer Abschiedsvorstellung in Sachen CS, sein Schmitt-Seminar im Wintersemester 1985/86, das er zusammen mit Nicolaus Sombart, der sich dem Unternehmen nicht erst im Sommersemester 1986 „anschloß“, wie die Editoren meinen, wenige Monate nach dem Tod des Staatsdenkers anbot. Da prallten Welten aufeinander: Sombarts weinerlich-altjüngferlicher Moralismus, wurzelnd in dumpfer Bewältigungsobsession, ausgerüstet mit den notorischen Antifa-Platitüden, die der hemdsärmelig-kecke Taubes allein schon mimisch der Lächerlichkeit preisgab.

Im Gegensatz zu Sombart, der Gimpel genug war, um zu glauben, das Rätsel Schmitt mit einer selbstgezimmerten Triebtheorie über „faschistische Männerbündler“ gelöst zu haben, blieb Taubes kindlich-neugierig, war überzeugt davon, daß Halden politologischer „Faschismustheorien“ nur für die Papiermühle taugten, da sie die Faszination nicht erklärten, die der Nationalsozialismus auf Geistesriesen wie Schmitt, Heidegger, Gehlen, auf große Theologen wie den Kierkegaard-Exegeten Emanuel Hirsch oder schlicht auf weite Teile der kulturellen Elite „des Deutschen Reiches mit Heilsansprüchen“ (Taubes) ausübte. Freilich sind das Problemkomplexe, die seitdem in keinem deutschen Zwergen-Seminar mehr verhandelt werden dürfen.

Martin Treml, Thorsten Palzhoff u. a. (Hrsg.): Jacob Taubes – Carl Schmitt. Briefwechsel mit Materialien. Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2012, gebunden, 327 Seiten, 39,90 Euro

Foto: Jacob Taubes in Paris 1985“; Carl Schmitt (r.): Gegen eine „linksliberale Tyrannei“ und Respekt dem verfemten „alten Partisanen“

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen