© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/12 23. März 2012

Orientierungslos in Düsseldorf
Nordrhein-Westfalen: Zum Start des Wahlkampfes macht die CDU vor allem mit der Unentschlossenheit ihres Spitzenkandidaten Norbert Röttgen von sich reden
Paul Humberg

Das Experiment einer rot-grünen Minderheitsregierung in Deutschlands bevölkerungsstärkstem Bundesland ist gescheitert. Am 14. Juli 2010 war Hannelore Kraft (SPD) mit den Stimmen von SPD und Grünen zur Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen gewählt worden. Die Linke enthielt sich bei der Wahl. Nun ist Frau Kraft, die inzwischen sogar als mögliche Kanzlerkandidatin der Sozialdemokraten gehandelt wird, mit ihrem Haushalt für 2012 gescheitert. Am 13. Mai gibt es Neuwahlen.

Vieles spricht dafür, daß CDU, FDP und Linke, die den „Sturz“ der Landesregierung herbeigeführt haben, am Ende mit einer neuen rot-grünen Regierung „belohnt“ werden. Umfragen sehen die SPD vorn. Überdies ist es Frau Kraft – die lange als Zauderin galt und zum Regieren quasi von der jetzigen grünen Schulministerin Sylvia Löhrmann getrieben werden mußte – innerhalb von sehr kurzer Zeit gelungen, recht populär zu werden. Anders als CDU-Landeschef Norbert Röttgen, der als „Muttis Klügster“ verspottet wird, gibt die 50jährige Politikerin die Frau aus dem Volke, versehen mit einer ordentlichen Portion Ruhrpottcharme.

Unklar ist, mit wem  Röttgen regieren will

Im Wahlkampf dürfte Kraft auf die Themen Bildung, mehr Geld für Kindergärten und größere Unterstützung für die Kommunen setzen. Mit ihrem „Stärkungspakt Stadtfinanzen“ konnte sie selbst schwarze Oberbürgermeister überzeugen. Der christlich-liberalen Vorgängerregierung war hingegen häufig zum Vorwurf gemacht worden, sie hätte kein Ohr für die notleidenden Kommunen im Ruhrgebiet oder im Bergischen Land gehabt. Das, was ihr Kontrahent Röttgen als Schuldenpolitik brandmarkt, deklariert sie als Politik der sozialen Vorsorge.

Der Rheinländer Röttgen dürfte hingegen auf einer anderen Klaviatur spielen. Nur mit der CDU könne der Weg zu soliden Staatsfinanzen beschritten werden, dürfte sein Credo lauten. Allerdings hat der ehrgeizige Röttgen einige wunde Punkte. Dankbar hat der politische Gegner aufgegriffen, daß der CDU-Spitzenkandidat sich bisher nicht dazu durchringen konnte, auch als Oppositionsführer nach Düsseldorf zu gehen. Er könnte also auch „den Blüm“ machen und wie der damalige Arbeitsminister im Kabinett Kohl an seinem Ministeramt kleben bleiben. Nicht wenige unterstellen Röttgen, der in der Partei wenige echte Freunde hat, daß er den größten Landesverband der CDU nur als Sprungbrett für höhere Ambitionen nutzen will. Ministerpräsident in Düsseldorf wäre nicht schlecht, besser wäre jedoch das Kanzleramt. Zudem konnte er in der landespolitischen Debatte bisher nicht entscheidend punkten. Daß die CDU gemeinsam mit Grünen und SPD einen „Schulfrieden“ geschlossen hat, dürfte vor allem der Regierung auf der Habenseite zugeschrieben werden. Die früher oft heiß diskutierte Schulpolitik entfällt diesmal als Mobilisierungsthema für bürgerliche Wähler.

Außerdem ist unklar, mit wem Röttgen überhaupt regieren will. Die Grünen, mit denen das frühere Mitglied der „Pizza-Connection“ flirtete, haben ihm schnell einen Korb gegeben. Ihr Selbstbewußtsein ist groß, schließlich liegen sie laut Umfragen bei 17 Prozent. Bei der Wahl 2010 hatten sie 12,1 Prozent erreicht. Andererseits gilt Röttgen nicht unbedingt als Freund der FDP. So liegt er in Sachen Energiewende mit FDP-Chef Philipp Rösler über Kreuz. Und nicht nur Vertreter der Linkspartei in NRW sehen die Grünen als neue FDP, die sich einen Partner zum Regieren aus rein „opportunistischen“ oder machttechnischen Gründen suchen. Schwarze und Grüne seien ähnlich ämterversessen und hätten gemeinsame Schnittmengen bei sozialen Kürzungen, Privatisierungen und Kriegseinsätzen, so die Kritik der Linken. Für den unwahrscheinlichen Fall, daß es für Rot-Grün nicht reichen sollte, sind also auch ein schwarz-grünes Bündnis und eine Große Koalition nicht ausgeschlossen.

Für das weitere Schicksal der Liberalen – nicht nur an Rhein und Ruhr – wird entscheidend sein, ob die Rückkehr des im Dezember 2011 als Generalsekretär zurückgetretenen Christian Lindner für Auftrieb sorgen wird. Eigentlich sollte der smarte Politiker in Kürze den Vorsitz des größten deutschen FDP-Bezirks in Köln übernehmen. Nun wird er anstelle von Gesundheitsminister Daniel Bahr Landesvorsitzender und als Spitzenkandidat ins Rennen gehen. Dabei hat er zwei Ziele: Erstens muß er die FDP über die Fünfprozenthürde bugsieren. Und zweitens muß er ausgerechnet das politische Überleben von Rösler sicherstellen, mit dem er sich überworfen hatte. Ob Lindner inhaltliche Gegenakzente zur linken NRW-CDU, zur SPD und zu den Grünen zu setzen vermag, bleibt allerdings fraglich. Doch an eine Koalition der FDP mit einer der beiden „großen“ Parteien nach der Wahl am 13. Mai glaubt sowieso kaum jemand im Land.

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