© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/12 16. März 2012

Integration gelingt, wo eine positive nationale Identität besteht
Der Entwicklungspsychologe Ulrich Schmidt-Denter untersuchte in einer Langzeitstudie „die Deutschen und ihre Migranten“ und fördert Bemerkenswertes zur deutschen Identität zutage
Michael Paulwitz

Wer Nationalstolz empfindet, kompensiert eigene Persönlichkeitsdefizite und muß dringend umerzogen werden – für deutsche Volkspädagogen und Sozialingenieure ist das ein unhinterfragbarer Glaubenssatz. Bisher jedenfalls. Ulrich Schmidt-Denters Studie holt die Sozialpsychologie auf den Teppich zurück und stellt die Begriffe vom Kopf auf die Füße: Nicht die Patrioten, sondern die Internationalisten und nationalen Selbsthasser sind die Gestörten – und nur wo eine positive nationale Identität besteht, können auch Einwanderer erfolgreich integriert werden.

Die Abwertung nationaler Identität und nationaler Affekte und ihre Assoziation mit Pathologie, Aggressivität und Abwertung von Fremdgruppen ist für den Kölner Entwicklungspsychologen ein deutscher Sonderweg. Die wichtigsten Ergebnisse seines zehnjährigen Mammut-Forschungsprojekts zur Erforschung europäischer nationaler Identitäten beziehen sich, gerade vor der Folie des internationalen Vergleichs, auf die spezifisch deutschen Befindlichkeiten.

Dabei werden reihenweise Mythen zerstört, die im sogenannten „Kampf gegen Rechts“ eine tragende Rolle spielen. So konnte eine „Abwertung von Fremdgruppen als Kompensation persönlicher Defizite bei rechtsradikalen Jugendlichen nur selten bestätigt werden“ – dagegen sei „die Abwertung der Eigengruppe und Aufwertung der Fremdgruppe als Korrelat individueller Unzufriedenheit und mangelnden Selbstwerts das bedeutendere Phänomen“. Oder, im Klartext: Die Antinationalen sind die psychisch Labilen; sich mit der „ganzen Menschheit“ statt mit der eigenen Nation zu identifizieren sei ein „abstrakter Zufluchtsort für verunsicherte Identitäten“ – „personale und soziale Stabilität, Gesundheit und Angepaßtheit (functionability) dagegen standen in Zusammenhang mit dem patriotischen, aber auch mit dem nationalistischen Typ“.

Auch in Sachen Ausländerfeindlichkeit gibt Schmidt-Denter Entwarnung gegenüber dem herrschenden Dauer-Alarmismus: Weder sei in den untersuchten Ländern überbordender Nationalismus typisch, noch gebe es mehrheitlich „Einstellungen gegenüber Fremdgruppen, die die dramatische Betitelung „Feindlichkeit“ oder „Phobie“ rechtfertigen. Schmidt-Denters Folgerung: „Die Beschädigung der nationalen Identität ist kein angemessenes Mittel zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit.“

Diese Beschädigung, die schwache Bindung an das Nationale, an das „Eigene“, ist spezifisch deutsch und unterscheidet deutsche Jugendliche von ihren Altersgenossen in anderen Ländern. Weder schwächt die Globalisierung den Nationalstolz, stellt Schmidt-Denter für die 24 untersuchten Nationen fest, noch nehme dieser in Ländern, die international stark verflochten sind, ab – offensichtlich ist nationale Identität im globalen Zeitalter nötiger denn je, um sich des eigenen Platzes zu vergewissern.

Schmidt-Denter wirft einen unvoreingenommenen Blick auf die Rahmenbedingungen nationaler Identität in verschiedenen europäischen Ländern. Für Deutschland hebt er die Folgen der „Reeducation“ durch die Alliierten und die negative Pädagogisierung durch die Vergangenheitsbewältigung hervor und verschweigt auch deren Instrumentalisierung als „Karriereturbo“ durch die 68er-Generation nicht: Bei der Vergangenheitsbewältigung geht es nicht um Entdeckung der Wahrheit, sondern um Vorteile im Generationenkonflikt – Schrenck-Notzing könnte hier ohne weiteres Pate gestanden haben.

In einem eigenen Kapitel widmet sich die Studie den fatalen Folgen der „Holocaust-Erziehung“. Die übliche Form der NS-Darstellung im Schulunterricht trägt wesentlich zur Verunsicherung der nationalen Identität junger Deutscher bei, die sich in Xenophilie äußert und dem starken Wunsch, auszuwandern oder als Angehöriger einer anderen Nation wiedergeboren zu werden. Die emotionalisierende „Holocaust-Erziehung“ befinde sich „auf einer schmalen Gratwanderung zwischen der Sensibilisierung für andere einerseits und der Verletzung von Gefühlen, Identitätsflucht und Selbsthaß andererseits“, die als Konsequenz in die „Schwächung des Lebens- und Überlebenswillens“ führen könne. Die „Holocaust Education“ wirke auch nicht „völkerverbindend“ – es sei denn „in Form einer Allianz gegen die Deutschen“, wie ausländische Lehrkräfte in der Untersuchung bestätigten.

Und: Die beständige Pflege historischer Schuldkomplexe ist nicht integrationsfördernd, sondern integrationshemmend, insbesondere bei „denjenigen Migranten, die eine hohe Identifikationsbereitschaft mit Deutschland aufweisen“. Wer sich integrieren soll, braucht ein „positiv besetztes Identitätskonzept“. Daß das auch in Deutschland funktionieren kann, hat nach Schmidt-Denter die „Lockerung des Emotionstabus“ während des „Naturexperiments“ der Fußball-WM 2006 gezeigt. Die positive Stimmung im Land habe Deutsche und Migranten zusammengeführt.

Auch junge Deutsche möchten sich mit ihrem Land identifizieren, schämen sich aber oft für diesen Wunsch. Junge Einwanderer fänden Patriotismus für Deutschland normal, fühlten ihn aber selbst nur selten. Der Schlüssel zur Lösung des Dilemmas liegt in der Wiederherstellung einer positiven nationalen Identität der Deutschen. Die „negative Reziprozität“ der wechselseitigen Auf- und Abwertung von Fremd- und Eigengruppe kann durchbrochen werden: Stabile Persönlichkeiten können sowohl das Eigene als auch das Fremde positiv einschätzen. Schmidt-Denters Studie zeigt den Weg, wie die Irrtümer der Sozialpädagogen und -psychologen aus deren eigener Disziplin heraus widerlegt werden können.

Ulrich Schmidt-Denter: Die Deutschen und ihre Migranten. Ergebnisse der europäischen Identitätsstudie. Juventa Verlag, Weinheim 2012, broschiert, 390 Seiten, 34,95 Euro

Foto: Mit riesiger Deutschlandfahne bekunden zur WM 2010 arabische Migranten in Berlin-Neukölln ihre Unterstützung für die Nationalmannschaft: „Die Beschädigung der nationalen Identität ist kein angemessenes Mittel zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit“

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